Ein Paketbote lädt Pakete in einen Transporter.

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Gewerkschaften starten Online-Petition: Mühsames Weihnachten für Paketboten

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Utku Pazarkaya
Porträt Utku Pazarkaya

Die Paketbranche boomt. Für die Weihnachtszeit erwartet die Branche ca. 715 Mio. Sendungen. Doch die Arbeitsbedingungen beschäftigen mittlerweile Gewerkschaften und Politik.

Hoher Druck und niedrige Einkommen, kaum Zeit für eine Pause: Betriebsseelsorger Ioan Brstiak von der Diözese Rottenburg-Stuttgart kennt diese Schilderungen aus seinen Gesprächen mit Pakteboten und Zustellern. Die Branche ist von zahlreichen Subunternehmern geprägt. Zwar gebe es Subunternehmer, die sich um gute Arbeitsbedingungen bemühten, "aber es gibt auch viele, die die Situation der Menschen ausnutzen und diese ausbeuten", sagt Brstiak.

Oft mehr als 9 Stunden am Tag unterwegs

Viele der Angestellten in Subunternehmen kämen aus Osteuropa oder seien Asylbewerber und wüssten nichts von Arbeitnehmerrechten. Oder sie würden sie nicht einfordern, weil sie Angst hätten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, berichtet Brstiak. Zusteller arbeiteten nicht selten mehr als neun Stunden und am Samstag. So blieben sie wegen Pauschalverträgen am Ende unter dem Mindestlohn.

Keine Zeit für einen Toilettengang

In der Weihnachtszeit sei es keine Seltenheit, dass die Zusteller täglich 200 bis 300 Pakete ausliefern müssten, sagt Brstiak. Weil in den Innenstädten Toiletten rar sind, komme es vor, dass manche Zusteller eine leere Plastikflasche dabei hätten, um sich die Zeit für einen Toilettengang zu sparen.

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Stark zerklüftete Branche

Laut einer Studie ist fast die Hälfte der Zustellerinnen und Zusteller in Deutschland bei Subunternehmen angestellt. Über die Jahre sei "eine stark zerklüftete Branche mit vielen Kleinstunternehmen" entstanden, 88 Prozent der insgesamt 14.400 Unternehmen in der Branche hätten weniger als 20 Beschäftigte.

Gewerkschaft startet Online-Petition

Ein Teil der Zusteller arbeitet unter schier unvorstellbaren Bedingungen, sagt Corinne Schneider von der Gewerkschaft ver.di. "Da kann man wirklich von Ausbeutung sprechen. Nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über." In einer Online-Petition fordert die Gewerkschaft von der Bundesregierung ein Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Paketbranche.

Branchenverband widerspricht den Vorwürfen

Der Bundesverband Paket und Expresslogistik e.V. widerspricht den Vorwürfen der Gewerkschaft. Die geltenden Regeln und Gesetze, darunter das Mindestlohngesetz, das Paketbotenschutzgesetz und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, würden selbstverständlich eingehalten und seien ausreichend, erklärt der Verband.

Länder wollen bessere Arbeitsbedingungen für Paketboten

Das sehen einige anders. Für den nordrhein-westfälischen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erschweren Subunternehmerketten die Kontrolle und Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und Arbeitsschutzvorschriften. "Bei Subunternehmen besteht in aller Regel keine tarifvertragliche Bindung und es gibt keine Arbeitnehmervertretung. Damit halte ich ein Verbot von Werkverträgen in der Kurier-, Express- und Paket-Branche für unerlässlich", sagt Laumann.

Nordrhein-Westfalen habe im Dezember einen entsprechenden Antrag in die Arbeits- und Sozialministerkonferenz eingebracht, so Laumann. "Ich freue mich, dass dieser Zuspruch findet und die Länder den Bund nun erneut zum Handeln auffordern", erklärt der Minister.

Gutachten: Verbote rechtlich möglich

Die Werkverträge an Subunternehmen und Leiharbeit zu verbieten, könnte helfen, Missstände abzubauen - und wäre rechtlich möglich. Zu diesem Ergebnis kommt die Hans-Böckler-Stiftung. Die Stiftung stützt sich dabei auf ein Gutachten von Anneliese Kärcher und Prof. Dr. Manfred Walser von der Hochschule Mainz. Die beiden Wissenschaftler hatten untersucht, ob ein solches Verbot mit dem Grundgesetz und dem EU-Recht vereinbar wäre. Sie kamen zu dem Schluss: Ja, es geht.

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Einem "Direktanstellungsgebot", das verschlungene Konstruktionen mit Subunternehmen verhindern würde und an bereits bestehende Regelungen in der Fleischwirtschaft angelehnt sein könnte, stehe rechtlich nichts im Wege.

Undurchsichtige Subunternehmerketten

Die Wissenschaftler sehen das Problem in der "Vielzahl an undurchsichtigen Subunternehmerketten in der Paketzustellung." Erst durch ein Direktanstellungsgebot – in Form einer Beschränkung/eines Verbotes des Einsatzes von Subunternehmen und der Leiharbeit – würden diese aufgebrochen und so klare rechtliche Verantwortlichkeiten geschaffen.

Branchenverband lehnt Verbot ab

Beim Branchenverband stoßen die Vorschläge der Wissenschaftler auf Ablehnung. Ein Verbot von Vertragspartnern bei der Paketzustellung greife tief in die Berufsfreiheit der Partnerunternehmen ein, ihre Berufstätigkeit werde verboten, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesverbands Paket und Expresslogistik e.V. "Eine derart gravierende objektive Beschränkung der Berufswahl" ließe sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht rechtfertigen.

Was können wir Verbraucher tun?

Aus Sicht von Betriebsseelsorger Brstiak sind auch die Verbraucher gefragt, wenn sich etwas zum Positiven verändern soll. Zudem müssten sie bereit sein, für Pakete und Retouren wieder zu zahlen und wo es möglich ist, lokal statt im Internet zu kaufen. Eine Hilfe sei auch, Postzustellern eine "freundliche Toilette" anzubieten und "mehr Dankbarkeit zu zeigen, denen gegenüber, die uns die Pakete bringen, damit wir es bequem haben."

Moderator Hans Michael Ehl

Moderator am Sonntagmorgen Hans Michael Ehl

Moderator am Sonntagmorgen

Der Standpunkt in unserer Sendung Zur neuen Regelung in der Imam-Ausbildung. Von Ulrich Pick

Auf den ersten Blick sieht die Mitteilung aus dem Bundesinnenministerium gut aus. Indem künftig weniger Imame aus der Türkei entsandt und dafür mehr Vorbeter in Deutschland – genauer gesagt am Ditib-Seminar im nordrhein-westfälischen Dahlem – ausbildet werden, wird den Lebensumständen der hiesigen Muslime Rechnung getragen. Denn erstens haben die meisten entsandten Imame von den politischen wie sozialen Bedingungen in Deutschland fast keine Ahnung. Zweitens sprechen sie in der Regel nur Türkisch.
Doch so erfreulich diese zu erwartenden Neuerungen sind, das eigentliche Problem der aus der Türkei entsandten Imame wird durch die Abmachung im Grunde nicht berührt: Nämlich die politische Einflussnahme des Amtes für religiöse Angelegenheiten in Ankara. Denn der Moscheeverband Ditib ist – auch wenn es oft abgestritten wird – der deutsche Arm eben dieser politisch-religiösen Instanz. Innerhalb von Ditib gibt es nämlich einen fünf Personen umfassenden Beirat, in dem nach wie vor Vertreter des türkischen Religionsministeriums sitzen und die weitgehende Durchgriffsrechte innerhalb des Verbandes in Deutschland haben.
Zudem möchte Ditib nicht mit anderen Moschee-Verbänden hierzulande zusammenarbeiten – und zwar mutmaßlich, um die bisherige politisch-religiöse Verbindung zur Türkei beibehalten zu können. Das wurde schon im Herbst 2018 deutlich, als der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer bekanntgab, in Osnabrück als erstes unabhängiges Imam-Seminar das Islamkolleg Deutschland errichten zu wollen. Damals schlug Ditib eine Zusammenarbeit mit dem neuen Projekt aus. Stattdessen gab man wenige Monate später bekannt, eine eigene Ausbildungsstätte für Vorbeter in Deutschland aufmachen zu wollen – und zwar in Dahlem.
Fazit: Trotz vieler anderslautender Beteuerungen wird sich an der Einflussnahme der Türkei auf hiesige Imame wohl so schnell nichts ändern. Schade!