Grußwort von Eric Friedler, SWR Hauptabteilungsleiter Doku

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Eric Friedler
Eric Friedler, Hauptabteilungsleiter SWR Doku
Eric Friedler, Hauptabteilungsleiter SWR Doku

ROHSTOFF WIRKLICHKEIT
Ein paar Gedanken und ein Dankeswort zu Beginn

Ob es den Dokumentarfilm überhaupt gebe, ist eine in den immer wiederkehrenden Debatten über das Genre provozierend wie bedenkenswert gestellte Frage. Es ist die Suche nach einer Selbstdefinition, als wolle der Dokumentarfilm (und seine Macherinnen und Macher seien inkludiert) „sich nicht nur in seiner Produktionspraxis, sondern auch vor den gestrengen Augen der Theorie immer wieder seiner selbst vergewissern“, so hat einmal der Medien- und Filmwissenschaftler Klaus Kreimeier die Problematik des Genres umschrieben. Jede Filmaufnahme ist ein Dokument dessen, was die Kamera aufnimmt. „Und auch die ontologische Überlegung“, so Kreimeier, „dass jegliche Wirklichkeit, als Produkt unserer gesamten Kulturgeschichte, so etwa wie ein Spielfilm, ein inszenierter Spielfilm wiederum nur Dokument dieser Vorgeschichte sei“, wie Jean-Luc Godard es einmal ausdrückte, „führt nicht an dem Problem vorbei, dass es einerseits Spielfilme, andererseits Dokumentarfilme gibt und zwischen beiden offensichtlich ein Unterschied“.

Was unweigerlich auch auf dieses Festival für den Dokumentarfilm verweist. Und einen inneren – politischen wie ästhetischen – Sachverhalt im Gedächtnis wachruft, der dem Genre implantiert ist, geradezu unwiderruflich eingepflanzt. Stichworte Authentizität und Inszenierung, Faktizität und Fake, Subjektivität und Objektivität. Und dann taucht auch noch das Paar Kino & Fernsehen am Gedankenhorizont auf. Jedenfalls haben viele deutsche Spielfilmregisseure im Dokumentarischen begonnen – Herzog, Wenders und von Praunheim beispielsweise. Und das Dokumentarische wiederum in ihre Spielfilme eingewoben.

Doch Punktum! Oder doch nicht so einfach?

Beim SWR blickt der Dokumentarfilm auf eine lange Tradition zurück. Erinnert sei nur an die sogenannte Stuttgarter Schule des Süddeutschen Rundfunks, einem der Vorgängersender des SWR, und an die Namen so prägender Filmmacherinnen und -macher wie Dieter Ertel, Wilhelm Bittorf, Peter Nestler, Elmar Hügler und Corinne Pulver. Und auf seine gegenwärtige Präsenz, die sich zum wiederholten Mal in diesem Festival geradezu selbst dokumentiert. Der Deutsche Dokumentarfilmpreis, der seit 2003 in Kooperation mit der Medienund Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG) vergeben wird, zunächst unter dem Label Baden-Württembergischer Dokumentarfilmpreis, seit 2009 – namentlich aufgewertet – als Deutscher Dokumentarfilmpreis und seit 2017 im Rahmen des SWR Doku Festivals alljährlich verliehen wird, gilt etwas in der Branche, hat Gewicht und unterstützt so die Verbreitung der ausgezeichneten Filme, aber auch jener, die für den Preis eine verdiente Nominierung erhalten. Zudem wird im Rahmen des Festivals seit 2021 auch der Ehrenpreis des Deutschen Dokumentarfilmpreises für das Lebenswerk verliehen – die beiden ersten Preisträger waren Georg Stefan Troller und Werner Herzog.

Neben dem SWR und der MFG trägt die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg das Festival. Selbstverständlich ist es nicht, dass Dokumentarfilmen diese Aufmerksamkeit und Unterstützung aus der Politik und dem öffentlich-rechtlichen Raum gewährt wird. Ich nenne es eher einen Glücksfall. Und die Kontinuität, mit der dieser Beistand zugebilligt wird, finanziell wie gesellschaftspolitisch, bestätigt, dass das SWR Doku Festival als ein wichtiger kultureller Faktor nicht nur Baden-Württembergs gilt, sondern von hier als ein gewissermaßen dokumentar-künstlerisches Leuchtfeuer in die ganze Republik ausstrahlt. Für dieses Engagement der Träger sage ich meinen herzlichen Dank. Und erweitere diesen gerne hin zur Leiterin des Festivals, Dr. Irene Klünder, die mit kluger Umsicht und begeisterndem Engagement das Festival kuratiert, begleitet von einem dynamischen Team. Der kundigen Jury – Hauptjury: Aelrun Goette (Präsidentin), Dieter Kosslick, Heinrich Breloer, Maria Speth, Franz Böhm; Musikfilm-Jury: Fola Dada, Rainer Homburg, Campino – danke ich im Voraus für ihr weises, bedachtes Urteil.

Nicht vergessen bei diesem Dankeschön seien die Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie bereichern das Festival mit ihrer Neugier, auch mit Anregungen, die sie der Veranstaltungscrew nahebringen.

Jedes Jahr dürfen wir auf dem Festival besondere Gäste begrüßen. Natürlich die Filmmacherinnen und Filmmacher, denen ich zur Nominierung gratuliere und die uns mit ihren Filmen auf je besondere Weise die Augen öffnen – jenseits eines nur unterhaltenden Aspekts. Eine besondere Freude hat es mir gemacht, vier respektierte und hochgeachtete Künstlerpersönlichkeiten, denen ich mich verbunden fühle, einladen zu können. Und ich bin dankbar, dass sie dieser Offerte folgen mochten.

2023 geht der Ehrenpreis des Deutschen Dokumentarfilmpreises an Wim Wenders, dessen Dokumentarfilme, so divers die Themen sind – und es fällt mir schwer, an dieser Stelle die Spielfilme ausnahmsweise nicht mitbedenken zu wollen, es aber eigentlich zu müssen – von der Beharrlichkeit eines genauen Zusehens, eines wie Wenders es nennt, „Wahr-nehmens“ künden. Denn Bilder, auch dokumentarische, enthalten – mehr als Geschichten – „Möglichkeiten der Wahrheit“. Drei Dokumentarfilme von Wim Wenders können wir exemplarisch präsentieren: Tokyo-Ga, Buena Vista Social Club und Pina. Dass Volker Schlöndorff, „Oscar“-Gewinner, Regisseur, Autor und im Geiste auch ein rebellischer Doku - mentarist des Lebens, die Laudatio auf den Preisträger und Freund halten wird, begreife ich als ein Geschenk für uns alle. Zudem wird Schlöndorffs Film Der Waldmacher im Programm zu sehen sein. Willkommen heißen wir auch Rosa von Praunheim, Aktivist der Schwulenbewegung, ein immer herausfordernder Filmmacher von ganz eigenem ästhetischem Ausdruck, vom pathetischen Gestus bis hin zum bewussten Kitsch, angriffslustig im thematischen Zugriff, streitbar, doch immer menschenfreundlich. Sein jüngster Film Rex Gildo – Der letzte Tanz wird auf dem Festival zu sehen sein. Lutz Pehnert hat die Liederma - cherin und Lyrikerin Bettina Wegner filmisch porträtiert. Eine, die politisch aufrecht durchs Leben geht. Bettina hat er seinen Film genannt – schlicht und zugewandt. Die Künstlerin wird zum Festival kommen, bereit für ein Publi - kumsgespräch, was mir eine große Freude ist. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank.

Gerne schließe ich mit einer Überlegung von Wim Wenders, der meint, dass der Akt des Filmens zuweilen ein heroisches Tun sei, „bei dem der Blick nach hinten dazu dient, den Helden noch schöner und wahrhaftiger zu machen“. So werde quasi für einen Atemzug „die allmähliche Zerstörung der äußeren Erscheinung und der Welt angehalten“, denn „die Kamera ist die Waffe gegen das Elend der Dinge, nämlich ihr Verschwinden“

Halten wir also auch auf dem SWR Doku Festival 2023 das Momentum des Sehens der Wirklichkeiten fest.

Eric Friedler
SWR Hauptabteilungsleiter Doku

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