Natalia Labun lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Medizin hat sie in Russland studiert, Psychologie in Deutschland. Mit den Menschen, die zu ihr in die Therapie kommen, spricht sie russisch. Ihre Großeltern stammen allerdings aus der Ukraine. Auch deshalb geht ihr der Krieg in der Ukraine sehr nahe.
SWR Aktuell: Mit welchen psychischen Problemen kommen die geflüchteten Menschen aus der Ukraine zu Ihnen?
Natalia Labun: Die Menschen, die aus der Ukraine zu mir kommen, haben schlimme Ereignisse erlebt: Krieg, Zerstörung, Tod, Sirenen, dunkle Keller. Und wenn sie den Bomben entkommen sind, haben sie oft sehr schlimme seelische Verletzungen erlitten. Rein statistisch leiden 20 bis 40 Prozent der Menschen nach solchen Kriegserlebnissen an Traumafolgestörungen. Dazu gehören Posttraumatische Belastungsstörungen, Angst, Depression, Zwangsstörungen, Schlafstörungen und sogar der Wunsch, sterben zu wollen.
Patienten in Kaiserslautern sind Frauen aus der Ukraine
SWR Aktuell: Für ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren gilt seit Kriegsbeginn ein Ausreiseverbot. Sind aus diesem Grund mehr Frauen bei Ihnen in Behandlung?
Natalia Labun: Ja, 99 Prozent meiner Patienten sind erwachsene Frauen. Sie haben in der Ukraine sehr unterschiedliche Berufe ausgeübt. So behandle ich unter anderem Ärztinnen, Pharmazeutinnen, Verkäuferinnen und Architektinnen. Meine jüngste Patientin ist 18 Jahre und meine älteste schon 70.
SWR Aktuell: Mit welchen Behandlungsformen helfen Sie den Menschen?
Natalia Labun: Zuerst höre ich den Menschen ganz aufmerksam zu und versuche das genaue Problem zu verstehen. Ich frage zum Beispiel: "Was fühlen Sie, was hilft Ihnen, was brauchen Sie?“ Danach stelle ich eine Diagnose. In manchen Fällen brauchen die Menschen nur eine Gesprächstherapie und damit einen Ort, an dem Sie sich ihre Sorgen und Ängste von der Seele reden können. In anderen Fällen brauchen die Leute Medikamente oder sie brauchen eine spezielle Traumatherapie.
Ukraine-Krieg macht russische Ärztin betroffen
SWR Aktuell: Findet die Behandlung stationär oder ambulant am Pfalzklinikum statt?
Natalia Labun: Das hängt von der Schwere der Diagnose ab. Zur Gesprächstherapie kommen die Menschen zu mir in die Ambulanz. Zu Beginn der Therapie erscheinen sie mindestens einmal pro Woche, danach werden die Sitzungen nach Bedarf vereinbart. Übrigens kommen nicht nur geflüchtete Menschen aus der Ukraine zu mir. Gerade zu Beginn des Krieges kamen auch viele Angehörige von Ukrainerinnen und Ukrainer zu mir, die sich um Verwandte und Freunde im Kriegsgebiet sorgten. Mittlerweile sind etwa 30 Menschen bei mir in Behandlung und es werden immer mehr.
Dossier: Krieg gegen die Ukraine - Was bedeutet das für BW und RLP?
SWR Aktuell: Sie selbst stammen aus Russland, haben aber ukrainische Wurzeln und Angehörige vor Ort. Wie nah geht ihnen der Krieg selbst?
Natalia Labun: Der Krieg in der Ukraine betrifft mich sehr stark. Wenn ich nur daran denke, fühle ich Wut und Trauer. Zudem spüre ich ein Gefühl der Zugehörigkeit und große Solidarität. Ich möchte helfen, wo ich kann und das mache ich am besten bei und mit meinen Behandlungen. Bei den Sitzungen erfahre ich auch immer wieder, wie stark die ukrainischen Frauen sind. Trotz der schlimmen Erlebnisse, die sie durchmachen mussten, sind sie sehr tapfer und glauben fest an den ukrainischen Sieg.
Das Interview führte SWR-Reporterin Helen Roth.