Seit Beginn des Krieges sprechen wir regelmäßig mit Trubetskoy über die Lage in der Ukraine. Die andauernde Kriegssituation der Menschen in Kiew empfindet der Journalist Denis Trubetskoy im SWR1 Interview als immer beklemmender.
SWR1: Wie war die vergangene Nacht? Gab es Angriffe?
Denis Trubetskoy: Ja, die gab es. Ich bin kurz nach fünf Uhr aufgestanden, weil ich eine wirklich heftige Explosion gehört habe. Ich habe den Luftalarm um vier Uhr verschlafen – eigentlich zum Glück – weil die letzte Nacht ebenfalls schlaflos war wegen der Drohnenangriffe. Das war eine heftigsten Explosionen, die ich gehört habe. Die ist allerdings zum Glück auf die Flugabwehr zurückzuführen. Es ist nichts eingeschlagen, aber es gab ungefähr 15 Raketen, die Richtung Kiew gerichtet waren. Und es gibt relativ viele Raketen-Trümmer, die hier auf den Straßen der Stadt liegen.
SWR1: Einen Luftalarm verschlafen – das können wir uns hier gar nicht vorstellen, glaube ich...
Trubetskoy: Ja, und ich muss sagen, diese Luftangriffe gerade in den letzten eineinhalb Wochen haben wirklich zugenommen. Sie finden in der Nacht statt. Das war jetzt der sechste nächtliche Angriff auf Kiew seit dem 28. April. Das ist eine Realität, an die man sich auch auf Dauer kaum mental anpassen kann.
SWR1: Wie in Russland war der 9. Mai auch immer ein besonderer Tag für Sie und die Ukraine. Künftig wird am 8. Mai in der Ukraine an das Kriegsende erinnert und der Tag heute (9. Mai) soll zum Europatag gemacht werden. Wie finden Sie das?
Trubetskoy: Ich empfinde das als eine sehr, sehr gute und sehr wichtige Entscheidung. Ich selbst stamme aus Sewastopol, jetzt Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte auf der Krim. Das ist eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg bis auf neun Gebäude komplett zerstört wurde. Der Tag des Sieges war eigentlich für mich ein großer Teil meiner DNA. Es war üblich, dass wir als Schulkinder den Veteranen geholfen haben, das war wirklich etwas Heiliges für uns. Aber in den letzten 20 Jahren hat Putin diesen Tag einfach derart militaristisch, politisch, propagandistisch missbraucht. Und wenn mir jemand als Kind erzählt hätte, dass wir jetzt gerade am 9. Mai in der Nacht in Kiew bebombt werden von den Russen, hätte ich das vermutlich als einen schlechten Scherz abgewiesen. Aber ich kann jetzt mit diesem Tag nichts mehr verbinden. Ich finde diese Entscheidung deswegen ausgesprochen gut. Russland hat hier im Prinzip wirklich alles vernichtet, was uns jemals hier so tief verbunden hat.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.