Immer mehr Menschen wollen keiner christlichen Kirche mehr angehören, treten aus und zahlen damit auch keine Kirchensteuer mehr. Doch über die sogenannten Staatsleistungen sind auch sie an der Finanzierung der Kirchen beteiligt. Das sorgt immer wieder für Erstaunen und Unverständnis.
So sind die Staatsleistungen entstanden
Um das Ganze zu verstehen, muss man weit zurückblicken in die Geschichte. Es begann alles mit Napoleon Bonaparte vor mehr als 200 Jahren. In den napoleonischen Kriegen verloren die deutschen Fürsten linksrheinische Gebiete. Dafür sollten sie entschädigt werden, indem die Kirchen enteignet wurden. Ländereien von fast 100.000 Quadratkilometern gingen an die Fürsten.
Die Fürsten erklärten sich aber bereit, im Gegenzug zur Säkularisation etwas zur Finanzierung der Kirchen beizutragen. Diese seit damals bestehende Verpflichtung ist inzwischen auf die Bundesländer übergegangen. Und Rheinland-Pfalz ist neben Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt eines der Länder, die am meisten zahlen müssen. Der Grund: In diesen Regionen gab es besonders viele Enteignungen.
Die rund 600 Millionen Euro an Staatsleistungen sind 2,5 bis drei Prozent der gesamten Länder-Haushalte. Zum Vergleich: an Kirchensteuer nahm allein das Bistum Trier im vergangenen Jahr 335 Millionen Euro ein.
Ziel der Ablösung bereits seit 1919 festgeschrieben
Die sogenannten Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen sollen allerdings seit langem abgelöst werden, das heißt den Kirchen soll eine einmalige Entschädigung gezahlt werden. Bereits 1919 stand dieses Ziel in der Weimarer Verfassung und wurde 1949 unverändert ins Grundgesetz übernommen. Die Verpflichtung ist eine verfassungsrechtliche Norm; sie wird aber im Fall des Unterlassens nicht sanktioniert.
Die Staatsleistungen seien keine staatliche Förderung der Kirchen, sagt der Kirchenrechtler Michael Germann von der Universität Halle. Es seien kirchliche Vermögensrechte, die in einem Rechtsstaat nicht einfach gestrichen werden könnten. Und es sei verfassungswidrig, nicht zu handeln.
Die Politik sowie evangelische und katholische Kirche haben lange kein Interesse daran gezeigt, zu einer Änderung zu kommen. Man hat sich mit dem Zustand arrangiert. Die Trennung von Kirche und Staat wird in Deutschland traditionell als "freundlich" bezeichnet und ist nicht mit der Situation in Frankreich zu vergleichen. Das heißt, das Grundgesetz sieht keine strikte Trennung vor.
Ampel im Bund hat sich Ablösung vorgenommen
Die Ampel-Parteien im Bund haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, ein Gesetz für die Ablösung vorzulegen. Der Entwurf lässt allerdings auf sich warten. Was für Pläne die Bundesregierung hat, ist nicht bekannt.
Zuletzt Gespräche auf Arbeitsebene
Auf Einladung des Bundes fanden in den vergangenen Monaten Treffen zwischen Vertretern von Kirchen, Bund und Ländern auf Arbeitsebene statt. Dabei seien zu einigen der verfassungs- und kirchenrechtlich komplexen Fragen erste gemeinsame Vorstellungen entwickelt worden, teilte das in Mainz für die Kirchen zuständige Wissenschaftsministerium auf Anfrage mit. Aber zentrale Fragen - wie etwa, ob der Bund ein solches Gesetz ohne die Zustimmung der Länder, die die finanzielle Last tragen, beschließen kann - seien noch völlig offen. Bis zur Klärung grundsätzlicher Fragen habe die Ministerpräsidentenkonferenz das Thema zurückgestellt.
Dreyer: Ablösung hat keine Priorität
Eine Ablösung wäre teuer. Die Länder fürchten die Summe, die sie zahlen müssten. Für Rheinland-Pfalz könnte es einen Betrag von einer Milliarde Euro bedeuten. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte zuletzt, das Thema habe für Rheinland-Pfalz, für die Länder überhaupt keine Priorität.
Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, teilt auf SWR-Anfrage mit, grundsätzlich sei die Katholische Kirche bereit, sich an Gesprächen zur Ablösung der Staatsleistungen zu beteiligen. Man habe sich bisher bereits konstruktiv eingebracht. Entscheidend bleibe, dass die Ablösung die Kirchen in die Lage versetzen soll, die bisher mit Hilfe der Staatsleistungen finanzierten Aufgaben dauerhaft finanziell decken zu können, erklärt Kopp. Dabei sei es auch im Interesse der Kirche, dass die Länder im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit handeln können.
Ein Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linkspartei im Bundestag schlug 2021 vor, die Staatsleistungen abzulösen innerhalb einer bestimmten Frist und das 18,6-fache der aktuellen Jahressumme an die Kirchen zu zahlen. Die AfD schlug vor, die Zahlungen von 2027 an ganz einzustellen, ohne Ablöse. Experten zweifeln aber, dass ein solcher Stopp verfassungskonform wäre.
Dass die Länder nicht jubeln, wenn sie für die Ablösung so viel Geld in die Hand nehmen müssten, überrasche nicht, findet der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci. Die Länder könnten aber viel Zeit für die Ablösung bekommen, müssten also nicht diesen einen großen Batzen zahlen. Das belaste sie dann eine Weile und durchaus erheblich, sagt Kirchenrechtler Germann. Aber danach seien sie es auch dauerhaft los.