Landwirte stehen vor immer größeren Herausforderungen. Hitzeperioden und starke Regenfälle mit Hagel können innerhalb von Stunden eine komplette Ernte vernichten. Eine Lösung könnten Agroforst-Systeme sein. Ob die sich in der Praxis bewähren, will der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord in der Gemeinde Seewald-Schernbach (Kreis Freudenstadt) herausfinden. Auf dem Hof Sonnenwald startete ein Agroforst-Projekt, das wissenschaftlich von der Universität Hohenheim begleitet wird.
Bei der Agroforstwirtschaft werden Bäume und Landwirtschaft miteinander kombiniert. Auf einer Fläche werden Bäume und Ackerkulturen, Wiesen oder Weiden so angelegt, dass es für Landwirtschaft, Natur und Klima gleichermaßen vorteilhaft ist. Je nach Standort und Klimabedingungen werden Bäume mit Acker- und Gemüsekulturen kombiniert.
Landwirte in Seewald haben mehr zu ernten
Beim Modellpropjekt in Seewald (Kreis Freudenstadt) wurden verschiedene Bäume und Sträucher gepflanzt. Auf einem Acker stehen Obstbäume, auf einem anderen Weiden und Pappeln. Ihr Holz kann gerodet und als Brennholz genutzt werden. Zwischen den Gehölzstreifen können Kühe, Schafe und Ziegen grasen oder wie in Seewald Hühner Schutz finden. Die Kombinationsmöglichkeiten sind riesig, schwärmt Landwirt Paul Hofmann vom Sonnenwaldhof in Seewald-Schernbach. Er ist Ansprechpartner und Berater für Landwirte, die sich für das Agroforst-System interessieren.
Anfang 2022 hat Paul Hofmann, Landwirt auf dem Hof Sonnenwald und Humus-Projektmanager beim Naturpark, das erste Agroforst-System angelegt. Also Flächen, auf denen Ackerprodukte wie Weizen sowie Bäume und Sträucher gemeinsam angebaut werden. Entlang der 15 Meter breiten Ackerflächen befinden sich Streifen, in denen in einer Reihe Bäume wie Ebereschen, Weiden, Bergahorn oder Kirschen gepflanzt wurden. In einer zweiten Reihe wachsen Wildobststräucher wie Sanddorn oder Aronia. Aus ihren Früchten wird Saft hergestellt. Die Baum- und Sträucherreihen sorgen dafür, dass sich durch ihre Wurzeln im Boden mehr Feuchtigkeit und Nährstoffe im Boden befinden.
Modellprojekt zeigt: Bäume sorgen für Feuchtigkeit
"Die Bäume haben bei Wind eine ausbremsende Wirkung", erklärt Hofmann. Zum einen wird der Boden vor Erosion geschützt, sprich Nährstoffe, die sich aus abgestorbenen Wurzeln und Laub bilden, sorgen für einen besseren Boden. Zum anderen können die Hölzer mehr Feuchtigkeit halten. Sobald es windet, wird Luft mit verdunstetem Wasser weggetragen, so Hofmann. Die Feuchtigkeit kann also nicht gebunden werden. Anders, wenn entlang der Ackerfläche Bäume stehen: Durch sie könne sich mehr Tau bilden. "Weil die Bäume emporragen, ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass es sich entlang der Baumstreifen mal abregnet", so Hofmann. Insgesamt bleibe mehr Wasser auf der Fläche und könne so genutzt werden.
Das oberste Ziel sei es, mehr Wasser in der Fläche zu halten, so Hofmann. Nicht weniger Wasser zu verbrauchen – sondern möglichst wenig davon unproduktiv zu verbrauchen. Dabei spielen auch die Wurzeln eine wichtige Rolle, die die Pflanzen auf dem Acker mit Feuchtigkeit und Nährstoffen versorgen.
Extrem wichtig: Mikronährstoffe im Boden
Damit diese möglichst tief unter dem Acker gedeihen, sollten die oberen Wurzeln der Bäume alle drei Jahre mit einem Tiefenlockerer gekappt werden. Wenn im Sommer reifes Getreide braun auf dem Acker steht und bei Starkregen kaputt geht, werden Mikronährstoffe ausgewaschen, die ohne Gehölzstreifen ungenutzt im Boden versickern. Pflanzt ein Landwirt Sträucher und Bäume, können diese die Nährstoffe für ihre Blätter im Frühjahr aufnehmen. Werden diese abgeworfen ernähren sie die Bäume direkt. Alle wichtigen Nährstoffe sind in Agroforst-Systemen besser verfügbar, so Hofmann.
Gehölze im Agroforst-Projekt: Kohlendioxid binden
Um Nährstoffe in den Boden zu bekommen, setzen viele Landwirtinnen und Landwirte auf den Zwischenfruchtanbau. Dieser bringe zwar etwas, aber nur kurzfristig. Im nächsten Jahr verliere man den wertvollen Kohlenstoff wieder, der den Pflanzen als Dünger dient. Beim Agroforst-System werde Jahr für Jahr immer weiter Kohlenstoff gesammelt, auf 20 bis 30 Jahre, so Hofmann, der das Humusprojekt des Naturparks Schwarzwald Mitte/Nord mitbetreut. Möglichst unterschiedliche Bäume und Sträucher zu setzen, sei gut für den Boden.
Da die Gehölzflächen nicht gedüngt werden, gelangen weniger Stoffe wie Nitrat ins Grundwasser, die Gehölze binden vielmehr Kohlendioxid. Durch den geschlossenen Nährstoffkreislauf und den Aufbau von Humus wird der Boden fruchtbarer und somit auch ertragreicher. Im Holz der Bäume und Sträucher werden große Mengen an Kohlenstoff gespeichert.
Landwirte im Schwarzwald als Naturschützer
Durch das neue System können Landwirtinnen und Landwirte aktiv Naturschutz betreiben und die Artenvielfalt fördern. Denn in den Bäumen und Sträuchern entlang der Ackerflächen siedeln sich gerne Vögel und Insekten an, so Hofmann. Auf dem Hof Sonnenwald werden die Flächen für die Haltung von Rindern, Schafen oder Ziegen genutzt. Pflanzt man wertvolle Baumarten, nimmt man längerfristig auch durch den Holzverkauf zusätzliches Geld ein. Durch den Verkauf von Brenn- und Wertholz, Obst oder Nüssen, könnten Landwirte ihre Produktpalette erweitern.
Größte und komplexeste Fläche in Süddeutschland
Die neun Landwirte auf dem Hof Sonnenwald in Seewald haben in den vergangenen Jahren auf insgesamt 16 Hektar mehr als 30.000 Gehölze in unterschiedlichen Systemen auf Acker- und Grünlandflächen gepflanzt. Laut Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord gibt es in ganz Süddeutschland kein weiteres Agroforst-System dieser Größenordnung. Das Interesse am Agroforst-System sei groß, teilt der Naturpark Mitte/Nord mit. Mit dem Modellprojekt werden zunächst bis zu zehn landwirtschaftliche Betriebe mit Weiterbildungen dabei unterstützt, Agroforst-Systeme anzulegen.