Bundesweit und auch in der Rhein-Neckar-Region nehmen die Proteste zu: Landwirte und Klimaaktivisten blockieren Straßen, Bahnmitarbeiter legen den Zugverkehr lahm. Die Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft nimmt offenbar immer mehr zu. Eine Abwärtsspirale, die gestoppt werden sollte, sagt der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König im Interview mit SWR-Aktuell.
SWR Aktuell: Was sind das für Menschen, die zurzeit auf die Straßen gehen?
Thomas König: Zunächst kann man feststellen, dass sich Gruppen in modernen Gesellschaften unterschiedlich organisieren können. Vor allem die sehr gut organisierten Gruppen sind im Moment in der Lage, solche Proteste auch effektiv durchzuführen. Effektiv heißt hier auch beispielsweise die Infrastruktur wirksam lahmlegen zu können, oder auch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und damit Druck auf die Politik auszuüben.
SWR Aktuell: Was sind sonst noch Gründe dafür, dass sich die verschiedenen Interessengruppen unversöhnlicher als früher gegenüberstehen?
König: Es richtet sich gar nicht mehr so sehr an Einzelthemen aus, viel wichtiger ist die Gruppenidentifikation. Also ich gehöre zu einer bestimmten Gruppe und dann gibt es nur noch eine zweite Gruppe, eine sogenannte Outgroup, die im Endeffekt immer als etwas feindselig erachtet wird.
SWR Aktuell: Aber warum ist die Auseinandersetzung denn heute heftiger als früher?
König: Das Prinzip, dass sich Gruppen auseinandergesetzt haben, gab es schon immer. Aber man hatte eben einen viel größeren Zukunftsoptimismus. Wenn ich davon ausgehe, dass der Kuchen größer wird - beispielsweise wenn die Unternehmen größere Gewinne abwerfen - dann war es eine natürliche Reaktion, dass Gewerkschaften dann auch eine höhere Lohnforderung stellten. Aber heute ist die Frage eine andere: Heute geht es im Wesentlichen darum, wie der Staat sozusagen einen Ausgleich an die Bedürftigen schaffen kann. Und hier hängen mittlerweile sehr viele an diesem Staat. Deshalb kommt es eben auch zu diesen großen Umverteilungskämpfen.
SWR Aktuell: Wie erklären Sie sich, dass Klimaaktivisten in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich schlechter wegkommen als jetzt beispielsweise die Landwirte?
König: Bei den Bauern hat man sicherlich zu beachten, dass sie auch auf der einen Seite in den letzten Jahren gelitten haben. Sie wurden häufig zum Sündenbock von Tierschutz, Naturschutz und so weiter gemacht. Und auf der anderen Seite können natürlich die Bauern so eine Art Heimatgefühl erzeugen, indem man den kleinen Hof beschreibt, der dann mehr oder weniger für die Grundversorgung, für die heimatlichen Produkte verantwortlich ist. Und mehr oder weniger auch aufgrund der Discounter-Politik mit dem Rücken zur Wand steht. Also, da ist sicherlich viel mehr Zugeständnis da, als man glaubt.
Allerdings muss man sich dann wiederum die Frage stellen, ob der Applaus, der teilweise kommt, auch anhalten wird. Wenn man als Verbraucher beispielsweise andere Produkte, also höhere Preise, hätte bezahlen müssen.
Bei den Klimaklebern ist es etwas ganz anderes gewesen. Im Endeffekt wurde sich da nicht für das eigene Wohl eingesetzt, sondern für das globale Wohl versucht Politik zu machen. Da wurde dann, glaube ich, die Wirksamkeit in Zweifel gezogen.
SWR Aktuell: Zuletzt hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zusammen mit Ministerpräsident Kretschmann nochmal mehr Geld für die Bauern gefordert. Trotzdem scheint es, dass in Baden-Württemberg nicht weniger protestiert wird...
König: Es geht gar nicht mehr um diese Einzelthemen im eigentlichen Sinn. Tatsächlich geht es um diese Gruppenidentifikation. Die Bauern haben das Gefühl, sie sind die Verlierer in diesem Umverteilungsspiel - und das nicht nur durch diese eine Maßnahme. Die hat wahrscheinlich nur das Fass zum Überlaufen gebracht. Von daher ist dieser Zustand, sich diskriminiert und ungerecht behandelt zu fühlen, schon länger im Raum und äußert sich eben jetzt in solcher Art von Protesten.