Gesetzlich Versicherte in der Region Bodensee-Oberschwaben haben offenbar zunehmend Probleme, Termine bei niedergelassenen Ärzten zu bekommen. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat dem SWR bestätigt, dass mehr niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre Kassenzulassung zurückgeben.
Dr. Lutz Weber aus Laupheim (Kreis Biberach) ist Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbandes Südwürttemberg. Er teilt im Gespräch mit SWR-Moderatorin Rebecca Lüer die Aussage der KVBW und nennt mögliche Gründe. Viele ältere Kolleginnen und Kollegen gingen in Rente, manche auch früher, so seine Beobachtung. Aber er höre auch von vielen, dass sie lieber hauptsächlich privatärztlich tätig seien.
Umstellung auf Privatpatienten trotz wirtschaftlichem Risiko
Viele Ärztinnen und Ärzte wagen den Schritt, obwohl die Umstellung zum privatärztlich tätigen Mediziner erstmal auch ein Verlustgeschäft sein kann. Denn es sei ja nicht gewährleistet, dass man dann auch ausreichend Patienten habe, die bereit sind, ihre Rechnungen privat zu bezahlen, so Lutz Weber. Zumal, wenn der Patient oder die Patientin gesetzlich versichert ist.
Der Sprecher der KVBW, Kai Sonntag, betonte gegenüber dem SWR, ein Wechsel zur Privatpraxis sei beim Verzicht der Kassenzulassung eher die Ausnahme, überwiegend seien der Einstieg in den Ruhestand oder auch ein Wechsel in ein Angestelltenverhältnis die Gründe. Privatärzte stünden zudem als Unternehmer unter einem Wettbewerbsdruck: Sie müssten sehen, dass sie genug Patienten für die Praxis werben – zumal die bisherigen Privatpatienten ja meist schon einen Arzt hätten.
Dr. Lutz Weber begründet einen Verzicht auf die Kassenzulassung bei Kolleginnen und Kollegen mit den hohen Auflagen, die damit verbunden seien.
Ärzte hätten einen enormen Versorgungsdruck mittlerweile, so Lutz Weber. Viele Krankenhäuser schließen, immer weniger Kolleginnen und Kollegen arbeiteten gerade auch im hausärztlichen Bereich. Er habe als Allgemeinmediziner im Durchschnitt sieben Minuten Zeit für seine Patienten. Mit teilweise 50 Patienten, in der Grippesaison bis zu 70 Patienten täglich, könne er nicht die gute Versorgung, die er machen wolle, tatsächlich anbieten, so Weber weiter.
Auch Telematik und Budgetierung machen Kassenärzten zu schaffen
Zur Arbeitsverdichtung hinzu kommt laut Weber die sogenannte Telematikinfrastruktur, über die Ärzte kommunizieren sollen, dazu die elektronische Gesundheitsakte, das elektronische Rezept. Darauf hätten gerade ältere Ärzte häufig keine Lust mehr. Und die Budgetierung vieler Fachgruppen durch die Krankenkassen führe immer wieder dazu, dass man als niedergelassener Kassenarzt Gefahr laufe, umsonst zu arbeiten, so der Laupheimer Hausarzt Weber. Denn wenn man als Vertragsarzt sein zugewiesenes Budgetvolumen vor Ablauf des Quartals erreicht habe, dann behandle man bis zum Ablauf des Quartals Patienten, ohne dafür Geld zu bekommen.
Im Gegensatz zum Privatarzt wird man als Kassenarzt nicht pro Leistung bezahlt, sondern pauschal, erklärt Weber. Ein Allgemeinmediziner in Baden-Württemberg bekomme etwa 71 Euro pro Patient für drei Monate. Da sei dann alles mit dabei: Der Hausbesuch, die Fahrt zum Hausbesuch, das EKG, Blutentnahme und so weiter. Wenn der Patient nur einmal im Quartal komme, könne das noch interessant sein, so Weber. Aber viele Patienten kämen zehn oder 15 Mal im Quartal, und dann werde es schwierig.
Kassenärztemangel hat Auswirkungen auf Notfallaufnahmen in Kliniken
Der zunehmende Mangel an Kassenärzten hat auch Auswirkungen auf Kliniken in der Region Bodensee-Oberschwaben. In die Zentrale Notaufnahme am St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg etwa kämen zunehmend Patienten, die keinen festen Hausarzt hätten, so ein Sprecher des Oberschwabenklinikverbundes (OSK). Häufig handle es sich um neu Zugezogene oder solche, deren Hausarzt ohne Nachfolger aufgehört habe. Zuletzt sei es mehrfach vorgekommen, dass Hausärzte Patienten in die Notaufnahme schickten, die trotz Dringlichkeit keinen schnellen Facharzttermin über die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bekommen konnten.
Lösung nicht wirklich in Sicht
Der Bezirksvorsitzende des Hausärzteverbandes Südwürttemberg, Lutz Weber aus Laupheim, verweist auf 800 unbesetzte Hausärztestellen in Baden-Württemberg. Die Politik habe zwar einen Masterplan angekündigt, der gerade die Allgemeinmedizin stärken soll. Doch die Pläne werden nach Ansicht von Weber nur zögerlich umgesetzt.
Und auch die Bezahlung und die Arbeitsbelastung seien Punkte. Weber verweist auf gut bezahlte Angebote aus der Industrie, noch dazu mit geregelteren Arbeitszeiten als in einer eigenen Praxis. Insbesondere Jüngeren sei das wichtig, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen.
Was können gesetzlich Versicherte tun?
Krankenkassen wie etwa die Barmer raten betroffenen gesetzlichen Versicherten, sich für planbare Behandlungen frühzeitig einen Arzt zu suchen, und verweisen unter anderem auf die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung oder auch die Möglichkeiten der Telemedizin.
Auch Lutz Weber rät dazu, sich frühzeitig umzusehen. Doch in manchen Regionen gebe es einfach keinen Hausarzt mehr, wobei die wohnortnahe Versorgung wichtig sei, grade für Menschen, die gebrechlich oder nicht so mobil sind.
Den Radius immer mehr größer ziehen zu müssen, um einen Arzt zu finden, könne eine Kettenreaktion nach sich ziehen, fürchtet Lutz Weber. Denn wenn dann Hausärzte noch einen ganzen Schwung neuer Patienten anderer Ärzte aufnehmen und mitversorgen, seien die auch überlastet. Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis diese Strukturen dort zusammenbrechen, auch weil viele Krankenhäuser schließen. Das heißt, sagt Weber: Die Schultern, auf die die Patienten verteilt werden, würden immer weniger und irgendwann zusammenbrechen.