Hauptsache billig

Der Fleischkonsum und seine Folgen

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Dorothee Zeißig

Deutschland ist die Schlachtbank Europas. Wir exportieren Billigfleisch – auf Kosten von Mensch, Tier und Umwelt. Wie könnte sich das ändern?

Deutsches Schweinefleisch ist vor allem eines: billig. Laut Prof. Achim Spiller, Agrarökonom an der Uni Göttingen, ist das Ziel der Branche, der ungeschlagene Preiskönig zu sein. Das gehe nur auf Kosten der Arbeiter und des Tierwohls, sagt er.

Rein statistisch werden in Deutschland 20 Prozent mehr Schweine gezüchtet, als die Deutschen essen. Zusätzlich werden lebende Schweine aus Dänemark importiert; insgesamt 40 Prozent der Produktion unserer Schlachthöfe geht ins Ausland.

2007: "Fleisch-Wende" durch Seehofer

Das war nicht immer so: Noch bis 2007 reichte die Produktion gerade so für den nationalen Markt. Bauern erhielten nur dann Fördermittel, wenn sie nachweisen konnten, dass sie genug Fläche hatten, um die Tiere zu ernähren und die Gülle als Dünger zu verwenden. Der damalige Agrarminister Horst Seehofer kippte diese Regelung. Das führte dazu, dass vor allem im Nordwesten der Republik die Betriebe rasant wuchsen; die Güllemassen führten zu Umweltproblemen. Die EU drohte Deutschland deshalb mit Strafen. Auch in Sachen Tierschutzgesetz ist Deutschland nicht führend in der EU. Viele kleine Betriebe gaben auf, die Großen wuchsen mithilfe von Werksvertragsmitarbeitern aus dem Osten.

"Frankreich und Dänemark haben gegen Deutschland bei der EU geklagt wegen Dumping-Wettbewerbs durch diese Arbeitsstrukturen"

Warum es sich lohnt, aus anderen europäischen Ländern Tiere zum Schlachten nach Deutschland zu bringen, erklärt SWR Umweltexperte Werner Eckert:

Missstände in der Fleischindustrie schon lange bekannt

Durch die Corona-Infektionen bei Tönnies erhalten die Missstände in der Fleischindustrie aktuell neue Aufmerksamkeit. Bekannt waren sie aber bereits davor, sagt die Star-Köchin und EU-Parlamentarierin Sarah Wiener.

„Vielen scheinen jetzt die Schuppen von den Augen zu fallen. Aber wer sich mit dem Agrarsystem beschäftigt, weiß schon lange, dass dort Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen ausgebeutet werden.“

Die deutsche Fleischwirtschaft habe das System aus undurchsichtigen Werkverträgen, Subunternehmen und unterbezahlten Wanderarbeitern aus Rumänien und Bulgarien geradezu perfektioniert, sagt Kristjan Bragason, Generalsekretär der "Europäischen Gewerkschaftsföderation für Ernährung und Landwirtschaft". Viele Jobs aus der Branche wurden dadurch aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland verlagert.

Europäische Agrarpolitik fördert Missstände

Sarah Wiener sieht die europäische Agrarpolitik GAP mit als Ursache für die Missstände: Landwirtschaftsbetriebe würden nach Fläche gefördert; dadurch könnten große Betriebe immer mehr und immer billiger produzieren, während kleine Betriebe zum Teil um ihre Existenz bangten.
Im EU-Parlament gibt es schon lange Forderungen nach einer grüneren europäischen Agrarpolitik. Mit ihrer "Farm-to-Fork"-Strategie will die EU-Kommission tatsächlich in diese Richtung gehen. Allerdings: Bisher ist noch nichts passiert.

Die Leidtragenden: Unterbezahlte Arbeiter in den Fleischfabriken

Leidtragende des Systems sind neben den Tieren auch die Arbeiter in den Fleischfabriken. Peter Kossen ist Priester und kämpft für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche. Aus erster Hand erfährt er von den dortigen Arbeitsbedingungen – aus Gesprächen mit Betroffenen.

Mitarbeiter des Fleischunternehmens Tönnies arbeiten an einem Fliesband. Arbeitsminister Hubertus Heil will Werkverträge in Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben verbieten.

"Das sind Menschen, die meistens getrieben sind von der Notwendigkeit, sich selbst und eine Familie durchzubringen. Sie möchten für sich und ihre Familie ein besseres Leben und dass ihre Kinder hier zur Schule gehen können. Sie sind bereit, dafür ihre Arbeitskraft einzusetzen und ganz neu anzufangen und müssen dann nicht selten feststellen, dass sie hier ausgebeutet und gedemütigt werden.“

Viele davon seien keine Saisonarbeiter, sondern wollten hier in Deutschland bleiben. Diese Menschen müssten aus Sicht von Kossen integriert werden, sie müssten die Möglichkeit erhalten, die deutsche Sprache zu lernen und in der Gesellschaft anzukommen.

Zwar gebe es auch unter den Arbeitern in der Fleischindustrie Menschen, die froh darüber sind, dass sie diesen Job in Deutschland haben und dort mehr verdienen als den Mindestlohn beispielsweise in Rumänien. Aber Kossen warnt davor, den Menschen einen Lohn und Arbeitsbedingungen zuzumuten, die für uns niemals in Frage kämen.

„Nicht nur die Konsumenten, auch die Politik, die Wirtschaft und die Entscheider, auch die Kirchen. Viele haben darüber weggesehen. Aber Corona macht das jetzt deutlich.“

Wie können die Missstände behoben werden?

Aus Sicht von Peter Kossen sind unter den Personaldienstleistern und Subunternehmen in der Fleischbranche "viele Sklaventreiber und Menschenhändler". Er plädiert deshalb dafür, die Arbeiter direkt anzustellen und ihnen den gleichen Lohn zu bezahlen wie einheimischen Arbeitskräften. Außerdem müsse Wohnraum geschaffen werden, damit die Arbeiter sich regenerieren können.

Julia Klöckner will mehr Wertschätzung für Fleisch

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wirbt dafür, Fleisch wieder mehr wertzuschätzen.

„Wenn der Verbraucher sieht, dass er für 100 Gramm Hähnchenfleisch nur 17 Cent zahlen muss, dann ist das ein falsches Zeichen. Ich halte das für unanständig.“

Fleisch sei keine „Alltagsramschware“. Sie will unter anderem juristisch prüfen lassen, ob Lockangebote mit Fleisch ethisch vertretbar sind, da es sich dabei um ein Produkt handle, für das ein Lebewesen gestorben sei. Sie sieht den Handel in der Verantwortung, da dieser durch Dumping-Angebote den Verbraucher erziehe.

Im Gespräch mit SWR1 Moderator Patrick Neelmeier beantwortet Julia Klöckner die Frage, wie es weitergehen kann und soll mit dem Fleischkonsum in Deutschland:

"Die ganze Lieferkette muss sich ändern"

Aus Sicht von Julia Klöckner muss sich die gesamte Lieferkette ändern. Denn der Preisdruck im Handel setzt den Tierhalter unter Druck und verhindert ihrer Meinung nach, dass dieser seine Ställe für eine artgerechte Haltung umbauen kann. Davon, die Haltungsbestimmungen in Deutschland zu verschärfen, hält sie jedoch nichts.

"Auf unseren Markt kommt Fleisch aus ganz Europa und aus aller Welt. Das heißt: wenn wir nur für unsere Tierhalter die Standards hochschrauben, wird das deutsche Fleisch teurer... Aber der Verbraucher schaut dann, welches Fleisch billiger ist."

Klöckner plädiert deshalb für einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen und ein Tierwohllabel, das jenes Fleisch kenntlich macht, das höhere Standards als die gesetzlich vorgeschriebenen erfüllt.
Wichtig sei es, bei den Maßnahmen die Tierhalter und die Verbraucher mitzunehmen, damit die einheimischen Fleischproduzenten der Konkurrenz aus dem Ausland standhalten könnten. Ansonsten sieht Klöckner die Gefahr, dass Fleisch importiert werden muss und die deutsche Politik so keinen Einfluss mehr auf die Standards hat.

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Dorothee Zeißig