Bei einer Pressekonferenz kurz vor dem Start ins neue Schuljahr hat die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) die Situation der Schulen als angespannt bezeichnet. Zwar gebe es bereits Erfolge im Kampf gegen den Lehrermangel, gleichzeitig stiegen jedoch die Schülerzahlen stark an.
Viele neue Schüler aus der Ukraine
15.000 Schülerinnen und Schüler kommen demnach neu an die Grundschulen, es müssen 500 neue Klassen gebildet werden. Ursachen sind laut Kultusministerin Schopper die demografische Entwicklung und der Anstieg bei geflüchteten Schülerinnen und Schülern, vor allem aus der Ukraine.
Weil 20 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler die Mindeststandards nicht erreichen, werde eine Lernstandserhebung in den zweiten Klassen für die Lesekompetenz eingeführt. "Lernstand 2" ist zunächst freiwillig, soll zum nächsten Schuljahr dann Pflicht werden. Außerdem wird eine weitere Vergleichsarbeit in der vierten Klasse eingeführt. Mit dem "Kompass 4", der ebenfalls zunächst freiwillig ist, sollen Lehrkräfte und Eltern zusätzlich zur Grundschulempfehlung Hinweise zum Leistungsstand des Kindes bekommen.
Land will mehr Daten von Schulen erheben
Nicht nur die Leistung der Schülerinnen und Schüler soll künftig enger überwacht werden, auch weitere Parameter will das Land genauer im Blick behalten. So müssen Schulen ab dem neuen Schuljahr etwa ein digitales Schuldatenblatt ausfüllen, über das die Schulaufsicht für jede Schule Daten wie den Anteil der Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund, Unterrichtsausfall oder Kompetenzen im Vergleich zum Landesschnitt einsehen kann. "Was technisch klingt, ist die Grundlage, um jede und jeden individuell und gemäß Fähigkeit und Ambition fördern zu können", sagte Schopper.
Noch 120 Stellen an Grundschulen unbesetzt
Als erfreulich bezeichnete die Kultusministerin den positiven Trend bei den Bewerberzahlen an Grundschulen. Erstmals habe es dort mehr als 1.000 Einstellungen gegeben, so Schopper. Insgesamt werden zum neuen Schuljahr 5.320 Lehrerstellen neu besetzt, 565 Stellen sind noch offen, davon 120 an Grundschulen. An den Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen fehlen noch 135 Lehrkräfte. Deutlich besser ist die Situation an den Gymnasien. Dort sind vor Schulbeginn noch fünf Stellen vakant.
Schopper beklagte die mangelnde räumliche Mobilität der Bewerberinnen und Bewerber. Ländliche Gebiete wie der Schwarzwald und die Schwäbische Alb, aber auch der Großraum Stuttgart und die Rhein-Neckar-Region seien deswegen mit Lehrkräften unterversorgt. "Das Wunschgebiet und die freie Stelle liegen nicht immer an einem Punkt", sagte Schopper. So gebe es etwa entlang des Rheins und am Bodensee deutlich mehr Bewerbungen als freie Stellen.
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Schopper verteidigt umstrittene Werbekampagne
Die umstrittene Lehrer-Werbekampagne zur Gewinnung von Quereinsteigern bezeichnete Schopper als Erfolg. Die Website sei 71.000 mal aufgerufen worden und es gebe 400 Registrierungen für den Direkteinstieg. Die Kritik an der Kampagne nannte sie "teilweise unter der Gürtellinie". Sie als Ministerin müsse Kritik aushalten, empört habe sie aber, wie ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Ministerium angegangen worden seien. Auch die Kritikerinnen und Kritiker wüssten, wie sehr im Ministerium gearbeitet würde. Inzwischen habe sie sich mit den Verbänden ausgesprochen.
Im Juli hatte das Kultusministerium eine Werbekampagne gestartet, um Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger als Lehrkräfte zu gewinnen. Unter dem Slogan "HURRAAA!" warb das Ministerium beispielsweise am Stuttgarter Flughafen mit den Worten "Gelandet und gar keinen Bock auf Arbeit morgen? Mach was dir Spaß macht und werde Lehrer*in". Daraufhin hagelte es teils heftige Kritik von Lehrerverbänden. So sagte etwa die Landesvorsitzende des Realschullehrerverbandes, man habe vor dieser Kampagne nicht gewusst, wie viel Blödheit auf ein einziges Plakat passe. Es suggeriere, dass es den Lehrkräften nur um die Ferien gehe.
GEW fordert mehr Studienplätze für Lehrkräfte
Bereits im Vorfeld hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) absehbare Unterrichtsausfälle an den Schulen im Land kritisiert. Grund dafür sei der Lehrermangel. Diesem könne mit einer Ausweitung der Lehramtsstudiengänge für die Grundschulen entgegengewirkt werden.
Dass jeder Schulstart im Land auch zum Fehlstart werden könne, kritisierte auch der bildungspolitische Sprecher der SPD Landtagsfraktion, Stefan Fulst-Blei. In keinem anderen Bundesland habe das Bildungssystem zuletzt mehr gelitten als in Baden-Württemberg. Im Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft hatte Baden-Württemberg im Ländervergleich zwar einen Rang gut gemacht, allerdings hat kein anderes Land in den vergangenen zehn Jahren mehr Punkte verloren als BW.
Im SWR sagte Kultusministerin Schopper, die Schulen bräuchten mehr Personal - sowohl mehr Lehrkräfte als auch multiprofessionelle Teams, also zusätzliche Mitarbeiter, welche die Lehrkräfte in nicht-pädagogischen Bereichen unterstützen könnten. Auf die Frage, ob Lehrkräfte an Grundschulen besser bezahlt werden müssten, antwortete Schopper, sie könne zwar das Ansinnen verstehen, doch im aktuellen Haushalt der Landesregierung sei dafür kein Geld vorhanden - trotz gestiegener Lohnsteuereinnahmen. Wie sie den Beruf denn dann attraktiver machen wolle? "Ich glaube, das ist schon ein toller Beruf - nicht nur Wissen und Bildung weiterzugeben, sondern auch Kinder beim Großwerden begleiten zu können - dafür müssen wir werben", so die Kultusministerin.