Kirche wird zu Erntedank mit Obst, Gemüse und Getreide geschmückt.

SWR1 Sonntagmorgen

Erntedankfest – zwischen Tradition und Veränderung

Stand
Autor/in
Mark Kleber

Zu Erntedank werden Altäre mit Blumen, Früchten und Getreide geschmückt. Dabei gehört das Fest nicht zum Kirchenjahr. Woher kommt die Tradition? Und was bedeutet Erntedank heute?

Erntekronen sind Kunstwerke aus Getreide. Die Ähren zum Beispiel von Weizen, Roggen, Hafer und Gerste werden so zusammengebunden, dass sie eine Krone mit vier zur Mitte gebundenen Streben bilden. Diese vier Streben stehen für Hoffnung, Glaube, Sorge und Dank. Sie können auch aus Weinreben geflochten sein und sind Teil der Erntedanktradition, die heute noch in vielen Kirchengemeinden lebendig ist, gerade im ländlichen Raum. Mancherorts finden auch Erntedank-Prozessionen statt und Blumen- und Früchteteppiche werden aufwändig gestaltet.

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Seit dem dritten Jahrhundert wird in der christlichen Überlieferung Erntedank gefeiert. Erfunden haben die Christen das Fest aber nicht. „Das Fest hat seinen Ursprung zum einen im Judentum“, sagt der Theologe und Historiker Oliver Schütz von der Katholischen Erwachsenenbildung in Ulm. "Da gibt es mehrere Erntedankfeste. Im Frühjahr, da wird der Weizen schon geerntet, da ist das Wochenfest. Oder dann das Laubhüttenfest für Obst- und Weinernte. Und auch im heidnischen Römertum wurden oft die Erstlingsgaben, also, was man als Erstes geerntet hat, den Göttern im Tempel dargebracht. Und das wurde mit christlichem Verständnis dann eingeführt." Für Gesellschaften, die vor allem von Ackerbau und Viehzucht lebten, waren gute Erträge eben schon immer lebenswichtig und nicht selbstverständlich. Bereits in der Geschichte von Kain und seinem Bruder Abel im Alten Testament ist die Rede davon, dass beide Gott Opfergaben brachten, Feldfrüchte und junge Tier aus der Herde.

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Erntedank – ein Fest, das aus dem Rahmen fällt

Trotz seiner langen Tradition – das Erntedankfest ist kein Fest wie die anderen, die Christinnen und Christen im Jahreslauf miteinander feiern. Es fällt aus dem Rahmen, weil es keinen direkten Zusammenhang zu Ereignissen in der Bibel und dem Leben Jesu hat, wie Weihnachten und Ostern. In der römisch-katholischen Kirche ist Erntedank bis heute kein offizieller Bestandteil des katholischen Kirchenjahres. Die Gemeinden sind also nicht verpflichtet, das Fest zu feiern. Das ändert aber nichts daran, dass der Brauch in den meisten katholischen Gemeinden verwurzelt ist. In der evangelischen Kirche gehört Erntedank fest zum Kirchenjahr.  Die liturgische Farbe ist Grün, als Zeichen des Wachsens und Reifens.

Der erste Sonntag im Oktober – eine junge Tradition für Erntedank

Dass wir Erntedank am ersten Sonntag im Oktober feiern, ist übrigens noch eine ziemlich junge Tradition. Für die katholische Kirche legte die Deutsche Bischofskonferenz erst 1972 diesen Tag verbindlich für alle Gemeinden fest. In der Evangelischen Kirche sieht die Regelung etwas anders aus, hier soll das Erntedankfest am ersten Sonntag nach dem Michaelistag (29. September) gefeiert werden – sofern der nicht auf einen Samstag fällt. Und damit feiern auch evangelische Christinnen und Christen das Erntefest meist am ersten Sonntag im Oktober. Weltweit gibt es kein festes Datum für Erntedank. Wäre auch schwer zu machen, denn die Erntezeiten sind je nach Weltregion verschieden.

Dankbarkeit einzuüben, das ist wichtig für den Menschen. Das intensiviert das Leben. Das macht glücklicher.

Was bedeutet Erntedank heute?

Während das Erntedankfest früher in der bäuerlichen Gesellschaft tief verankert war, hat sein ursprünglicher Sinn in dem Maße an Bedeutung verloren, wie Landwirtschaft und Tierhaltung immer stärker industrialisiert wurden und damit aus dem Alltag der Menschen verschwanden. In der globalisierten Wirtschaft kann man viele Obst- und Gemüsesorten das ganze Jahr über kaufen, unabhängig von den hiesigen Jahres- und Erntezeiten. Und was früher ein wichtiger Teil des Lebens und der Kultur war, nämlich den Zeitpunkt von Aussaat, Reife und Ernte zu kennen, ist heute eben nicht mehr jedem bekannt, der im Supermarkt einkaufen geht.

Der Ulmer Theologe Oliver Schütz meint im SWR1-Sonntagmorgen-Interview, es sei verständlich, dass Menschen nicht mehr den direkten Bezug hätten. Aber beim Erntedankfest gehe es um etwas Grundlegenderes: „Diese grundsätzliche Haltung der Dankbarkeit, daran zu erinnern, dass alles nicht selbstverständlich ist, nämlich, dass ich Arbeit habe, dass ich gesund bin, dass wir in relativem Frieden leben – diese Dankbarkeit einzuüben, das ist, glaube ich, wichtig für den Menschen. Das intensiviert das Leben. Das macht glücklicher, wenn man sieht: Ja, mir ist doch sehr vieles geschenkt.“

Einen Erntedankgottesdienst zu besuchen, bietet aus Schütz‘ Sicht die Möglichkeit, „einfach auch mal zur Ruhe zu kommen und sich zu überlegen für was bin ich dankbar? Und vielleicht auch wem möchte ich danke sagen. Das ist das eine. Und die andere Seite beim Erntedankfest ist immer: In den Gottesdiensten wird an die erinnert, die weniger haben, die notleidend sind. Und auch das ist wichtig, zu sehen, wieviel uns geschenkt ist, und zu überlegen, wo wir teilen können mit Menschen, denen es nicht so gut geht.“

Weil dieser Gedanke zum christlichen Kern des Erntedankfestes gehört, werden meist die Lebensmittel vom Erntealtar an Bedürftige oder soziale Einrichtungen gespendet.

Bunte Kürbisse werden auf einem Feld zum Verkauf angeboten.

Erntedank und Thanksgiving

Das amerikanische Thanksgiving hat eine etwas andere Tradition als unserer Erntedank, erklärt Oliver Schütz, der eine Zeit lang in den USA gelebt hat. Es sei ein eher historisches Fest, denn es erinnere an die legendären "Pilgerväter", die mit dem Schiff "Mayflower" aus England gekommen waren und "im Winter schier verhungert wären, wenn ihnen da eben nicht die einheimischen Wampanoag geholfen hätten. Und aus Dank und Erinnerung daran haben sie dieses Fest gefeiert.“ Das erste Thanksgiving wurde 1621 begangen. Heute sei es in den USA ein Riesen-Familienfest, so Schütz, ähnlich wie bei uns Weihnachten. "Da kommen die Leute zusammen, aber es ist sehr entspannt, habe ich erlebt, weil man keine Geschenke machen muss, weil man wirklich die Gemeinschaft feiert." Er und seine Familie feierten immer noch Thanksgiving, mit Freunden, die ebenfalls mit Amerika verbunden seien. "Es ist ein schöner Anlass, zusammenzukommen." Allerdings immer erst gut einen Monat nach unserem Erntedankfest. Seit 1941 wird der Thanksgiving Day in den USA am vierten Donnerstag im November begangen und ist dort ein staatlicher Feiertag.

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Mark Kleber