SWR Aktuell: Herr Plachter, Sie sind Leiter des Instituts für Virologie an der Unimedizin Mainz. Schütteln Sie schon wieder Hände?
Bodo Plachter: Ich schüttle die ganze Zeit eigentlich ungern Hände, das hat aber nix mit Corona zu tun. Corona geht ja in der Regel nicht über Hände, sondern wie wir jetzt mittlerweile alle wissen über Aerosole, über Tröpfchen. Über Hände können zum Beispiel Erreger von Durchfallerkrankungen übertragen werden, auch das ist nicht besonders angenehm. Von daher: Händehygiene ist schon nach wie vor wichtig.
Hier das ganze Interview ungekürzt zum Anhören, die Schriftform ist redaktionell bearbeitet:
SWR Aktuell: Das Coronavirus verschwindet vermutlich auch aus Ihrem Arbeitsalltag - werden Sie da was vermissen?
Plachter: Ob das jetzt wirklich verschwindet, das wage ich mal zu bezweifeln. Natürlich wird das bleiben, dieses Coronavirus. Natürlich wird die öffentliche Aufmerksamkeit irgendwann erschlaffen und nachlassen. Aber wir haben hier eine diagnostische Abteilung und da wird natürlich auch weiter nach Corona gesucht werden. Insofern wird für uns, was den Tagesablauf angeht, Corona nicht vollständig verschwinden, es wird ein Erreger unter mehreren oder vielen sein.
SWR Aktuell: Abgesehen von der Diagnostik - Welche Fragen beschäftigen die Virologen jetzt noch zum Coronavirus?
Plachter: Das, was ich gesagt habe, betrifft die Klinik. Natürlich wird man Corona weiter untersuchen. Es gibt noch sehr, sehr viele offene Fragen - auch was die Molekularbiologie und die Interaktion von diesem Virus mit uns, mit unseren Zellen angeht. Das geht dann wirklich ins Detail, das ist dann wirklich molekulare Biologie. Man darf eines nicht vergessen: Natürlich gibt es da draußen noch ganz viele ähnliche Erreger. Das wissen wir ja mittlerweile, dass auch in Fledermäusen sehr ähnliche Viren gefunden werden und die möglicherweise auch wieder übertragen werden können.
SWR Aktuell: Wir sind jetzt offiziell von der Pandemie in die Endemie geglitten - Corona vergessen, das geht aber trotzdem nicht?
Plachter: Das Coronavirus wird bleiben, da sind, glaube ich, mittlerweile die meisten einig. Es ist noch nicht ganz klar, wie sich das ganze dann auswirken wird. Da gibt's natürlich alle Möglichkeiten - dass Corona sich soweit abschwächt, dass es nur noch Schnupfen hervorruft oder ob es möglicherweise so bleibt, dass einige Menschen, die sich infizieren, auch schwer erkranken können. Das ist komplett unklar, da muss man die Zukunft abwarten.
SWR Aktuell: Ganz konkret gibt es jetzt diese riesige Corona-Welle in China. Droht da nochmal neues Ungemach?
Plachter: Grundsätzlich ist es so: Überall dort, wo viel Virus zirkuliert, besteht eine höhere Chance auf Mutationen und dann können natürlich auch wieder Varianten entstehen, die dann vielleicht wieder infektiöser sind, die dann möglicherweise schwerere Krankheitsverläufe hervorrufen. Das ist zunächst nicht wahrscheinlich, aber es ist möglich. Großes Problem dabei ist halt die Kommunikationsfreudigkeit - oder die fehlende Kommunikationsfreudigkeit der chinesischen Behörden. Man erhält nach wie vor nach meiner Auffassung - und ich glaube, da bin ich nicht ganz alleine - nicht wirklich ein vollständiges Bild, von dem, was in China abläuft. Wir müssen nach wie vor wachsam sein.
SWR Aktuell: Wie sieht es mit den Impfstoffen aus - ist da derzeit was in der Entwicklung oder ist man auf einem Niveau angekommen, dass man sagt, man belässt die Impfstoffe erstmal, weil sie erreichen, was sie erreichen sollen?
Plachter: Die Hersteller arbeiten immer wieder daran, die Impfstoffe anzupassen, zu verbessern. Möglicherweise - auch da gibt es schon Studien - werden diese Impfstoffe kombiniert, also beispielsweise der Corona-Impfstoff mit einem Grippeimpfstoff. Perspektivisch wird man sehr wahrscheinlich ähnlich wie bei dem Grippeimpfstoff den Impfstoff immer wieder leicht anpassen müssen.
SWR Aktuell: Die Masken haben uns gut geschützt vor Corona - und auch vor anderen Viren. Ist es sinnvoll, im Herbst und Winter häufiger Maske zu tragen? Wir haben jetzt eine starke RS-Welle, eine starke Grippewelle, weil wir uns so gut geschützt haben.
Plachter: Das muss man mal sehen, wenn der Winter rum ist, ob das wirklich so außergewöhnlich war im Vergleich zu den Vorjahren. Das wird man einordnen müssen. Die Frage, ob man jetzt dauerhaft Masken tragen soll, das muss jeder für sich selber entscheiden.
Natürlich kann ich mich durch die Maske vor Infektionen schützen, auf der anderen Seite ist es aber auch unrealistisch. Die meisten Übertragungen finden im privaten Bereich statt, bei Feiern, bei Familientreffen und da wird ja keiner Maske tragen. Man kann sich zukünftig überlegen, wenn man im öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, ob man sich dann durch Masken schützt, wie es in asiatischen Ländern ja durchaus üblich ist.
SWR Aktuell: Wenn wir einen Strich unter die Corona-Zeit ziehen - haben wir als Gesellschaft insgesamt irgend etwas Sinnvolles, Nachhaltiges durch Corona gelernt?
Plachter: Das ist eine schwierige Frage. Das wird sich vielleicht auch erst in Zukunft herausstellen. Man hat, glaube ich, wieder ein bisschen ins Bewusstsein bekommen, dass Infektionskrankheiten durchaus ein Problem darstellen. Dass man sich vor Infektionskrankheiten schützen muss und sicherlich auch ein bisschen, dass man Impfungen doch etwas ernster nehmen sollte und man sich durch Impfungen auch gegenüber anderen Erregern besser schützen sollte.
Wichtig meiner Ansicht nach ist, dass generell daraus gelernt wird, was nicht gut funktioniert hat das erste ist natürlich die Krankenversorgung. Wir müssen uns besser aufstellen auch für künftige Ereignisse. Wir können keine Ereignisse vorhersehen, keine Frage, aber wir können doch eine gewisse Vorsorge auch interpandemisch betreiben.
SWR Aktuell: Vor ziemlich genau 100 Jahren gab es die verheerende Spanische Grippe. Im kollektiven Gedächtnis hat die nicht viele Spuren hinterlassen. Mit Maske unterm Weihnachtsbaum - das kommt einem jetzt schon fast surreal vor. Wann werden wir Corona vergessen haben?
Plachter: Es ist ganz klar: Kollektives Gedächtnis hängt ja immer an Personen und fast keiner, der die Spanische Grippe erlebt hat, lebt jetzt noch. Das gleiche wird mit Corona sein. Es wird natürlich irgendwann aus dem Gedächtnis verschwinden. Die Nachhaltigkeit von solchen Ereignissen ist begrenzt, leider, muss man sagen, weil eben andere Konflikte, andere Probleme wichtiger werden und weil natürlich diejenigen, die es erlebt haben, älter werden und die Jüngeren das nicht mehr aus eigener Erfahrung kennengelernt haben. Keiner oder fast keiner von uns hatte vorher so eine Pandemie erlebt. Das heißt, wir alle haben es jetzt zum ersten Mal erlebt, natürlich wird das irgendwann verblassen. Und dann wird man sehen, ob wir uns weiterentwickelt haben.