Deutschland. Sommer. Fußball-WM 2006: Eine Nation erlebt ein Sommermärchen. Deutschland, 18 Jahre später. Die UEFA Euro 2024. Können wir das Sommermärchen von damals wiederholen? "Deutschland. Fußball. Sommermärchen 2024?" – das ist der Titel der ARD-Dokumentation von Moderatorin Esther Sedlaczek in der sie versucht eine Lage der (Fußball)Nation abzubilden.
SWR1: Frau Sedlaczek, auf einer Skala von eins bis zehn: Wie stehen die Chancen, dass es wieder ein rauschendes Fußballfest wird?
Esther Sedlaczek: Oh ja, das ist eine gute Frage. Also die Chancen stehen auf jeden Fall nicht schlecht. Ich denke, dass dieses erste Spiel gegen Schottland auch ganz, ganz wichtig sein wird. Weil, wenn das erfolgreich verläuft, dann ist das auch so eine Initialzündung. Dass es wieder die Chance gibt so ein schönes Turnier zu werden wie bei der WM 2006, das glaube ich, aber es sind die ersten Spiele, die es dann auch beeinflussen.
SWR1: Sie haben es gesagt, die Stimmung steht und fällt ja vor allem klar mit dem Abschneiden der deutschen Mannschaft. 2006 war es bei der WM Platz 3. Bundestrainer Nagelsmann sagt im Film: "Nicht zu viel palavern, sondern einfach mal machen". Ist das seine Strategie?
Sedlaczek: Ja, ich denke, das ist seine Strategie, der denkt oder schaut nicht zurück, der schaut nach vorne. Der will was von seinen Jungs sehen, der hat eine Erwartungshaltung an sich selbst. Er hat eine Erwartungshaltung an seine Mannschaft, also das ist genau der Richtige, den wir jetzt brauchen und ich bin sehr gespannt wohin er die Mannschaft bei diesem Turnier treibt.
SWR1: Sie haben für die Doku neben Nagelsmann auch mit vielen Fans gesprochen, mit einem 89-Jährigen, der als sogenannter Volunteer freiwillig bei der EM hilft, noch Englisch lernen muss. Oder auch mit einer jungen Migrantin, die im Fußball Halt findet. Welche Momente sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Sedlaczek: Also der Rainer, das ist der 89-Jährige, der ist unfassbar. Ich bin von diesem Dreh gefahren und ich war ganz beseelt diesen Menschen getroffen zu haben, weil er eine solche Inspiration war und was der für eine Lebensfreude hat, das ist unglaublich. Und die Tamana, von der sie gerade gesprochen haben, die ist auch großartig. Die hat eine Geschichte hinter sich, ist mit ihrer Familie zu Fuß hierher geflohen und hat im Fußball Halt gefunden. Sie hat sich über den Fußball hier integrieren können, und das sind Geschichten, die gehen einem ans Herz.
SWR1: In dem Film geht es ja auch um die Frage, wie sehr Fußball verbinden kann. Vielleicht ja auch die, die sich sonst beispielsweise bei Themen wie Corona oder dem Klimaschutz eher an den Kragen gehen würden. Wie viel Kraft hat da so ein Fußballereignis?
Sedlaczek: Für den Moment hat der Fußball – oder hat der Sport an sich – sicherlich eine enorme Kraft. Wie nachhaltig sie sein kann in solchen Zeiten, darauf hab ich keine Antwort. Aber für diese vier Wochen kann der Fußball die Menschen aus den Alltagssorgen rausholen und die Gesellschaft auch wieder ein Stück weit mehr zusammenbringen. Das ist das, was ich mir erhoffe. Das ist auch das, was ich dem Fußball zutraue. Und das, was daraus entsteht, das liegt letztendlich bedingt in den Händen der Fußballer und das geht eben über den sportlichen Erfolg.
SWR1: Also das heißt: Die EM als Stimmungsaufheller. Aber wenn es nicht gut läuft, dann höre ich doch alle schon sagen, typisch für die Lage der Nation.
Sedlaczek (lacht): Hoffentlich nicht.
Das Interview führte Claudia Deeg