Eine Woche ist es her, dass Diktator Bashar al-Assad in Syrien gestürzt wurde. Ein guter Moment, um noch einmal mit Ruhe und Genauigkeit hinzuschauen, meint Ulrich Pick:
Eines ist klar: Wenn eine brutale Diktatur fällt, dann ist das erst einmal uneingeschränkt positiv. Deshalb war es auch angebracht, Anfang der Woche der Freude über den Sturz Assads freien Lauf zu lassen. Mittlerweile heißt es aber, genauer hinzuschauen, sowie den Machtwechsel und seine Folgen in Syrien gründlich abzuklopfen.
Hierbei fällt auf, dass wir momentan die Frage, ob jetzt wirklich in Syrien alles besser wird, weder eindeutig noch rundherum positiv beantworten können. Denn unter den neuen Machthabern sind zahlreiche Islamisten, die den afghanischen Taliban oder dem sogenannten Islamischen Staat erheblich näherstehen als den westlichen Demokratien. So befindet sich die stärkste Kraft, die HTS-Miliz, auf der Terrorliste der Vereinten Nationen. Und ihr Anführer, Mohammad al-Dschaulani, kämpfte lange in den Reihen von Al-Kaida. Ob er wirklich – wie er angibt - seinen alten Idealen abgeschworen hat, muss sich erst noch zeigen. Und dafür braucht es Zeit.
Deshalb ist es auch völlig unangebracht und verfrüht, wenn jetzt über die Zukunft der syrischen Flüchtlinge in Deutschland debattiert wird. Wer freiwillig zurückgehen will, kann dies tun. Doch Druck auszuüben oder mit Geld Anreize zur Ausreise zu schaffen, halte ich für unlauter. Über mögliche Rückführungen kann und muss debattiert werden, wenn klar ist, dass die neuen Machthaber die Menschenrechte achten und somit die meisten Flüchtlinge ihren Schutzstatus verlieren. Aber erst dann. Solange das aber nicht klar ist, heißt es abzuwarten und sich ein präzises Bild über die neue Lage zu verschaffen.
Und ich hoffe, dass unsere Politikerinnen und Politiker genau das tun werden, und dabei Ruhe, Genauigkeit und Augenmaß walten lassen – auch wenn jetzt der Bundestagswahlkampf beginnt.