Der Gang zum Briefkasten macht ihr schon lange Sorgen: Rechnung um Rechnung erhält Christiane Hartmann (70) seit über einem Jahr vom Energieunternehmen E.ON. Für Strom, den sie nie bezogen hat, wie sie selbst sagt. Ihr Haus in Ahrweiler wurde durch die Flutkatastrophe im Ahrtal schwer beschädigt. An die Folgen der Flut im Ahrtal kann sie sich noch gut erinnern.
Christiane Hartmann bekommt nach Flutkatastrophe Notstrom der Ahrtal-Werke
Über sieben Monate beliefern die Ahrtal-Werke von der Flut betroffene Haushalte kostenlos mit Notstrom. Auch Christiane Hartmann konnte dieses Angebot in Anspruch nehmen. Nachdem das Haus wieder aufgebaut wurde, verkauft sie es im Januar 2022 an eine Nachbarsfamilie. Zuvor hatte sie es vermietet.
E.ON meldet Grundversorgung für unbewohnbares Haus in Ahrweiler an
Ein halbes Jahr später holt sie ihre Vergangenheit ein: Sie erhält zum ersten Mal Post von E.ON mit dem Betreff ‚Wir korrigieren Ihre Stromrechnung‘. Erst viele Monate später meldet E.ON rückwirkend Ansprüche für den Zeitraum nach der Flut an. Für eine Grundversorgung, die Christiane Hartmann aber nie von E.ON erhalten hat, sondern von den Ahrtal-Werken. Diese Geldforderung kam bei der Pfälzerin lange nicht an. Umso geschockter ist Christiane Hartmann von der Forderung.
E.ON reagiert nicht auf Klärungsversuche von Christiane Hartmann
Christiane Hartmann versucht die Dinge zu klären. Sie gibt nicht auf, beantwortet jedes Schreiben und will das vermeintliche Missverständnis klären. „Ich habe daraufhin mehrmals geschrieben, das blieb wie alles andere von E.ON unbeantwortet.“ Und es hört nicht auf: E.ON ignoriert die Einwände von Christiane Hartmann und schickt der Pfälzerin Zahlungsaufforderungen und Mahnungen. Das geht über ein Jahr lang. Mehr als 1600 Euro fordert das Unternehmen und lässt sogar die Schreiben einer Anwaltskanzlei, die Frau Hartmann beauftragt hat, unbeantwortet.
E.ON entschuldigt sich, gibt Fehler zu und kündigt Wiedergutmachung an
In ihrer Verzweiflung wendet sich Christiane Hartmann an den SWR. Erst als die Landesschau beim Unternehmen nachfragt, lenkt E.ON ein und entschuldigt sich. "Leider kam es hierbei zu einem internen Bearbeitungsfehler, der zu den fehlerhaften Lieferanmeldungen und dem Versand der Rechnungen geführt hat", heißt es in einer Stellungnahme an den SWR vom 18.08.2023. E.ON möchte sämtliche Forderungen zurückziehen und kündigt Wiedergutmachung an.
Streit um Stromrechnungen von E.ON kostet viel Lebenszeit und Energie
Was man mit Sicherheit nicht wiedergutmachen kann, ist die Zeit, die Christiane Hartmann investieren musste, damit ihr nun – nach über einem Jahr – geglaubt wird. Wie sehr seine Frau die Auseinandersetzung mit E.ON belastet hat, weiß auch ihr Ehepartner Helmut Pauly: „Das ist viel Lebenszeit draufgegangen und viel Energie, die sie da reingesteckt hat. Das sind Hunderte von Vorgängen gewesen, die sie da bearbeiten musste.“
Opferbeauftragter fordert mehr Sensibilität und Hilfsbereitschaft für Flutgeschädigte im Ahrtal
Mit ihrer Situation ist Christiane Hartmann nicht allein. Der Opferbeauftragte der Landesregierung Rheinland-Pfalz, Detlef Placzek, wurde laut einer Pressemitteilung in verschiedenen Fällen von Flutgeschädigten aus dem Ahrtal um Unterstützung im Umgang "mit einem großen bundesweiten Stromanbieter" gebeten. Einem Betroffenen, dessen Mietshaus seit der Flut im Juli 2021 größtenteils unbewohnbar ist, drohe dieser nun aufgrund angeblicher Zahlungsrückstände mit einem Inkassounternehmen.
Kein Einzelfall: Auch andere Opfer kämpfen mit unberechtigten Stromrechnungen
Ein anderer Betroffener wandte sich ebenfalls hilfesuchend an den Opferbeauftragten. Sein Haus sei in der Flutnacht stark beschädigt worden; die Stromzähler seien irreparabel zerstört, sodass dort kein Strom mehr genutzt werden konnte. Nach der Flut habe er dies seinem Stromanbieter umgehend gemeldet. Dennoch forderte das Unternehmen weiterhin monatliche Abschläge für einen Stromverbrauch ein, der gar nicht entstanden sei. „In diesem sowie in einem weiteren ähnlichen Fall wurde mehrfach auf verschiedenem Wege versucht, mit dem bundesweiten Stromanbieter Kontakt aufzunehmen, um den Sachverhalt aufzuklären. Es ist brüskierend, dass all diese Versuche bisher scheinbar kein Gehör gefunden haben,“ erklärt Placzek. Stattdessen erhielt der Flutgeschädigte zwei Jahre lang immer wieder Mahnungen - wie im Fall von Christiane Hartmann. Nun droht der Stromanbieter mit einem Inkassounternehmen, sollten die in Rechnung gestellten Stromkosten nicht bezahlt werden.
"Wir haben relativ viele Beschwerden, die in eine ähnliche Richtung gehen", bestätigt auch Max Müller, fachjuristischer Berater in der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Das betreffe vor allem die Erreichbarkeit von Energieversorgern und die Zeit, die sie bräuchten, um auf Beschwerden zu reagieren. Seit Anfang des Jahres sei dieser Zustand schlimmer geworden. Teilweise werde nur noch standardisiert geantwortet, was meistens nicht zielführend sei. Müller spricht von einem Branchenproblem und nennt die Preiskrise, Maßnahmen vom Staat, die die Versorger umsetzen müssen, Auswirkungen der Coronazeit sowie den Fachkräftemangel als mögliche Ursachen.
Verbraucherzentrale rät zu frühzeitigen schriftlichen Beschwerden und Schlichtungsstellen
Müller rät Kunden und Kundinnen sich in solchen Fällen frühzeitig schriftlich zu beschweren - am besten über Einschreiben. "Telefonieren bringt relativ wenig im Moment", sagt der Verbraucherexperte. Müller verweist auch auf die Schlichtungsstelle sowie auf Hilfe durch Anwälte. Der Fall von Christiane Hartmann befindet sich auch bereits im Schlichtverfahren. Doch das dauert, denn die Schlichtstelle ist derzeit sehr überlastet und spricht von über 8000 Verfahren allein im Bereich Energie.
Als Christiane Hartmann von der Antwort von E.ON hört, ist sie erleichtert. Für sie geht damit eine Odyssee zu Ende.