Interview mit Lisa Diener vom Städtetag RLP

Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt - "Die Städte stehen enorm unter Druck"

Stand
Autor/in
Jeanette Schindler

Bund und Länder haben beraten, wie die Kosten für die Aufnahme für Flüchtlinge verteilt werden. Die Kommunen in RLP verlangen aber mehr als nur Geld.

Allein der Landkreis Neuwied hat 2022 mehr als doppelt so viele Menschen aufgenommen wie im bisherigen Rekordjahr 2015. Eine menschenwürdige Unterbringung und gute Integration ist für die Kommunen eine extrem schwierige Herausforderung geworden. Dabei geht es nicht nur um mehr Geld, sagt die Geschäftsführerin des Städtetages Rheinland-Pfalz, Lisa Diener, im SWR-Interview.

SWR Aktuell: Die Kommunen sind heute zum Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt nicht eingeladen. Was sagen Sie dazu?

Lisa Diener: Wir hätten uns gewünscht, dass die Staatskanzlei uns wenigstens vorab zum Austausch eingeladen hätte. Der Termin am Mittwoch ist für die Kommunen wirklich wichtig, weil dort Themen behandelt werden, die sich vor Ort unmittelbar auswirken werden.

SWR Aktuell: Was ist Ihre wichtigste Forderung an den Bund?

Diener: Wir erwarten, dass sich Bund und Länder auf eine dauerhafte tragbare Finanzierung einigen. Dauerhaft meint, dass wir jetzt nicht wieder Einmalzahlungen kriegen, um eine akute Lösung oder eine akute Fluchtbewegung zu bewältigen, sondern wirklich eine dauerhafte Finanzierung des Themas Flucht, denn das ist eine Daueraufgabe. Meine Hoffnung ist allerdings ein bisschen getrübt, weil es schon erste Signale gab, wie der Bund sich zu mehr Finanzmittel äußert.

Wichtig ist aus unserer Sicht zudem, dass das Thema Integration mehr in den Fokus genommen wird. Viele der geflüchteten Menschen werden in Deutschland bleiben, daher muss die Fluchtaufnahme zwingend mit einem Integrationskonzept hinterlegt werden. Hierzu gehört mehr Anstrengungen des Bundes bezüglich des Angebots an Sprach- und Integrationskurse, bei der Arbeitsmarktintegration der Menschen, aber auch bei Erleichterungen in Kitas und Schulen.

SWR Aktuell: Aber können die aktuellen Probleme mit mehr Geld tatsächlich gelöst werden? Es fehlen generell Fachkräfte, es fehlt generell Wohnraum.

Diener: Sie haben recht, dass viele aktuelle Probleme nicht mit Geld akut gelöst werden können. Die finanziellen Mittel würden allerdings die Sicherheit bieten, dass die Kommunen im Nachhinein nicht auf den Kosten sitzen bleiben.

SWR Aktuell: Nehmen wir das Thema Personal, das in Kitas, in der Sozialarbeit und in den Behörden fehlt. Wie müsste man dieses Problem angehen?

Diener: Zum einen muss die Arbeit, die die Menschen leisten, mehr wertgeschätzt werden. Es muss für die Menschen aber auch attraktiv sein, in diesem Bereich zu arbeiten. Die Städte müssen die Möglichkeit haben, ihre Mitarbeiter zu halten, das heißt, sie müssen sie attraktiv bezahlen können.

Zum Beispiel müssen sie ihnen auch Beförderung ermöglichen können. Das ist zurzeit leider nicht überall so möglich, da die Haushaltslage vieler Städte sehr angespannt ist. Mit der Kommunalaufsicht gibt es sehr starke Diskussionen, was Personal, Beförderungen, und Eingruppierung angeht.

SWR Aktuell: Und in den Kitas?

Diener: Hier ist die Überlegung, ob sich die Ausnahmeregelung, die wir jetzt im Bereich der Ukraine schon hatten, bewährt hat, wir sie also dauerhaft etablieren können. Das heißt, auch Menschen, die vielleicht eine andere Ausbildung mitbringen und weniger qualifiziert sind als Fachkräfte, in den Kitas arbeiten können.

SWR Aktuell: Wäre auch denkbar den Stab der ehrenamtlichen Hilfe wieder neu zu beleben? Möglicherweise mit finanziellen Anreizen?

Diener: Ja, wir brauchen eine Offensive, um mehr Ehrenamtliche zu gewinnen. Gegebenenfalls kann das angereizt werden über Vergütungen, über Privilegien. Es müsste auch wesentlich mehr Schulungen und Erfahrungsaustausch unter den Ehrenamtlern ermöglicht werden, damit sie die zum Teil auch wirklich emotional belastenden Situationen weiterhin gut aushalten.

SWR Aktuell: Auch beim Wohnraum fehlt es generell an Gebäuden, die genutzt werden können. Welche Möglichkeiten sehen Sie noch?

Diener: Wir fordern, dass der Bund und das Land den Kommunen auch eigene Immobilien zur Verfügung stellen - ohne Zinsen, ohne Mieten, also kostenlos. Die Gebäude müssen allerdings geeignet sein. Wir hatten schon erste Gebäude des Bundes angeboten bekommen. Da war im Nachhinein die Ernüchterung groß, weil die Gebäude teilweise zu klein oder sanierungsbedürftig waren.

Eine Bitte richtet sich natürlich auch an den privaten Wohnungsmarkt. Wir brauchen mehr Wohnungen, die für geflüchtete Menschen zur Verfügung zu gestellt werden. Das ist natürlich in den Städten mit dem angespannten Wohnungsmarkt sehr schwierig.

Die Städte könnten außerdem bei der Unterbringung der geflüchteten Menschen durch den Bund und das Land entlastet werden, indem nur noch Menschen mit einer Bleibeperspektive auf die Städte verteilt werden.

SWR Aktuell: Die Turnhalle ist voll, es gibt keinen privaten Unterkünfte mehr und trotzdem wird der Kommune eine neue Gruppe Geflüchteter zugewiesen. Was macht eine Gemeinde denn in so einer Situation?

Diener: Im Moment haben wir jetzt eine positive Entwicklung. Im zweiten Quartal wurden den Kommunen weniger Menschen zugewiesen als angekündigt. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass die Fluchtbewegung in den Sommermonaten nochmal zunimmt. Einen Grund zur Entwarnung gibt es also noch nicht.

Es gibt fast überall Planungen, Containersiedlungen zu errichten. Aber auch Container haben derzeit eine lange Lieferzeit. Wenn der Zuzug weiter so anhält, kommen natürlich auch Zwischennutzungen, beispielsweise in Turnhallen, in Betracht. Das ist nicht mehr auszuschließen.

SWR Aktuell: Was hören Sie aus den Kommunen? Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?

Diener: Die Städte stehen enorm unter Druck, eine Balance zu wahren. Einerseits das Angebot an die eigene Bevölkerung, weiterhin im Normalmaß aufrechtzuerhalten und andererseits aber auch der humanitären Verpflichtung der Fluchtaufnahme, gerecht zu werden. Also, es besteht viel Sorge, teilweise auch Hilflosigkeit, was das angeht, denn es ist etwas, was die Kommunen selbst nicht steuern kann.

SWR Aktuell: Glauben Sie, der Bund-Länder-Gipfel im Kanzleramt wird eine Lösung bringen?

Diener: Ich bin verhalten optimistisch. Ich glaube, der Druck der kommunalen Ebene ist auch den Ländern inzwischen gut bekannt, dürfte auch dem Bund bekannt sein, so dass sich Bund und Länder eigentlich bewegen müssen, damit die Fluchtaufnahme überhaupt weiter erfolgreich umgesetzt werden kann und wir in Deutschland damit nicht gegen die Wand fahren.

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