Vier Personen stehen vor einem Haus in Hamm

Anwohner verärgert über "Neidstreifen"

Ärger in Hamm (Sieg): Kein Zutritt zum eigenen Grundstück?

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In Hamm (Sieg) gibt es Ärger: Einige Restparzellen, die den Zugang zur Straße ermöglichen, wurden von einer Immobilienfirma gekauft. Dadurch stecken die Anlieger jetzt in der Klemme.

Günter Schumacher ist 89 Jahre alt und wohnt seit 1938 in seinem Haus in der Lindenallee in Hamm an der Sieg. Vergangenes Jahr bekam er einen Brief der Stückländerei GmbH, ein Immobilienunternehmen aus Nümbrecht. Darin stand, Schumachers Grundstück sei nicht erschlossen, weil es keinen Zugang zur angrenzenden Straße habe.

Denn die Stückländerei GmbH habe einen schmalen Streifen Land gekauft, der zwischen Schumachers Grundstück und dem Bürgersteig liegt - einen sogenannten "Neidstreifen". Ohne auf dieses schmale Flurstück von weniger als einem Meter Breite zu treten, kommt Günter Schumacher nicht mehr zu seinem Haus.

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2.500 Euro für ein ansonsten unbrauchbares Stück Land

Wenn Günter Schumacher also mit seinem Rollator hinaus auf die Straße läuft, überquert er laut Stückländerei GmbH deren Grundstück "ohne Genehmigung und Rechtsgrundlage". Das Immobilienunternehmen bot ihm darum an, den Neidstreifen vor seinem Grundstück zu kaufen, für 2500 Euro.

"Das ist viel zu teuer", sagt Monika Müller, die Tochter von Günter Schumacher. Es handele sich schließlich nur um wenige Quadratmeter und die Grundstückpreise in Hamm an der Sieg seien eher niedrig.

Vier weitere Nachbarn aus der Lindenallee erhielten ähnliche Schreiben von der Stückländerei GmbH. Einer von ihnen hat sich nach eigenen Angaben mit Rainer Galunder geeinigt. Die anderen wollen, die aus ihrer Sicht überteuerten Preise, nicht bezahlen.

Im Interview mit dem SWR erklärt Immobilienunternehmer Rainer Galunder von der Stückländerei GmbH,dass er die Neidstreifen für etwa 100 Euro pro Stück gekauft habe, um sie anschließend gewinnbringend weiter zu verkaufen. Er sagt: "Ich habe moralisch kein schlechtes Gefühl, weil jeder hatte die Option. Es war im Grunde wie auf einer Resterampe: Diese Grundstücke wollte keiner."

BImA: Weder Kommune noch Anlieger wollten Neidstreifen kaufen

Entstanden sind die Neidstreifen nach Angaben der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) bei einem Ausbau der Bundesstraße 256, die als Lindenallee durch Hamm an der Sieg verläuft. Die BImA, die dafür zuständig ist, Flächen, die der Bund nicht mehr braucht, zu veräußern, erklärte dem SWR, sie habe sich über mehrere Jahre hinweg darum bemüht, die Flächen an die Kommune und die Anlieger zu verkaufen. Dafür habe sie einen Anerkennungsbetrag von einem Euro pro Flurstück (zzgl. Notar- und Grundbuchkosten) gefordert. "Diese zeigten allerdings kein Interesse am Erwerb", so die BImA weiter.

Ein älterer Mann steht mit einem Rollator auf einem Bürgersteig
Günter Schumacher unterwegs auf dem Neidstreifen vor seinem Haus.

Bei der Verbandsgemeindeverwaltung in Hamm ging ein entsprechendes Angebot im Jahr 2014 ein, bestätigt Verbandsgemeidebürgermeister Dietmar Henrich (parteilos) gegenüber dem SWR. Nach längeren Verhandlungen mit der BImA sei es aber letztlich nicht zu einer Einigung gekommen. Die Anwohner sagen aber, dass ihnen die Neidstreifen nicht von der BImA angeboten wurden.

Das Bundesverkehrsministerium teilt auf SWR-Anfrage mit, dass die BImA solche Parzellen üblicherweise nur dann verkauft, wenn "(…) die betroffene Fläche nicht die einzige Zuwegungsmöglichkeit (Verkehrszweck) zu einem Grundstück darstellt." Obwohl das bei den Anwohnergrundstücken in der Lindenallee der Fall ist, wurden die Neidstreifen aber von der BImA an die Stückländerei GmbH verkauft.

Verbandsgemeindeverwaltung sieht kein rechtliches Verschulden

Dietmar Henrich sagt, mit den heutigen Erkenntnissen würden einige der Entscheidungen wahrscheinlich anders getroffen werden. Er versteht den Unmut der Anwohner, betont aber, es sei nicht die Aufgabe der Ortsgemeinde, sämtliche Grundstücksprobleme aufzulösen.

Dennoch sehe er sich und die Verwaltung in einer gewissen moralischen Verpflichtung, in dieser besonderen Situation tätig zu werden. Für konkrete Schuldzuweisungen sieht er aber keinen Anlass: "Keinem Beteiligten ist hier nach aktuellem Sachstand der Nachforschungen der Verbandsgemeindeverwaltung rechtlich ein Vorwurf zu machen."

Die Anlieger sind nach eigenen Angaben bereit, die "Neidstreifen" zu kaufen, allerdings zu einem niedrigerem und damit für sie angemesseneren Preis.

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