Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz wirft dem Stadtbürgermeister von Kandel, Michael Niedermeier (CDU) in einem Prüfbericht, der dem SWR vorliegt, grobe Verstöße gegen das "Wirtschaftlichkeitsgebot" vor. Konkret geht es um die Kosten, die durch die fristlose Kündigung einer Kita-Leiterin in Kandel entstanden sind.
Kandel: Hintergrund ist Kindesmissbrauch durch Kita-Erzieher
Hintergrund ist ein Missbrauchsskandal in der städtischen Kindertagesstätte "Am Wasserturm": Im November 2019 meldete eine Mutter der Kita-Leitung, dass ihr kleiner Sohn von einem Erzieher "unsittlich berührt" worden war, heißt es im Bericht des Landesrechnungshofs. Zehn Tage später wurde besagter Erzieher verhaftet. Inzwischen ist er verurteilt.
Der Kita-Leiterin sei vorgeworfen worden, den Stadtbürgermeister nicht umgehend darüber informiert zu haben, dass es einen Verdacht von Kindesmissbrauch in ihrer Kita gebe.
Kindeswohlgefährdung steht im Raum: Landesamt macht Druck
Wie die Stadtverwaltung Kandel und namentlich Bürgermeister Niedermeier daraufhin vorgingen, das bezeichnen die Rechnungsprüfer als "erhebliches rechtliches und finanzielles Risiko (...)", das "wirtschaftlich nicht gerechtfertigt war."
Landesrechnungshof: Stadt hat Kita-Leitung unrechtmäßig gekündigt
Die Stadt hatte der Frau am 23. Dezember fristlos gekündigt. Und das, obwohl sie aufgrund ihrer mehr als 30 Jahre langen Beschäftigung bei der Stadt einen besonderen Kündigungsschutz genoss, noch dazu schwerbehindert ist und Mitglied im Personalrat war. Die Stadt hätte erkennen müssen, dass eine solche Kündigung jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt, meint der Landesrechnungshof.
Kandel: 15.000 Euro unnötige Kosten für privaten Rechtsanwalt
Die Kita-Leiterin wehrte sich gegen die fristlose Kündigung und zog vor das Arbeitsgericht. Das gab der Frau in erster Instanz Recht. Daraufhin legte die Stadt Berufung ein und scheiterte damit vor dem Landesarbeitsgericht. Diesen Rechtsstreit, den Bürgermeister Niedermeier - quasi im Alleingang mit der Verwaltung - durchgezogen haben soll, bezeichnen die Rechnungsprüfer als "rechtsirrig".
So habe Niedermeier für die Stadt Kandel eine private Anwaltskanzlei beauftragt, obwohl die Stadt als Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Rheinland-Pfalz (KAV RP) Anspruch auf einen kostenlosen Anwalt hatte. Und diese private Kanzlei sei für die Vertretung in den erfolglosen Arbeitsgerichtsprozessen und für "Beratung im Zusammenhang mit Pressearbeit und Gremiensitzungen", mit 15.000 Euro vergütet worden.
Landesrechnungshof: Niedermeier soll Schadenersatz leisten
Dabei habe es vorab keinerlei schriftliche Vereinbarung über die Kosten mit der beauftragten Kanzlei gegeben. Die Stundensätze hätten zum Teil bei 300 Euro gelegen, ohne das dies von der Stadtverwaltung hinterfragt worden sei.
Zwar habe der Landesrechnungshof die Stadt informiert und die Stadt habe dadurch im Nachhinein einen Teil der Kosten durch ihre Rechtsschutzversicherung erstattet bekommen. Doch wie viel, das habe die Stadt noch nicht mitgeteilt. Nach SWR-Informationen sind es rund 5.000 Euro und damit gerade so viel, dass Stadtbürgermeister Niedermeier - rein rechtlich - wohl nicht für unrechtmäßige Anwaltskosten aufkommen muss, denn die Grenze liegt hier laut Landesrechnungshof bei 10.000 Euro.
Allerdings fordert die Behörde: Der Stadtbürgermeister muss für die Kosten gerade stehen:
Wird Kandel von ihrem Bürgermeister Schadenersatz verlangen?
Noch ist unklar, ob die Stadt Kandel ihren Bürgermeister nun zur Kasse bitten oder gar auf Schadenersatz verklagen wird. Das Thema soll auf einer Sitzung im Mai behandelt werden. Klar ist aber, die Kündigung der damaligen Kita-Leiterin und der folgende Rechtsstreit haben hohe Kosten verursacht.
Denn die Stadt muss für die Zeit, in der sie der Kita-Leiterin keine angemessene Weiterbeschäftigung anbot, rund 88.000 Euro an Lohnausgleich zahlen. Denn die Stadt bot der Frau an, eine Kindertagesstätte zu leiten, die sich noch im Bau befindet und für die die Stadt sogar nach einem freien Träger sucht. Mit anderen Worten: Für eine Kita, bei der die Stadt nicht der Arbeitgeber sein will.
Besonders skurril erscheint folgende Tatsache: Noch während des laufenden Rechtsstreits um die Kündigung habe die Stadt ohne Not unbefristet eine neue Kita-Leiterin eingestellt, kritisiert der Rechnungshof. Und führt weiter aus, dass sich nun für die Stadt die absurde Situation ergibt, drei Leitungen für zwei städtische Kindertagesstätten bezahlen zu müssen.
Alleingang Niedermeier: Stadtrat Kandel zu spät informiert
Was die Landesprüfbehörde auch bemängelt: Es gebe keinerlei Protokolle rund um die Vorgänge zur Kündigung und zum Rechtsstreit. Und auch der Stadtrat habe dem Bürgermeister keine Legitimation für sein Handeln erteilt - so wie das vorgeschrieben sei. Schon die Kündigung der Frau sei ohne Zustimmung des Stadtrats erfolgt, der erst mehr als zwei Monate später informiert wurde und dazu tagte.
Als das Arbeitsgericht der Frau im November 2019 das Recht auf Weiterbeschäftigung bescheinigte, habe die Stadt gegen das Urteil wiederum ohne Zustimmung des Stadtrats Berufung eingelegt. Und dies obwohl es sich angeboten hätte, dass der Stadtrat auf einer Sitzung im Dezember darüber entscheidet.
Wie Fraktionen im Stadtrat Kandel reagieren
Die Fraktionen im Stadtrat Kandel haben den Prüfbericht des Landesrechnungshofs nach eigenen Angaben erst am Dienstag erhalten und brauchen noch etwas Zeit, sich ausführlich damit zu beschäftigen.
Dennoch zeichnet sich schon ab, dass viele Ratsmitglieder mit dem Führungsstil des Bürgermeisters unzufrieden sind und fehlende Transparenz bemängeln. "Die erste Entscheidung, was die Kündigung betrifft, war eine Entscheidung von den Herren da oben. Wir sind nicht darüber informiert worden", sagt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Markus Schowalter, dem SWR.
Ludwig Pfanger von den Freien Wählern (FWG) sagt: "Wir waren gegen die Kündigung, weil sie keinen rechtlichen Bestand hatte. Es war also nirgends festgeschrieben, dass die Frau ihre Aufsichtspflicht verletzt hat. Bei der zweiten Instanz wurden wir gar nicht informiert und erst als das Ganze gelaufen war, sollten wir zustimmen. Da habe ich meine Zustimmung natürlich verweigert."
Nicht Niedermeiers einzige Front
Auch in seiner eigenen Partei läuft es gerade alles andere als rund für Niedermeier: Als Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbandes wurde er nun abgelöst – und als einziges Vorstandsmitglied nicht entlastet. In diesem Fall sind es allerdings nicht die Alleingänge und sein Führungsstil, die ihm vorgeworfen werden. Im Gegenteil: Unzuverlässigkeit und mangelndes Engagement sind hier die Kritikpunkte. Niedermeier habe über drei Jahre im Amt keine Vorstandsitzung und keine Mitgliederversammlungen einberufen, so der stellvertretende Vorsitzende Jens Majer gegenüber dem SWR. Als Grund habe er Corona genannt. Majer fällt es schwer, das gelten zu lassen: "Alle haben es hinbekommen, auch in Corona-Zeiten eine Sitzung abzuhalten – online halt. Nur wir nicht."
Erklären könne er sich all das nicht, so Majer: Der Niedermeier sei als junger Mann gekommen, habe Verantwortung übernehmen wollen, und bei der Wahl zum Stadtbürgermeister ein gutes Ergebnis eingefahren. "Er ist wirklich gut gestartet. Warum es dann so nachließ, kann ich mir nicht erklären."
Bürgermeister Michael Niedermeier selbst wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu den Vorwürfen äußern.