Die Geschichte Josephs (im Alten Testament 1. Buch Mose / Genesis, 37 – 50) ist einer der unterschiedlich ausgelegten wie erzählten Ursprungstexte der jüdischen, christlichen und islamischen Religionen.
An seiner Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder I-IV“ schrieb Thomas Mann über 10 Jahre bis ins Exil Jahr 1943.
Die Josefs-Erzählung aus der Genesis steht zwischen den Geschichten um Jakob, den Stammvaters der Stämme Israels, und denen um Moses, der die 10 Gebote verantwortete und sein Volk aus Ägypten führte. Josef nun ist der spätgeborene, gegenüber seinen 11 Brüdern bevorzugte Lieblingssohn Jakobs. Durch des Vaters Bevorzugung ist Josef nicht frei von Hybris. Seine eifersüchtigen Brüder wollen schließlich den jungen Josef loswerden und verkaufen ihn an eine Karawane. Mit Hilfe Gottes macht Josef hingegen Karriere beim ägyptischen Pharao, versöhnt sich mit seinen Brüdern und verhilft dem Volk Israels, die siebenjährige Hungernot in Ägypten zu überstehen.
Manns Anspruch war dabei, das »Gelehrt-Artistische« des Historischen sowie das antibürgerlich »Exotische des Orients« zu vermeiden, also das – wie er es nannte – »archäologische Brokat«, um hier das Mythische, Typische und Immerwährende zum Gegenstand des Erzählens zu erwählen.
Dahinter verbirgt sich ein Romanentwurf, den es erneut zu entdecken gilt: Im Gewand des Mythos »konvertiert« die Josephs-Gestalt bei Thomas Mann zu einem modernen Schelm oder Schauspieler, der die modernen Themen Künstlertum und Weltenschöpfer/ Keuschheit und Trieb und Unbewusstes / Hybris und Leid durch verfeinerte Empfindungen sowie die Verfallsgeschichte einer Familie in neuen Tonlagen durchspielt. Liebe, Betrug, Entführung, Identitätsleugnung und -Bewahrung in einem fremden Land, Exil, Kampf und Sieg. Das ist Stoff für Hollywood. Höchste Zeit, die Romane ohne Pathos zu präsentieren.
In der Josephs-Figur und der Roman-Tetralogie spiegelt Mann zugleich den eigenen biografischen Wandel, der vom selbstverliebten Schriftsteller mit kaiserreichstreuen und antidemokratischen Tendenzen hin zum politischen Handelnden führt, zum Antifaschisten und unbeugsamen Verfechter der Demokratie.
Der eigenständig zu lesende Band, »Die Geschichten Jaakobs«, erschien vor 90 Jahren am 10. Oktober 1933. Der Hitler-Faschismus war schon an der Macht, Thomas Mann bereits im Exil.
Sein erstes Kapitel, »Vorspiel: Höllenfahrt«, ist eine ironisch-humorvolle Spielerei mit der Form des Essays, das in die Stoffvorlage einführt, um letztendlich nur dem fiktiven Erzähler, die Lizenz zu erteilen, den Josephs-Stoff künstlerisch frei und ohne Scham zu gestalten. Denn auch die Argumente, die hier eine Ursprungsgeschichte konstruieren und die die Erzähler-Runde „bespricht“, sind bei Thomas Mann „schelmisch geschwindelt“: sie gleichen einem Spiel mit Wissensdiskursen sowie mit den „Erzählungen“ zu Joseph, die die drei großen Religionen anbieten. Es sind somit Spiegelungen. Fiktionen.
Mann nutzt - und das macht ihn für heute wieder interessant - die Auseinandersetzung mit dem Mythos, um aufklärerisch die Doktrinen und orthodoxen Vorgaben zu unterlaufen, sie ins Humane zu überführen.
Das Hörspiel greift die Offenheit der Erzählerfigur von Mann auf: es könnte einer, es könnten mehrere sein - und das Geschlecht ist nicht definitiv geklärt. So legt die Texte als Rollenprosa an und entwirft eine Runde, in der zwei Erzählerinnen und ein Erzähler auftreten.
Die Komposition ist ebenso wesentlicher Bestandteil der akustischen Interpretation: sie nutzt bewusst nicht Richard Wagner-Assoziationen zum musikalischen Terminus „Vorspiel“, auch wenn Thomas Mann damit literarisch spielt. Sie überführt den Text in „Unmittelbarkeit“, in ein Fest der Sinn(en)-Verführung, sodass der Hörer aus heutiger Perspektive wieder „Hinhören“ und „Verstehen“ möge, seinen Spaß habe in allem Ernst.
Thomas Mann, Nobelpreisträger, ging 1933 ins Exil. Nach 1945 legte er seine neue US-amerikanische Nationalität nicht ab, da ihm Deutschland – ob als BRD oder DDR – fremd blieb, er den Deutschen in diesen beiden Staatsformen noch misstraute.
An Thomas Manns Romantetralogie „Joseph und seine Brüder“ ist leicht scheitern. Also gilt es, den Hörer im Blick, „auf Sicht“ zu fahren. Den Anfang macht als Nagelprobe die Ursendung des widerborstigen 1. Kapitels „Vorspiel: Höllenfahrt. 2024 ist der ganze „Jaakob“ mit dem „Vorspiel“ zur Sendung vorgesehen.
Mit: „Die Runde der Erzähler“: Imogen Kogge, Werner Wölbern und Elisa Schlott
Klarinette und Bassklarinette: Shelly Ezra
Klavier: Hermann Kretzschmar
Hörspielbearbeitung: Manfred Hess / Hermann Kretzschmar
Regie: Ulrich Lampen
Produktion: SWR 2023 - Premiere