Im Vordergrund steht: Fragen und Antworten. Im Hintergrund ist das Atomkraftwerk Neckarwestheim zu sehen.

Wichtige Fragen und Antworten

AKW-Laufzeiten: Wie sinnvoll ist eine Verlängerung in Baden-Württemberg?

Stand

Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 (Heilbronn) soll Ende des Jahres vom Netz gehen - eigentlich. Denn die Politik diskutiert über eine mögliche Verlängerung. Doch ist das möglich? Wichtige Fragen und Antworten.

Noch immer ist nicht klar, ob es wegen der möglichen Gasmangellage im Winter eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland gibt. Momentan unterzieht die Bundesregierung unter anderem Neckarwestheim 2 (Landkreis Heilbronn) einem "Stresstest". Erst dann will die Bundesregierung entscheiden, wie es weitergeht. Doch wie sinnvoll ist so eine Laufzeitverlängerung? Und welche Hürden gibt es? Wichtige Fragen und Antworten im Überblick.

Welche Atomkraftwerke sind noch in Betrieb?

In Deutschland sind noch drei Atomkraftwerke am Netz: Neckarwestheim 2 bei Heilbronn in Baden-Württemberg, Isar 2 in Bayern und Emsland in Niedersachsen. Nach geltendem Recht müssten sie eigentlich spätestens am 31. Dezember abgeschaltet werden. Die Politik diskutiert allerdings über einen Weiterbetrieb.

Wie viel Strom produzieren die Kraftwerke?

Alle drei Kraftwerke sollen rund 6,4 Prozent des Stroms in Deutschland erzeugen, sagt das Fraunhofer-Institut. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch könnte Kernkraft 2022 also fast 4,5 Millionen Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang versorgen.

Wie würde ein Weiterbetrieb von Neckarwestheim funktionieren?

Zunächst wäre ein Streckbetrieb denkbar. Das bedeutet, dass die vorhandenen Brennelemente länger genutzt werden, als vorgesehen. Zum Beispiel für drei oder fünf Monate, sagt Thomas Tromm, Energiewissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie. "Ich habe dann aber natürlich eine Leistungsreduktion und werde nach drei Monaten etwa bei 80 Prozent Leistung in dem jeweiligen Kernkraftwerk sein", erklärt er. So einen Streckbetrieb prüft gerade die Bundesregierung auch für Neckarwestheim.

Sollte das Kernkraftwerk danach weiterbetrieben werden, sind neue Brennstäbe nötig. Die Lieferung solcher Brennstäbe könnte bis zu zwölf Monate dauern.

Was tut die Politik, um eine Laufzeitverlängerung zu überprüfen?

Die Bundesregierung will erneut neu berechnen, wie sicher die Stromversorgung im Winter ist. Erst dann will sich die Politik dazu äußern, ob ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke denkbar ist. Für die "Stresstests" sind die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber zuständig. Das sind Unternehmen, die die überregionalen Stromnetze betreiben. In Baden-Württemberg ist das die TransNetBW, ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des Energiekonzerns EnBW.

Sie soll Modelle durchrechnen und herausfinden, wie stabil das Stromsystem im kommenden Winter sein wird. Einen sogenannten Stresstest hat es schon im Frühjahr dieses Jahres gegeben.

Was sind die Probleme bei einem Weiterbetrieb?

Für einen Weiterbetrieb gibt es gleich mehrere Hürden. Zunächst laufen die passenden Verträge und Betriebsgenehmigungen aus. Um eine Verlängerung rechtlich zu ermöglichen, müsste der Bundestag das Atomgesetz ändern. Die Betreiber der Atomkraftwerke wollen zudem ab Januar bei Unfällen nicht mehr haften.

Außerdem müssen Kernkraftwerke alle zehn Jahre auf ihre Sicherheit überprüft werden. Schon 2019 hätte es eine solche Prüfung geben müssen - die wurde aber wegen des Ausstiegs der Atomkraft in diesem Jahr ausgesetzt. Laut Wolfram König, dem Präsident des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, würden diese Sicherheitsüberprüfungen rund zwei Jahre auf der Betreiberseite in Anspruch nehmen. "Dann kommt noch die behördliche Überprüfung", sagt er.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält deshalb einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke für nicht genehmigungsfähig. Laut einer Studie des Umweltverbandes gibt es massive Sicherheitsrisiken.

Am Mittwoch gab es eine Sondersitzung des Energie- und Klimaausschusses des Bundestags zur aktuellen Situation der Energieversorgung. Dabei ging es auch um die Frage, welchen Beitrag die drei verbliebenen Atomkraftwerke im Winter leisten können. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Konstanz, Andreas Jung, war dazu im SWR-Interview:

Kann ein Weiterbetrieb der AKW die Gasnotlage abfedern?

Die Einschätzungen dazu sind unterschiedlich. Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen in München, ist sich jedoch sicher, dass ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke die Gasnotlage kaum verbessere. Denn ein Großteil des Gases werde für Wärmeerzeugung und Kälteerzeugung in der Industrie und in den Haushalten genutzt.

Kerntechniker Thomas Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geht aber davon aus, dass der seit dem Jahreswechsel erzeugte Atomstrom genug Erdgas ersetzen kann, um pro Jahr etwa drei Millionen Einfamilienhäuser zu heizen.

Laut Strommix wird momentan sechs Prozent des Stroms durch Atomkraft erzeugt. 13 Prozent wird durch Gas erzeugt.

Könnte BW nicht einfach mehr Atomkraft aus Frankreich nutzen?

Im Gegenteil: Momentan exportiert Deutschland Strom sogar nach Frankreich. Denn aktuell laufen nur 40 Prozent der französischen AKW. Viele Anlagen sind veraltet und wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb. Das Nachbarland ist also selbst auf Stromlieferungen angewiesen, statt Strom abzugeben.

Straßburg

Nachbarland hat hohen Bedarf an Strom Wird die französische Stromlücke für Deutschland zum Problem?

Auch wegen Wartungsarbeiten laufen aktuell nur 40 Prozent der AKWs in Frankreich. Ändert sich das bis zum Winter nicht, muss Deutschland massiv Strom liefern.

Was sagt die Politik in BW zum Thema?

Bis vor Kurzem hatte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gegen eine Verlängerung der Laufzeiten ausgesprochen. Mittlerweile steht er dem Thema offener gegenüber. Ein Streckbetrieb würde ihn in "keiner Weise schmerzen". Dazu sagte er: "Wir sind in einer Krise. Die Krise macht Schmerzen und nicht die Maßnahmen gegen die Krise." Man müsse die Ergebnisse des "Stresstests" abwarten, dem die Kraftwerke in Deutschland momentan unterzogen werden.

Auch Andreas Stoch, Fraktionsvorsitzender der SPD Baden-Württemberg, hält es für sinnvoll, auf die Ergebnisse der "Stresstests" zu warten. Im Interview mit dem SWR sagte er: "Ich hoffe, dass die Bundesregierung schnelle Ergebnisse dazu vorlegt."

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sprach sich im "SWR Aktuell Sommerinterview" dafür aus, die Atomkraftwerke bis Anfang 2024 laufen zu lassen. Mit einer längeren Laufzeit könne Baden-Württemberg das Gas einsparen, das man momentan verstrome:

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwägt eine etwas längere Nutzung der Atomkraft. Noch ist aber nichts entschieden - das wird sich vielleicht mit den Ergebnissen der "Stresstests" ändern.

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SWR

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