Könnte die Kappung der Gäubahnstrecke vom Bodensee an den Stuttgarter Hauptbahnhof doch noch verhindert werden? Darüber haben Interessensverbände, Bürgermeister und die Deutsche Bahn am Freitag in Stuttgart diskutiert. Im sogenannten Gäubahn-Faktencheck wurden mehrere Alternativen vorgestellt und durchgespielt.
Wegen des Baus eines Tunnels im Zuge des Megaprojekts Stuttgart 21 droht die Kappung der Gäubahn für mehrere Jahre. Die Züge aus Singen sollen ab 2025 nicht mehr bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren, sondern in Stuttgart-Vaihingen enden. Tausende Fahrgäste im Fern- und Regionalverkehr müssten dann für viele Jahre auf S-Bahn, Busse und Stadtbahnen umsteigen. Die Deutsche Bahn und die Stadt Stuttgart beispielsweise befürworten diese Zwischenlösung. Anrainer-Kommunen entlang der Gäubahn, zum Beispiel Böblingen, Herrenberg, Horb und Singen, befürchten, mit dieser Variante von Stuttgart abgehängt zu werden.
S-Bahn-Verlängerung bis nach Singen?
Eingeladen zum Faktencheck nach Stuttgart hatte der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn. Dessen Vorsitzender Guido Wolff, auch CDU-Landtagsabgeordneter, sagte am Freitag: "Der Faktencheck war sinnvoll, um einmal mehr deutlich zu machen, dass sich die Gäubahnanlieger im Süden vehement gegen die Kappung der Gäubahn am Hauptbahnhof Stuttgart wenden." Und Wolff weiter: "Deshalb brauchen wir eine Lösung, die nicht ausschließlich in einem Umstieg in Vaihingen liegen kann. Für mich hat sich heute die Option einer S-Bahnverbindung in den Süden ergeben, deren weitere Untersuchung ich für notwendig erachte." Dabei müsse auch eine S-Bahnverbindung von Stuttgart nach Singen geprüft werden.
Stuttgart und Bahn befürworten Ende der Gäubahn am Bahnhof Vaihingen
Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU) bekräftigte am Freitag seine Haltung, die Gäubahn-Führung in Stuttgart-Vaihingen enden zu lassen und bezeichnete das als "beste Übergangslösung".
Der Vertreter der Deutschen Bahn, Thorsten Krenz, unterstrich am Freitag die Meinung der Bahn, die ein Ende der Gäubahn in Stuttgart-Vaihingen mit Umstieg nach Stuttgart für am besten hält. Der teilweise Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs sei "keine Option". Zu den S-Bahn-Plänen sagte Krenz, er begrüße, "dass es nun ergebnisoffene Gespräche zu einer möglichen S-Bahn-Verlängerung über Herrenberg hinaus geben wird".
VDC fordert "unabhängiges Gutachten"
Der Landesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD) Matthias Lieb kritisiert, dass der Faktencheck nicht von einer neutralen, dritten Seite überprüft wurde. Er wirft der Stadt Stuttgart vor, sich von eigenen Interessen leiten zu lassen. Hintergrund ist, dass auf der Fläche, wo heute die oberirdischen Gleise liegen, nach Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs in den nächsten Jahren ein Wohnquartier entstehen soll. "Es wäre zu überprüfen, ob die Argumente stichhaltig sind und nicht dem geschuldet sind, dass die Stadt Stuttgart schnell Städtebau betreiben möchte. Das ist die Aufgabe von einem zweiten Faktencheck, der es von einer dritten unabhängigen Seite untersuchen lässt."
Bereits im Vorfeld hatte Matthias Lieb die Objektivität des Faktenchecks in Stuttgart angezweifelt. Er sprach von einer reinen Informationsveranstaltung für geplante Lösungen von Deutscher Bahn und der Stadt Stuttgart.
Der VCD hat daher bereits am Dienstag, zusammen mit dem Fahrgastverband Pro Bahn und dem Landesnaturschutzverband BW, seinen eigenen Faktencheck zur Gäubahn vorgestellt. Die Möglichkeit einer S-Bahn-Verlängerung über Herrenberg hinaus bis Horb war auch hier zur Sprache gekommen - allerdings nur als "zweitbeste Lösung" bezeichnet worden.
Zugstrecke Stuttgart - Singen Protest gegen Abkoppelung der Gäubahn von S21
Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass Züge auf der Gäubahn auch nach der Fertigstellung von Stuttgart 21 weiter bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren. Diese Woche gibt es Aktionen.
Gäubahn-Faktencheck: Böblinger OB fordert zweites Treffen
Auch der Böblinger Oberbürgermeister Stefan Belz (Grüne) spricht sich für eine zweite Runde im Faktencheck aus, um über die vorgestellten Erkenntnisse zu debattieren. Insbesondere die Optionen der Verlängerung der S-Bahnstrecke südlich von Stuttgart seien noch stärker zu erwägen. "Wenn man die S-Bahn länger fahren lässt über Herrenberg hinaus, zum Beispiel über Horb oder Rottweil, dann könnte man auch Tuttlingen und Singen noch mitnehmen. Alle haben ihre zur Verfügung stehenden Infos zusammengetragen. Jetzt können wir debattieren, aber wir brauchen dringend nochmal einen zweiten Termin."
Schon lange hitzige Debatte um Zukunft der Gäubahn
Wenn es um die Gäubahnstrecke geht, prallen viele sehr gegensätzliche Interessen aufeinander. Einig sind sich alle Beteiligten nur in Bezug auf eine Langzeitlösung. Bereits beschlossen ist nämlich der sogenannte Pfaffensteigtunnel. Der knapp eine Milliarde teure Tunnel soll künftig die Gäubahn auf schnellstem Weg an das neu gebaute Stuttgart 21-Gleisnetz anschließen. Jedoch wird dieser Tunnel erst voraussichtlich im Jahr 2032 fertiggestellt. Wie eine Übergangslösung bis zum Jahr 2032 aussehen kann, darüber wird heftig gestritten.
Wie kann eine Übergangslösung bis 2032 aussehen?
Nach den bisherigen Plänen der Deutschen Bahn soll die Gäubahn in der Zwischenzeit in Stuttgart-Vaihingen enden. Zum Hauptbahnhof nach Stuttgart müssten Reisende dann nochmals in die S-Bahn umsteigen. Die S21-Projektpartner - die Stadt Stuttgart, die Region Stuttgart und das Landesverkehrsministerium - wollen die bisherige Panormastrecke weiter nutzen, um die Gäubahn an einem neu gebauten Nordhalt enden zu lassen. Auch von dort müssten Reisende auf ihrem Weg zum neuen Hauptbahnhof umsteigen. Die Anrainerkommunen und Verkehrsverbände wiederum wollen auf den direkten Zugang zum Hauptbahnhof nicht verzichten und haben Angst, die Gäubahn werde abgehängt. Sie fordern einen Weiterbetrieb der jetzigen Strecke.