Mit ihrer Liebesleben-Kampagne zum Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten bemüht sich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Geschlechtskrankheiten aus der Schmuddelecke zu holen. Doch obwohl einem in Sozialen Medien oder an den großen Werbetafeln und kleinen Bushaltestellen der Republik unter anderem die Botschaft "Benutzt Kondome" ins Gesicht springt, sind Tripper, Chlamydien, Aids und Co. auch 2023 noch mit Scham behaftet. Dabei steigen bei einigen dieser Krankheiten die Fallzahlen seit Jahren an - auch in Rheinland-Pfalz.
Deutlicher Anstieg der Syphilis in Rheinland-Pfalz
So hat sich etwa die Inzidenz bei der Syphilis nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) binnen 20 Jahren beinahe verdreifacht. Kamen in Rheinland-Pfalz im Jahr 2001 noch 2,15 Syphilis-Infektionen auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, erreichte der Wert im Jahr 2018 ein Rekordhoch von 6,78. Kaiserslautern lag mit einer Inzidenz von 21 sogar unter den Städten mit den meisten Ansteckungen in Deutschland.
Dieser Trend findet sich auch beim Blick auf die Bundes-Zahlen. Deutschlandweit wurden 2001 noch 2,42 Fälle pro 100.000 Menschen gezählt. Bis 2019 stieg dieser Wert nahezu kontinuierlich auf eine Inzidenz von 9,54.
Auch Tripper ist auf dem Vormarsch
Doch es ist nicht nur die Syphilis, die um sich greift. Zwar gibt es in Deutschland mit Ausnahme von Sachsen bei der Gonorrhö, die umgangssprachlich als Tripper bekannt ist, keine Meldepflicht nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG). Doch beim Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin wird die Verbreitung der Krankheit trotzdem beobachtet. Dort werden die sächsischen Zahlen unter anderem mit Angaben aus anderen west- und zentraleuropäischen Staaten verglichen. Auch die zeigen, dass auch die Gonorrhö über die vergangenen 10 bis 20 Jahre deutliche Anstiege verzeichnet.
Doch was steckt dahinter? Für Klaus Jansen, Experte beim RKI für sexuell übertragbare Infektionen (STI), liegt das unter anderem am veränderten Umgang mit einer anderen Krankheit, mit HIV. Dort sind die Fallzahlen in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz seit Jahren rückläufig bis stabil.
Schwindende Angst vor HIV begünstigt fahrlässigen Umgang mit anderen Geschlechtskrankheiten
Der Zusammenhang zwischen den sinkenden HIV- und den steigenden Syphilis-Zahlen liegt ihm zufolge bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). In dieser Gruppe werden die allermeisten Infektionen festgestellt. "Der Anstieg der Syphilis seit 2010 fällt unter anderem mit Verhaltensänderungen von MSM im HIV-Bereich zusammen", sagt Jansen.
Damit meint er Risikominimierungsstrategien der Betroffenen, die die Verwendung von Kondomen nach und nach seltener machten: Menschen mit HIV-Diagnose, die gut behandelt seien und deren Viruslast dauerhaft unter der Nachweisgrenze liege, könnten quasi keine HIV-Infektion mehr weitergeben, sagt Jansen. "Nach der Erkenntnis gab es zwischen den Sexpartnern vermehrt Kommunikation über den Viruslast-Status und in der Folge wurde auch häufiger auf das Kondom verzichtet." Außerdem hätten sich Menschen mit HIV-Diagnose vermehrt HIV-positive Sexualpartner gesucht hätten und HIV-Negative ebenfalls negative, das sogenannte Serosorting.
Medikamente und Therapien laufen Kondomen den Rang ab
Neben diesen individuellen Faktoren sei ab 2014 der TasP-Ansatz (Treatment as Prevention) aufgekommen. Dessen gesundheitspolitisches Ziel war es, allen HIV-Positiven die inzwischen deutlich verbesserte Therapie anzubieten und nicht nur denen in einem fortgeschrittenen Stadium. "Das hatte zur Folge, dass die Viruslast in einer großen Population schnell und massiv unter die Nachweisgrenze sank. Die Schätzungen zeigen, dass die Kurve der Neuinfektionen genau zu diesem Zeitpunkt bei MSM massiv runtergeht", analysiert Jansen.
Dazu kam die sogenannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP), ein Medikament, das bei HIV-Negativen verhindert, dass sich das Virus nach dem Eindringen in den Körper vermehren kann. Die Kosten dafür werden seit 2019 von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
"All das hat dazu geführt, dass HIV nach und nach ein bisschen seinen Schrecken verloren hat und weniger Kondome benutzt wurden", schließt Jansen den Kreis und schlussfolgert: "Wenn ich keine Kondome benutze, die ich vorher wegen HIV genutzt habe, gehen natürlich andere STI stärker hoch, die sonst durch eine Kondomnutzung vermieden worden wären, und das ist auch bei der Syphilis passiert."
Aufklärung über Geschlechtskrankheiten ist das A und O
Doch welche Schlussfolgerungen zieht RKI-Experte Jansen aus dieser Erkenntnis? Für ihn ist und bleibt Aufklärung ein Schlüsselfaktor. "Sex ist etwas, das immer stattfinden wird. Das kann man weder verbieten, noch will man das." Deswegen sei es wichtig, Leuten zu sagen, in welcher Form wo welche Risiken bestehen, damit sie sich möglichst gut schützen können. Da passiere von Seiten der BZgA viel bei der breiten Information der Allgemeinbevölkerung. Die Deutsche Aidshilfe biete zielgruppenspezifische Information, etwa für MSM, Sexworker oder Drogengebrauchende.
Die Schulen sind ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, um Wissen vor allem an junge Menschen zu bringen. Laut den rheinland-pfälzischen Lehrplänen für weiterführende Schulen ist das Thema Aufklärung über STIs für verschiedene Fächer vorgesehen. So heißt es dort etwa: "Weiterhin ist der Zusammenhang von Sexualverhalten und sexuell übertragbaren Infektionen (STI, z. B. HIV) geeignet, um Sexualität als Querschnittsthema wieder aufzugreifen."
Ob, wie intensiv und in welchem Fach das Thema am Ende im Unterricht tatsächlich behandelt wird, hängt nach Einschätzung des Verbandes Bildung und Erziehung in Rheinland-Pfalz (VBE) von der einzelnen Lehrkraft ab. Diese passten das Thema individuell an die Lerngruppen an.
Von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) heißt es, das Thema Geschlechtskrankheiten gewinne zwar gerade bei jungen Menschen an Bedeutung, doch seien sie kaum Thema im Unterricht. "Da würden wir uns für die Kollegen nochmal Input vom Ministerium wünschen. Sei es durch Broschüren, durch Hinweise auf Fortbildungen oder auf Kooperationen etwa mit pro familia", sagt der Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer.
Testangebote als Schlüsselfaktor bei der Bekämpfung sexuell übertragbarer Infektionen
Neben der Aufklärung setzt RKI-Experte Jansen aufs Testen: "Es ist immer sinnvoll, wenn Infektionen möglichst früh diagnostiziert und therapiert werden, weil das für den einzelnen klinische Schäden klein hält und die Infektion nicht weitergetragen wird."
Er wirbt dafür, möglichst flächendeckend niedrigschwellige Testangebote zu bieten, "wo man keine Angst haben muss hinzugehen, weil man vielleicht Stigmatisierungsprobleme befürchtet." Da spiele der öffentliche Gesundheitsdienst eine wichtige Rolle, weil quasi jedes Gesundheitsamt ein anonymes HIV-Testangebot habe. Auch auf Syphilis könne man sich bei vielen der Ämter testen lassen. Bei Chlamydien und Gonorrhö hingegen werde es da schon dünner. Die Testangebote seien oft kostenlos, das sei aber von Kommune zu Kommune unterschiedlich.
Die breite Aufklärung und das Testangebot sollte im besten Falle zu einer "fröhlichen Gesundheitskompetenz" führen, sagt Jansen. Wer einen Sexualkontakt im Nachhinein risikoreich fand und vielleicht sogar noch Symptome wie ein Jucken, Brennen oder zum Beispiel Veränderungen an der Haut bemerke, solle fix zum Arzt gehen und sich testen lassen. "Der Königsweg ist, dass man gut gelaunt zum Test gehen kann, ohne das Gefühl zu haben, ich muss jetzt hier zum Sexarzt, das ist mega peinlich."
Lieber werde ein Test zu viel gemacht, als dass eine Infektion unerkannt und unbehandelt bleibe und weitergetragen werde, so der Rat des Experten. Denn fast alle STIs - inklusive HIV, das allerdings ein Leben lang bleibe - ließen sich gut behandeln.
Impfungen bei Geschlechtskrankheiten: Erfolge bei HPV-Viren
In diesem Zusammenhang verweist Jansen auch noch auf die HPV-Viren, die beispielsweise unangenehme Feigwarzen, Gebärmutterhalskrebs bei Frauen oder Analkrebse und Peniskarzinome bei Männern verursachen könnten. "Da gibt es super gute Impfungen gegen ganz unterschiedliche HPV-Typen auf einmal."
"Das wird bezahlt, seit wenigen Jahren sogar auch für Jungs, und wird sinnvollerweise möglichst schon im Alter zwischen 9 und 14 Jahren vor dem ersten sexuellen Kontakt geimpft", wirbt er. Es gebe "sehr beeindruckende Zahlen" aus Australien, wo schon länger sehr systematisch geimpft werde. Nachdem dort die Impfraten hochgegangen seien, seien zuerst die einfachen Komplikationen wie die Feigwarzen aber auch die Krebsfälle super runtergegangen, macht Jansen Hoffnung.