Überraschend kündigte das Landesamt für Soziales an, das Finanzgebaren der Kreuznacher Diakonie jetzt doch zu prüfen. Es geht um den Verdacht, dass das Sozialunternehmen Steuergeld für Behinderte nicht im Sinne der Betroffenen verwendet.
Das Landesamt sah bisher keinen Grund, den Vorwurf zu prüfen, obwohl der Landesrechnungshof bereits im Januar eine solche Prüfung gefordert hatte. Der SWR hatte zuvor über mehrere Eltern von behinderten Kindern berichtet, die eine Prüfung fordern - ebenso ein ehemaliger leitender Arzt der Diakonie.
Prüfung nach zahlreichen Beschwerden
Wie das Landesamt mitteilt, erfolge aufgrund aktueller Beschwerden und Hinweise nun eine Prüfung. Es geht um den Verdacht, dass bei der Kreuznacher Diakonie Geld für Behinderte teils verwendet wurde, um im defizitären Klinikbereich Finanzlöcher zu stopfen. Dies sei verboten, so der Rechnungshof. Steuergeld für Behinderte dürfe nicht zweckentfremdet werden.
Ausgelöst wurde der Verdacht durch ein Interview der "Rheinzeitung" im Herbst vergangenen Jahres mit dem Finanzvorstand der Kreuznacher Diakonie, Andreas Heinrich. In dem Interview hatte er gesagt, dass sein Unternehmen 2022 mit einem finanziellen Plus abgeschlossen habe, sei möglich gewesen, weil man Defizite in den Krankenhäusern mit Gewinnen unter anderem bei Wohneinrichtungen und Werkstätten für behinderte Menschen ausgleichen konnte.
Landesrechnungshof sieht rechtswidrige Verwendung von Geldern
In den Augen des Landesrechnungshofs ist das rechtswidrig. Er argumentiert: Behindertenwohnheime und Werkstätten sind gemeinnützige Einrichtungen, die sich überwiegend aus Steuergeld finanzieren. Etwaige Gewinne müssten den behinderten Menschen zugutekommen, beispielsweise um Einrichtungen auszubauen oder neue Maschinen für eine Werkstatt anzuschaffen. Es sei verboten, mit dem Geld in anderen Bereichen Finanzlöcher zu stopfen, so der Rechnungshof.
Diakonie bestreitet Zweckentfremdung
Trotz des Interviews bestreitet die Kreuznacher Diakonie, Geld der Behindertenhilfe zweckentfremdet verwendet zu haben. Dem SWR teilte die Kreuznacher Diakonie im Januar mit: "Das Zitat unseres Vorstandes, das sich auf die Struktur der Stiftung bezieht, ist richtig, jedoch wurde es von der Presse in einen falschen Zusammenhang gesetzt und ist daher missverständlich."
Den Rechnungshof überzeugt das nicht. Er fordert, dass das Land den Sachverhalt prüft. Das Land lehnte eine solche Prüfung bisher ab. Das zuständige Landesamt für Soziales hatte dem SWR im Januar mitgeteilt, eine Prüfung würde voraussetzen, dass vertraglich oder gesetzlich vereinbarte Leistungen nicht erbracht worden seien. Dafür gebe es aber keine Anhaltspunkte.
Rechnungshof: Geht an der Sache vorbei
Aus Sicht des Rechnungshofs geht das an der Sache vorbei. Wenn die Diakonie hohe Gewinne aus Behindertenwerkstätten erwirtschaften könne, bestehe der Verdacht, dass das Land zu viel Geld gibt. Um das zu klären, brauche es eine Prüfung.
Außerdem brauche das Landesamt für Soziales gar keine Anhaltspunkte - es könne jederzeit ohne Anlass prüfen, so der Rechnungshof. Das gehe aus den landesgesetzlichen Regelungen zum § 12 AGSGB hervor, die der Landtag 2018 beschlossen habe. Danach habe das Land das Recht, ohne konkreten Anlass zu kontrollieren, ob Behinderteneinrichtungen das Steuergeld wirtschaftlich und im Sinn der behinderten Menschen einsetzen.
Schwimmen, Reiten, Kegeln: Eltern klagen über immer weniger Angebote
Auch Eltern, deren behinderte Kinder in Einrichtungen der Kreuznacher Diakonie untergebracht sind, forderten eine solche Prüfung. Sieben Eltern haben sich deshalb bislang an den SWR gewendet. Sie sagen, der Betrag, den das Land an Sozialunternehmen wie die Kreuznacher Diakonie für die Betreuung und Unterbringung von Behinderten Menschen zahlt, steige seit Jahren. Trotzdem kürze die Kreuznacher Diakonie die Leistungen für Betroffene immer weiter. Nach Angaben des Landesrechnungshofs zahlen Land und Kommunen für die Behindertenhilfe in Rheinland-Pfalz rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr an Einrichtungen wie unter anderem die Kreuznacher Diakonie.
Eine der Eltern ist Margot Fückel aus Bad Kreuznach. Ihr Sohn lebt seit mehr als 20 Jahren vollstationär in einer Einrichtung der Kreuznacher Diakonie. Sie sagt, das Angebot für Sport, Schwimmen, therapeutisches Reiten oder Radfahren sei reduziert oder sogar ganz eingestellt worden. Jahrelang sei man mit den Behinderten Kegeln gegangen, auch das gebe es nicht mehr. Der regelmäßige Besuch von Gottesdiensten sei ebenfalls gestrichen worden. Gemeinsame Einkäufe mit den Behinderten gebe es immer weniger. Die Mutter sagt: Die soziale Teilhabe und die Erhaltung der Mobilität der Behinderten gerate immer mehr in den Hintergrund.
Eltern vermuten zweckentfremdete Verwendung von Steuergeld
In persönlichen Gesprächen hätten Verantwortliche die Defizite eingeräumt und damit begründet, dass sie zu wenig Geld vom Land bekämen. Margot Fückel und die anderen Eltern glauben das aber nicht. Sie vermuten, dass die Leistungen für ihre behinderten Kinder reduziert wurden, um mit dem eingesparten Geld Finanzlöcher in anderen Bereichen zu stopfen.
Auch der Mediziner Matthias Schmidt-Ohlemann hat von deutlichen Leistungskürzungen erfahren. Er war 30 Jahre lang als leitender Arzt bei der Kreuznacher Diakonie tätig und einige Jahre Mitglied der Geschäftsführung. Schmidt-Ohlemann sagte dem SWR, er bekomme mit, dass die Kreuznacher Diakonie Leistungen und dadurch Geld einspare - zum Beispiel bei der Freizeitgestaltung. Auch das Angebot an ärztlicher und therapeutischer Betreuung der behinderten Menschen sei reduziert - die mobile Reha sogar ganz geschlossen worden.
Mediziner fordert Prüfung durch Landesamt
Schmidt-Ohlemann sagte dem SWR, auch er höre von den Verantwortlichen der Kreuznacher Diakonie, dass das Land zu wenig Geld gebe. Es sei auch möglich, dass das tatsächlich so ist. Aber nach dem Interview des Finanzvorstands hält er es genauso für möglich, dass mit dem eingesparten Geld aus der Behindertenhilfe an anderen Stellen Finanzlöcher gestopft wurden.
Deshalb spricht auch er sich dafür aus, dass das Landesamt für Soziales den Vorgang prüft. "Dabei kommt entweder raus, dass Geld für behinderte Menschen für andere Zwecke verwendet wurde oder es kommt raus, dass das Land Sozialunternehmen wie der Kreuznacher Diakonie tatsächlich zu wenig Geld gibt. In jedem Fall schafft eine solche Prüfung Klarheit."