Friseurin unterhält sich mit ihrer Kundin, während die Flüssigkeit für die Dauerwelle einwirkt.

Kundschaft mit besonderen Bedürfnissen

Friseurin in Essenheim frisiert Demenzkranke

Stand
Autor/in
Ilona Hartmann
SWR-Autorin Ilona Hartmann

Wenn der Geist nicht mehr richtig funktioniert, wird selbst ein Friseurbesuch zu einer großen Herausforderung. Friseurin Martina Schäfer hat sich deshalb auf Demenzkranke spezialisiert.

Wilma Ranzenberger sitzt im Frisierstuhl und freut sich auf ihre Dauerwelle. Sichtlich genießt sie es, wie Friseurin Martina Schäfer an ihrem Kopf herumwerkelt und erzählt währenddessen aus ihrem langen Leben. Dass sie selbst früher auch Friseurin werden wollte, sich diesen Traum aber nicht erfüllen durfte: "Das waren die schlechten Zeiten nach dem Krieg. Ich musste gleich in der Fabrik schaffen gehen und Geld verdienen."

Friseurin geht auf jeden Demenzkranken individuell ein

Diese Geschichte von ihrem unerfüllten Berufswunsch erzählt die 84-Jährige im Laufe ihres Friseur-Termins rund ein Dutzend Mal. Und jedes Mal geht Martina Schäfer mit derselben liebevollen Aufmerksamkeit auf ihre Kundin ein.

"Es würde doch nichts bringen, wenn ich sage: Das haben Sie mir doch eben schon erzählt!", sagt die Friseurin. Das würde die ältere Dame nur verunsichern und traurig machen. Stattdessen fragt sie immer wieder nach, als würde sie die Geschichte zum ersten Mal hören. Und Wilma Ranzenberger plaudert munter weiter.

Negative Erfahrung im Krankenhaus gemacht

Sieben Jahre lang war Martina Schäfer auf einer Station für Demenzkranke in einem Krankenhaus tätig und fand es schrecklich, den Menschen dort in einem ungemütlichen kleinen Bad zwischen Tür und Angel die Haare schneiden zu müssen.

Video herunterladen (125,8 MB | MP4)

Immer wieder merkte sie, wie die Kranken die unbekannte Situation beunruhigte und ängstlich oder traurig machte. Und auch sie selbst empfand dieses Arbeiten als stressig und unbefriedigend und ihr wurde klar: Das muss auch anders gehen!

Erinnerungsstücke lassen Demenzkranke Vertrauen gewinnen

Kurzerhand entwickelte die Friseurin selbst ein Konzept zum Umgang mit Demenzkranken und spezialisierte sich auf diese Kundschaft. Das bedeutet vor allem, die Leute einfach mit all ihren individuellen Wünschen, Bedürfnissen und Eigenarten anzunehmen, ihnen die Angst vor dem Ungewohnten zu nehmen und die Atmosphäre für sie so vertraut und entspannt wie möglich zu gestalten.

Vor zwei Jahren eröffnete Martina Schäfer dann ihren Salon im Seniorenzentrum Domherrengarten in Essenheim. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner lassen sich bei ihr frisieren.

Gedämpftes Licht und beruhigende Musik

Der Salon erscheint in gedämpftem Licht, ein Sternenhimmel leuchtet an der Decke. Auf den Regalen stehen Porzellan-Sammeltassen, die viele ältere Menschen aus ihrer Kindheit kennen.

"Eine Kundin will zum Beispiel immer die alten Mainzer Fastnachtslieder hören - dann fliegt hier im Salon auch mal die Kuh!"

An den Wänden hängen Poster von Marilyn Monroe und James Dean. Dazu läuft beruhigende Musik. Wer es lieber flott mag, bekommt aber auch diesen Wunsch erfüllt - und so legt Martina Schäfer bei Bedarf auch mal Fastnachtsschlager auf.

Friseurin vermeidet W-Fragen

Zu dem speziellen Umgang mit Demenzkranken gehört zum Beispiel auch, ihnen keine W-Fragen wie "warum" oder "wann" zu stellen. Denn solche Fragen können die Menschen häufig nicht beantworten und das macht sie dann traurig, unsicher oder auch wütend, sagt Martina Schäfer.

Friseurin Martina Schäfer und ihre demenzkranke Kundin Wilma Ranzenberger.
Friseurin Martina Schäfer und ihre demenzkranke Kundin Wilma Ranzenberger.

Stattdessen nimmt sie sich Zeit für ihre Kundinnen und Kunden und richtet sich komplett nach ihrem Tempo und Bedürfnissen. Es sei einfach toll zu sehen, wie alte Menschen, die anfangs verängstigt sind, sich beruhigen und Vertrauen gewinnen. So zu arbeiten sei einfach nur schön, sagt die Friseurin.

"Wenn man sieht, wie so ein vorher ängstliches, trauriges Gesicht plötzlich beim Blick in den Spiegel anfängt zu strahlen, das ist für mich einfach total schön."

Und auch Wilma Ranzenberger ist am Ende offenbar hochzufrieden mit dem Verlauf ihres Friseur-Termins. Sie konnte viel erzählen, ihr wurde zugehört und als Krönung hat sie auch noch eine sehr schöne neue Dauerwelle bekommen.

Mehr zum Thema Demenz im Südwesten

Neckarsulm

Selbsttest zum Welt-Alzheimertag in Neckarsulm Demenz-Simulator: So fühlt sich Demenz an

Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz. Ein Simulator macht die Symptome der Erkrankung spürbar. So soll der Umgang mit Menschen mit Demenz verbessert werden.

SWR Aktuell Baden-Württemberg SWR Fernsehen BW