Chefarzt der Psychiatrie in Wiesloch

Immer mehr psychisch kranke Straftäter im PZN Wiesloch

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Christian Scharff
Christian Scharff

Christian Oberbauer ist Chefarzt am Psychiatrischen Zentrum Wiesloch (Rhein-Neckar-Kreis). Dort werden immer mehr psychisch kranke Straftäter untergebracht.

SWR Aktuell: Beobachten Sie in den letzten Jahren eine Steigerung von Menschen, die in Wiesloch wegen Straftaten nach dem Strafrechtsparagraphen 63 eingewiesen werden?

Dr. Christian Oberbauer: Ja, das ist der Fall. Man kann es relativ genau zeitlich festmachen. Bei uns im PZN Wiesloch ist die Zunahme der Patienten zu beobachten, ungefähr seit dem Jahr 2018. Das ist ein kontinuierlicher Anstieg. Wir bekommen ungefähr einen bis anderthalb Patienten pro Monat mehr als es uns gelingt zu entlassen.

Die Zunahme der Patientenzahl liegt eindeutig daran, dass uns mehr Patienten von den Gerichten zugewiesen werden.

Die Zahl der Entlassungen ist gleich geblieben. Es ist uns sogar in den letzten Jahren gelungen, unsere durchschnittliche Aufenthaltsdauer deutlich zu senken. Seit 2018 kommen vermehrt Menschen zu uns, die an schizophrenen Psychosen erkrankt sind.

Dr. Christian Oberbauer, Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am PZN in Wiesloch

Im Maßregelvollzug sind Menschen mit ganz unterschiedlichen seelischen Erkrankungen untergebracht. Neben den Schizophrenen sind die zweite große Gruppe Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, zum Beispiel Störungen der Sexualpräferenz. Die dritte große Gruppe sind Menschen mit Intelligenzstörungen, also geistig Behinderte. Die Zahlen in diesen Bereichen sind aber gleich geblieben oder haben sogar ein bisschen abgenommen. Es ist ausschließlich eine verstärkte Zuweisung von Patienten, die unter einer schizophrenen Psychose leiden.

SWR Aktuell: Gehen Sie davon aus, dass man heute Schizophrenie besser diagnostiziert?

Oberbauer: Nein, davon gehe ich eigentlich nicht aus. Auch die Erkrankungshäufigkeit hat wahrscheinlich nicht zugenommen. Da gibt es große internationale Untersuchungen.

"Die Häufigkeit an einer schizophrenen Psychose zu erkranken, ist überall gleich"

Etwa ein Prozent, bei uns, in Afrika oder Asien - immer ungefähr gleich. Schizophrene Psychosen sind ja episodenhaft, schubförmig verlaufende Erkrankungen. In akuten Phasen leiden die Betroffenen zum Beispiel unter Wahngedanken und paranoiden Ideen oder hören Stimmen, oft in unangenehmer, bedrohlicher Form. Die Betroffenen leiden unter schweren Ängsten, werden durch die Stimmen aufgefordert, etwas zu machen. Das Risiko, eine Straftat zu begehen, sich fremdaggressiv zu verhalten, ist dann erhöht. Das Risiko fremdaggressiven Verhaltens ist fünf bis sechs Mal gegenüber der Normalbevölkerung erhöht.

SWR Aktuell: Es ist jetzt überraschend, dass Sie sehr bestimmt sagen: Die Zahlen schizophren Erkrankter verändern sich nicht. Landläufig gibt es doch den Eindruck, dass unsere moderne Gesellschaft mit allen Anforderungen und Reizen dazu führt, dass mehr Leute krank werden. Das schließen Sie jetzt auf dieser Basis aus?

Oberbauer: Nein, das schließe ich natürlich nicht aus. Aber man muss sich angucken, um welche Art von seelischer Erkrankung es sich handelt. Das, was die Menschen zu uns in den Maßregelvollzug führt, sind schwere, gravierende Erkrankungen. Das sind keine Anpassungsstörungen, Belastungsreaktionen oder depressive Reaktionen. Das kann schon sein, dass die zugenommen haben, dass die mehr erkannt werden oder man eher bereit ist, zum Arzt zu gehen und sich behandeln zu lassen. Zu uns kommen die Menschen aber wegen einer gravierenden, schweren Erkrankung mit der Folge, auch eine schwere Straftat begangen zu haben. Wie gesagt: Diese Zunahme liegt eben ausschließlich an dieser Gruppe der Menschen mit schizophrenen Psychosen. Das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken, ist gleich. Das wird sich nicht verändert haben.

"Schizophrenie ist eine Erkrankung, die episodenhaft verläuft, schubförmig. Sie ist eigentlich ganz gut zu behandeln"

Man kann Schizophrenie zur Remission, also zum Abklingen bringen. Es ist für den Verlauf essenziell, dass derjenige vorbeugende Medikamente nimmt. Das ist ein ganz wichtiger Baustein der Therapie. Dank dem gelingt es oft, die Erkrankung über Jahre stabil zu halten und die Erkrankungshäufigkeit, die Phasenhäufigkeit drastisch zu reduzieren.

Dr. Christian Oberbauer, Chefarzt der Forensischen Psychiatrie am PZN in Wiesloch

SWR Aktuell: Könnte es denn aus Ihrer Sicht sein, dass man früher den einen oder anderen Schizophrenen als normalen Kriminellen behandelt hat? Der dann in der JVA gelandet ist?

Oberbauer: Man fragt sich, an was liegt es denn tatsächlich, dass jetzt gerade diese Menschen häufiger bei uns landen und häufiger Straftaten begehen. Man hat Hinweise, an was es liegen könnte. Was Sie jetzt angesprochen haben, ist eine Vermutung: Dass man sensibler ist, dass man genauer hinguckt, dass man das vielleicht häufiger erkennt, als es früher der Fall war. Nach meiner persönlichen Einschätzung liegt dieser Effekt aber schon Jahre zurück. Ich kann mir das nicht vorstellen, dass das in den letzten drei, vier Jahren noch einen wesentlichen Effekt hatte. Das ist jetzt kein lokaler Effekt.

Ich bin natürlich über die Wieslocher Zahlen am besten informiert. Aber diesen Trend, die Zunahme von schizophren kranken Menschen in der Forensik, gibt es bei uns in Wiesloch, gibt es in ganz Baden-Württemberg und bundesweit. Ich war gerade im Arbeitskreis Forensische Psychiatrie der Bundesdirektorenkonferenz, es ist ein Trend, der sich in jedem Bundesland ungefähr in gleichem Maße abspielt. Es gibt Hypothesen, was dazu beigetragen haben kann.

Die Haupthypothese ist, dass sich im Rahmen der Behindertenrechtskonvention die Rahmenbedingungen der Behandlung von psychiatrischen Patienten deutlich geändert haben, gerade was Anwendung von Zwang betrifft, also zwangsmäßige Unterbringung und Zwangsmedikation. Das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen wurde mehr in den Vordergrund gerückt, völlig richtigerweise und absolut positiv zu sehen. Diese eigentlich positiv gedachte und sich positiv auswirkende Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes hat, so die Hypothese, dazu geführt, dass sich die Versorgung für eine gewisse Gruppe schizophren Kranker verschlechtert hat. Nämlich für die, die das Hilfesystem nicht in Anspruch nehmen, die nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen und keine Medikamente nehmen. Mit der Folge, dass sie längere Zeit akut krank sind und eben auch häufiger Straftaten begehen.

SWR Aktuell: Die Theorie, dass Drogen neuerer Art Auslöser für Psychosen sind, können Sie nicht bestätigen?

Oberbauer: Ich habe jetzt von diesen Patienten gesprochen, die nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch untergebracht worden sind. Nach Paragraf 64, der suchtkranke Straftäter betrifft, müsste man vielleicht noch einmal anders besprechen. Drogenkonsum und drogeninduzierte Psychosen wären eher ein 64er-Thema, aber das ist nicht mein Behandlungsgebiet.

SWR Aktuell: Woran erkennt man psychisch Kranke?

Oberbauer: Fast 80 Prozent der Patienten, die bei uns in Wiesloch in der Forensik untergebracht sind, leiden an schizophrenen Psychosen. Die Beschwerden von schizophrenen Erkrankungen sind vielgestaltig und können ganz unterschiedlich sein. Zwei sehr häufige Kardinalsymptome sind jedoch zum einen Wahngedanken, das heißt, dass der Betroffene Überzeugungen entwickelt, die völlig unmöglich sind, fremdartig und oft einen bedrohlichen Charakter haben. Zum Beispiel kann der Betroffene die Überzeugung entwickeln, dass Menschen aus seinem Umfeld nicht mehr sie selbst wären, ausgetauscht, vom Teufel besessen, sich gegen ihn verschworen haben, ihm nach dem Leben trachten. Häufig sind diese wahnhaften Überzeugungen vergesellschaftet mit akustischen Halluzinationen und der Betroffene hört Stimmen, die ihm oft etwas Unangenehmes, ihn Beleidigendes, Bedrohliches sagen und zum Teil auffordernden Charakter haben. Die Betroffenen werden von ihren Angehörigen oft als stark verändert erlebt, zurückgezogen, verschlossen, oft auch unruhig, angespannt, zum Teil aggressiv.

SWR Aktuell: Was gibt es für Lösungsansätze?

Oberbauer: Es gibt zum Beispiel in Bayern ein Modell einer Präventionsambulanz speziell für die Untergruppe von Schizophreniekranken, die schwer zu erreichen sind und bei denen man ein Risiko identifiziert hat, Straftaten zu begehen. Ich orientiere mich da so ein bisschen an den forensischen Ambulanzen. Jeder, der im Maßregelvollzug war, muss, wenn er entlassen wird, in der Bewährungszeit eine spezifische forensische Nachsorge aufsuchen. Das ist eine umfassende Nachsorge, bei der der Erkrankte oder Betroffene zu Hause in seinem Betreuungsumfeld aufgesucht wird, wo er wohnt, sogar am Arbeitsplatz.

"Dann hat man einen viel besseren Eindruck und kann in der Regel ganz gut einschätzen, ob es Risikosituationen gibt."

Dann muss es auch die Möglichkeit geben, robust zu reagieren. Also insofern wäre die Frage, ob es nicht etwas dazwischen gibt, zwischen dem, was es jetzt an hoheitlichen Möglichkeiten im Rahmen der Psychisch-Kranken-Unterbringungsgesetze gibt - nämlich in der Regel nur kurz dauernde Unterbringungen von ein, zwei oder drei Wochen, und dem Maßregelvollzug, wo jemand im Schnitt in der Bundesrepublik neun Jahre untergebracht ist. Das könnte potentielle Opfer verhindern und Kosten einsparen, denn die Unterbringung im Maßregelvollzug ist teuer.

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