Wenn die Geburt zum Trauma wird

Gewalt in deutschen Kreißsälen: Eine Betroffene aus RLP erzählt

Stand
Autor/in
Marah Göttsch

Unzureichende Versorgung und Kommunikation, grenzüberschreitende Behandlungen: Die Initiative Mother Hood e.V. schätzt, dass 20 bis 45 Prozent der werdenden Mütter Gewalt bei der Geburt erfahren. Welche Auswirkungen hat das auf Betroffene?

Die Geburt des eigenen Kindes ist für viele Mütter ein bedeutendes Erlebnis, verbunden mit Glück und Freude. Mit dieser Hoffnung begab sich auch Vanessa aus Rheinland-Pfalz im Sommer 2022 in ein Krankenhaus in Süddeutschland - doch was während der Entbindung passiert, hat für die junge Frau nichts mit Glück zu tun. ”Dass ich tatsächlich ein Trauma habe, war mir lange nicht bewusst“, erzählt sie. Heute redet Vanessa offen über ihre Erfahrungen mit Gewalt während der Geburt.

Immer mehr Kreißsäle in Deutschland schließen, fast jede dritte Geburt erfolgt per Kaiserschnitt. Laut Bundesgesundheitsministerium ist das im europäischen Vergleich überdurchschnittlich viel. Und auch den Hebammen geht es dem Hebammenverband Rheinland-Pfalz zufolge so schlecht wie nie. Zustände, die auch Auswirkungen auf werdende Mütter wie Vanessa haben können.

Gewalt in der Geburtshilfe hat verschiedene Gesichter

In Vanessas Fall hat das konkret bedeutet, dass sie und ihr Mann während der Geburt unter anderem stundenlang allein im Kreißsaal gelassen worden seien - obwohl sie bereits Wehen gehabt habe. Außerdem sei sie mehrmals ungefragt vaginal untersucht worden, der Gang zur Toilette sei ihr verwehrt worden.

”Einfach eine vaginale Untersuchung machen, ist Gewalt. Einfach eine Spritze geben, ist Gewalt. Die Frau nicht ordentlich mit einbinden, ist Gewalt“.

Vanessas Schilderungen verdeutlichen, wie vielfältig Gewalt im Kreißsaal aussehen kann. Das bestätigt die Vorsitzende des Hebammenverbandes Rheinland-Pfalz, Ingrid Mollnar: ”Einfach eine vaginale Untersuchung machen, ist Gewalt. Einfach eine Spritze geben, ist Gewalt. Die Frau nicht ordentlich mit einbinden, ist Gewalt“.

Physische und psychische Gewalt

Gewalt im Kreißsaal können auch körperliche Übergriffe sein: Nicht essen und trinken dürfen, ohne Einverständnis und ohne medizinische Notwendigkeit Eingriffe wie einen Damm- oder Kaiserschnitt unternehmen, das ungefragte Abtasten des Muttermundes. Das alles zählt laut Mother Hood e.V. zur physischen Gewalt im Kreißsaal. Hinzu kommt psychische Gewalt, etwa wie die Patientin während der Geburt allein zu lassen, Zeitdruck aufzubauen oder die mütterliche Eignung der Patientin in Frage zu stellen.

Das Krankenhaus, in dem Vanessa ihr Kind zur Welt brachte, teilt auf Anfrage mit, es würden regelmäßige ärztliche Visiten im Kreißsaal durchgeführt, um den aktuellen Zustand der Geburt beurteilen zu können. Untersuchungen werden nur mit Einverständnis der Patientin durchgeführt.

Mögliche Gründe: Unterbesetztes und überlastetes Personal?

Doch wo liegt die Ursache für ein solches Verhalten durch medizinisches Personal? Einen möglichen Grund sieht Ingrid Mollnar in der hohen Belastung von Hebammen: ”90 Prozent aller Hebammen können während ihres Dienstes keine Pause machen.“ Aufeinander folgende Nachtschichten oder mehrere Patientinnen gleichzeitig zu haben, führten dazu, dass Hebammen für ihre Patientinnen weniger Zeit hätten und der hohe Druck zu verbaler oder körperlicher Gewalt führen könne.

Auch Stationen in Kliniken seien oft unterbesetzt und dadurch die Ärzte überlastet, sagt die Vorsitzende des Hebammenverbands Rheinland-Pfalz. Es sei keine Seltenheit, dass Bereitschaftsärzte, bei Geburten einspringen und mehrere Schichten hintereinander übernehmen.

Junge Frauen hätten oft eine ”falsche Vorstellung“ von Geburten

Die Chefärztin der Geburtshilfe im Krankenhaus Porz am Rhein, Patricia Van de Vondel, sieht ein noch viel grundlegenderes Problem: ”Ich glaube, viele Frauen haben einfach unrealistische Vorstellungen, wie eine Geburt abläuft“, sagt Van de Vondel. ”Eine Geburt ist nicht sanft, eine vaginale Untersuchung tut weh oder kann weh tun. Aber uns zu unterstellen, dass wir bewusst oder unbewusst Gewalt anwenden, finde ich schon sehr weitgehend.“

Das Ziel von Ärzten sei nicht, die Frauen zu quälen, sondern möglichen Komplikationen vorzubeugen oder diese zu behandeln. Sie ist jedoch auch der Meinung, dass mehr mit Patientinnen kommuniziert werden müsse.

”Eine Geburt ist nicht sanft, eine vaginale Untersuchung tut weh oder kann weh tun. Aber uns zu unterstellen, dass wir bewusst oder unbewusst Gewalt anwenden, finde ich schon sehr weitgehend."

Therapie hilft, das Erlebte zu verarbeiten

Kommunikation, die auch Vanessa während ihrer Geburt gefehlt hat. Nach 13 Stunden sei es zum Geburtsstillstand gekommen, berichtet sie - ihr Kind kommt schließlich per Notkaiserschnitt zur Welt. ”Ich habe weder Liebe für mein Kind empfunden noch Erleichterung, dass es da war, noch dieses Mutterglück, von dem alle reden“, erzählt die Rheinland-Pfälzerin. ”Ich war einfach tot. Ich war komplett abgeschnitten von all meinen Empfindungen.“

Vanessa wird von einer Psychologin eine Wochenbettdepression diagnostiziert. Heute gehe es der jungen Mutter besser. Durch eine Therapie habe sie die Geburt verarbeiten können. Komplett abgeschlossen hat sie mit dem Erlebten jedoch nicht: ”Es gibt immer noch Phasen, in denen ich so unfassbar viel Trauer empfinde.“

Gewalt bei der Geburt: So traumatisch war Vanessas GeburtsprozessDie Initiative Mother Hood e.V. schätzt: Bis zu 45 Prozent der werdenden Mütter erfahren Gewalt bei der Geburt. Auch Vanessa berichtet, dass sie traumatisch verlief. Bis heute hat die junge Frau damit zu kämpfen – wie konnte es so weit kommen?Posted by Report Mainz on Monday, August 7, 2023

Änderung durch die Politik?

Die Bundesregierung will noch in dieser Legislaturperiode den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle stärken. Ein Betreuungskonzept, bei dem der Fokus auf der natürlichen Geburt liegt - mit einer 1:1 - Hebammenbetreuung. Hebammenkreißsäle hätten laut aktuellen Forschungsergebnissen positive Auswirkungen sowohl auf Geburtsverläufe als auch auf die Arbeitszufriedenheit der Hebammen, teilt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mit.

Angesichts des Hebammenmangels gestaltet sich die Planung hebammengeleiteter Kreißsäle aktuell aber weiter schwierig, denn die Voraussetzung für das Modell ist eine 1:1-Hebammenbetreuung - ein Personalschlüssel, der in der Praxis bisher wohl kaum umgesetzt wird. Trotzdem sagt Ingrid Mollnar: "Ich spüre schon, dass ein großer Wille da ist seitens der Bundesregierung, aber auch seitens der Landesregierung."

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