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Zu Hause sterben – Palliativversorgung auf dem Land

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Autor/in
Horst Gross
Horst Gross
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Ulrike Barwanietz
Candy Sauer

Auch beim Sterben stehen heute wirtschaftliche Zwänge im Vordergrund. Auf dem Land bedeutet das konkret: Minimale Betreuung durch den örtlichen Pflegedienst und ein Hausarzt oder eine Hausärztin, die nur gelegentlich mal reinschauen.

Palliativversorgung am Lebensende: ein Menschenrecht

Grund des Übels sind die gesetzlichen Vorgaben. Denn für das Sterben zu Hause sind in erster Linie die ganz normalen Pflegedienste zuständig. Doch die müssen ihre Tagesabläufe und Fahrtstrecken an der Routineversorgung orientieren. Und das in Form von langen Anfahrtswegen, schlechter Bezahlung und hohem Arbeitsdruck.

Die WHO hat 2014 die angemessene Palliativversorgung am Lebensende als Menschenrecht angemahnt. Die Bundesregierung musste also handeln. Doch die Palliativversorgung ist in Deutschland kein Teil der direkten staatlichen Daseinsfürsorge, wie etwa Feuerwehr und Rettungsdienst.

Der Gesetzgeber hat die Umsetzung an die Krankenkassen delegiert. Und die haben weitgehend freie Hand, wie viele Mittel sie in die ambulante Palliativmedizin stecken wollen. Etwa 3.500 Euro pro Kopf und Jahr erhalten die gesetzlichen Krankenkassen. Doch nur rund 10 Euro davon fließen in die Finanzierung der Ambulanten Palliativmedizin, also in das "Sterben zu Hause".

Sterbende und Schwerstkranke haben keine Lobby

Zwei Drittel der Fläche Deutschlands sind darum aktuell ohne angemessene spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Blinde Flecken auf dem Versorgungsatlas finden sich vor allem in den neuen Bundesländern, aber auch in Süddeutschland.

Mann sitzt seitlich abgewandt auf Krankenhausbett: Wenn keine Möglichkeit zur ambulanten Palliativversorgung vorhanden ist, bleibt nur das Sterben im Krankenhaus
Wenn keine Möglichkeit zur ambulanten Palliativversorgung vorhanden ist, bleibt nur das Sterben im Krankenhaus

Notgedrungen bliebe da am Lebensende oft nur der Weg in die Klinik, inklusive kostspieliger Therapieversuche, kritisiert der Berliner Palliativmediziner Prof. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativerbands. Nicht nur die pflegerische Versorgung ist bei der ambulanten Palliativbetreuung massiv unterfinanziert. Gleiches gelte auch für die Hausärzte, die sich palliativmedizinisch spezialisieren, so Hardinghaus.

Andere Länder erfüllen längst den palliativmedizinischen Standard

Mindestens ein Team aus Medizinern und Pflegern spezialisiert auf ambulante Palliativversorgung pro 100.000 Einwohner entspricht dem internationalen Standard. Der bundesdeutsche Durchschnitt liegt dagegen bei 0,3 Teams. Und die konzentrieren sich vornehmlich in den Ballungsgebieten. Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Schweden, Zypern und Island. Dort ist der internationale Standard längst erfüllt.

Deutschlands Palliativverbände hoffen nun auf einen Bundesrahmenvertrag zwischen Medizinern, Pflege und den Kassen. Der soll nicht nur die Zusammenarbeit zwischen regulären und spezialisierten Pflegeteams verbessern, sondern auch den Finanzrahmen neu definieren. Ein entscheidender Aspekt bleibt aber vorerst unberücksichtigt: eine verbindliche Qualitätskontrolle. So, wie sie in Hessen bereits realisiert wird.

Hessen: Marktforschung zur Qualität von Sterbebegleitung

Michaela Hach ist Geschäftsführerin des Fachverbands SAPV Hessen, dem hessischen Verband für spezialisierte Palliativversorgung. Gute ambulante Palliativversorgung dürfe kein Zufall sein, meint die Expertin. Bisher bezahlen die Krankenkassen die ambulante Palliativversorgung weitgehend auf Vertrauensbasis. Wie gut sie ist, wird nicht kontrolliert.

Schwerstkranker Mann wird zu Hause palliativ behandelt, vor seinem Pflegebett steht ein ganzes Arsenal von schmerzlindernden Medikamenten
Palliativmedizinische Versorgung am Lebensende muss vor allem menschlich sein und genügend Zeit, Fürsorge und Mittel zur Verfügung haben

Aus diesem Grund wurde ein Fragebogen mit Antwort-Optionen und Skalen eingeführt, das Projekt ELSAH. Ein Befragungskatalog, der aus der Marktforschung stammen könnte. Aber geht das überhaupt? Kann man Menschen, die in der letzten Lebensphase angekommen sind, im Sterben, mit so etwas behelligen? Das war eine große Frage für alle, die an dem hessischen Pilotprojekt beteiligt waren.

Nur der offene Umgang mit Mängeln ermöglicht gute Patientenbetreuung

Michaela Hach war überrascht von der großen Bereitschaft und Teilnahme. Viele Patienten sahen in dem Projekt die Möglichkeit, etwas Sinnbringendes am Lebensende tun zu können, auch für die nachfolgenden Schwerstkranken und sterbenden Menschen.

In Hessen ist die Befragung der Sterbenden und ihrer Angehörigen zum festen Bestandteil der internen Qualitätssicherung geworden. Andere Bundesländer zögern noch. Doch nur der offensive Umgang mit den eigenen Mängeln und Schwachstellen garantiert eine optimale Patientenbetreuung.

Palliativteams in Bayern erhalten Beratung per Videochat

Ländliche Region und Stadt können aber auch zusammenarbeiten. Wie in der Klinik Agatharied in Oberbayern. Hier unterstützt ein spezialisiertes Team der neurologischen Abteilung die Betreuerinnen und Betreuer von Sterbenden vor Ort. Mit modernster Technik. Per Videochat. Die gute Resonanz des Projekts hat das Land Bayern überzeugt.

Zu Hause Verstorbener auf einer Liege, sein Hut, ein kleiner Strauß Rosen und ein Fliederzweig liegen auf seinem Bett
Dieser Mann starb friedlich zu Hause und wird für den Transport vorbereitet

Der Dienst wird mittlerweile landesweit ausgebaut. Schon bald können sich alle bayerischen Palliativteams per Video-Chat von der Klinik Agatharied beraten lassen. Vorerst nur bei neurologischen Problemen wie Parkinson oder Demenz. Doch damit ist das Potenzial der Idee nicht ausgeschöpft, denn auch andere medizinische Fachdisziplinen können hier mitarbeiten. Und das ganze ohne lange Anfahrtswege und Zeitverluste. Schon wird geprüft, ob sich die Idee auch für Schmerzmediziner und Palliativärztinnen eignet.

Viele Menschen sterben allein

Eines kann aber auch die raffinierteste Technik nicht ersetzen: menschliche Zuwendung und Fürsorge. Die kämen uns immer mehr abhanden, mahnt der Gießener Soziologe Reimer Gronemeyer in seinem viel beachteten Buch “Sterben in Deutschland”.

Für Gronemeyer ist der Wunsch nach dem “friedlichen Sterben zu Hause” oft eine tragische Illusion, denn viele Menschen sterben allein, ohne Freunde oder Familie an ihrer Seite. Und das gilt heute auch zunehmend in ländlichen Regionen – wenn die Kinder in die Stadt gezogen und die Freunde schon gestorben sind.

Palliativmedizinische Versorgung am Lebensende muss darum vor allem menschlich sein und genügend Zeit, Fürsorge und Mittel zur Verfügung haben.

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