Häusliche Gewalt

Wenn Täter nicht mehr Täter sein wollen

Stand

Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von häuslicher Gewalt betroffen. Auch Männer und vor allem Kinder sind Opfer. Trotzdem wird das Thema immer noch zu oft totgeschwiegen.

Ein wichtiger Schritt, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, sei Täterarbeit, erklärt Julia Reinhardt im SWR1-Gespräch. Sie ist die Leiterin des Vereins "Contra Häusliche Gewalt" in Bad Kreuznach. Hier arbeiten ausgebildete Profis mit Menschen zusammen, die gewalttätig geworden sind.

SWR1: Inwiefern sind Ihre Klienten gewalttätig geworden?

Julia Reinhardt: Es wenden sich Menschen an uns, die in ihrer Partnerschaft Gewalt ausgeübt haben oder noch ausüben. Dabei ist es wichtig zu definieren, was wir unter Gewalt verstehen. Das fängt nicht erst bei körperlicher Gewalt an, sondern schon bei Beleidigungen, Bedrohungen, Demütigungen oder eben, wenn der Partner oder die Partnerin das soziale Umfeld des Anderen kontrolliert oder dem Anderen verbietet zu arbeiten.

Julia Reinhardt ist die Leiterin des Vereins "Contra Häusliche Gewalt"
Julia Reinhardt ist die Leiterin des Vereins "Contra Häusliche Gewalt" in Bad Kreuznach

SWR1: Experten sagen, Gewalt kommt überall vor. Gibt es irgendwelche Parallelen im Leben der verschiedenen Täter? Also warum wird ein Mensch gewalttätig?

Julia Reinhardt: Gewalt passiert tatsächlich in der Mitte unserer Gesellschaft – unabhängig vom sozialen Status, der Bildungsschicht, des Alters oder der kulturellen Herkunft. Die einzige Gemeinsamkeit, die wir bei den Tätern feststellen, sind gewaltsame Kindheitserfahrungen. Was wichtig ist: Die Täter haben oft nicht nur direkt Gewalt erfahren, sondern es reicht schon das bloße Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern aus.

SWR1: Sie sagen ja auch, Täterarbeit ist doppelter Opferschutz. Was meinen Sie damit?

Julia Reinhardt: Wenn wir es mit unserer Arbeit schaffen, zu verhindern, dass weitere Gewalt in der Partnerschaft und damit in der Familie ausgeübt wird, schützen wir einerseits die Opfer, die direkt von der Gewalt betroffen sind, also die Partnerinnen und Partner. Andererseits aber auch deren Kinder. Das bestätigt auch die Forschung. Denn Gewalt beispielsweise gegen die Mutter ist auch immer eine Form von Gewalt gegen die Kinder. Außerdem: Wenn Kinder von ihren Eltern lernen, dass Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden, verhindern wir mögliche zukünftige Täter und Opfer.

Symbolbild Häusliche Gewalt
Symbolbild Häusliche Gewalt

SWR1: Welche Strategien erarbeiten Sie mit den Tätern, damit diese mit der Gewalt aufhören? 

Julia Reinhardt: Natürlich müssen wir jeden Fall individuell betrachten. Aber es gibt einige allgemeine Module - wie zum Beispiel, dass wir mit unseren Klienten Notfallpläne erarbeiten: Was kann ich in einer Situation tun, die im nächsten Moment zu eskalieren droht? Oder was kann ich tun, um mich und mein Gegenüber zu beruhigen? Außerdem üben wir verschiedene Kommunikationstechniken: Wie drücke ich mich aus, damit mein Gegenüber immer noch bereit ist, mir zuzuhören? Wir geben unseren Klienten also Handwerkszeug mit, das sie für ihren Alltag einüben können.

SWR1: Was wünschen Sie sich von der Politik beim Thema häusliche Gewalt?

Julia Reinhardt: Das ist mit einem Wort gesagt: Anerkennung. Dass das ein Thema ist, das in der Mitte unserer Gesellschaft stattfindet, tagtäglich und in unglaublich vielen Fällen. Häusliche Gewalt ist kein Phänomen, das Randgruppen betrifft. Das Thema wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus und damit eben auch auf die Politik. Ökonomisch gesehen kostet häusliche Gewalt jedes Jahr enorm viel Geld. Am Ende ist es der Staat, der das bezahlen muss. Und deswegen braucht diese Arbeit finanzielle Förderung, gute Ausgestaltung der Stellen und Fachkräfte, die sehr gut ausgebildet sind. Und das kostet Geld.

Das Interview führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.

Stand
Autor/in
SWR