Rugby | Porträt

Heidelberger Rugby-Spielerin Esther Tilgner im Porträt

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Autor/in
Michael Richmann
SWR Sport-Redakteur Michael Richmann

Esther Tilgner spielt beim Heidelberger RK und in der 7er-Rugby-Nationalmannschaft. Sie opfert ihren Schlaf und sehr viel Freizeit für den Sport und den Traum von Profi-Bedingungen.

Esther Tilgner ist müde. Vor einer Viertelstunde hat der Wecker geklingelt. Draußen ist es dunkel und klirrend kalt. Sie sitzt etwas apathisch am Küchentisch. Und während sie in ihre Banane beißt, geht sie noch einmal den anstehenden Tag durch: Training mit der 7er-Rugby-Nationalmannschaft um 7 Uhr, dann duschen, ab zur Uni bis Mittag, kurze Pause, lernen fürs Physio-Therapie-Studium, rechtzeitig und genug essen, denn um 18:30 Uhr steht das Training mit dem Heidelberger RK an - 15er-Rugby.

Die Tasche fürs Training ist gepackt. Das Müsli für danach hat sie bereits am Vorabend in den Kühlschrank gestellt. Während sie die Lunch-Box in den Rucksack packt, schaut sie noch einmal kurz auf ihre Schuhe - ja, es sind die mit den Noppen für den Kunstrasen. Also los. "Klar würde ich mir manchmal ein entspannteres Leben wünschen", sagt die 24-Jährige, "aber spätestens, wenn ich mit den Mädels auf dem Platz stehe, weiß ich wieder, warum ist das tue, warum es sich lohnt und warum ich das genau so möchte."

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Krafttraining zwischen Verein und Nationalmannschaft

Am Heidelberger Olympia-Stützpunkt geht das Flutlicht an. Erst eine Lampe, dann noch eine und noch eine. Stück für Stück verwandelt sich das dunkle Nichts im Morgengrauen in ein Rugby-Feld. Dort geht es dann schnell zur Sache: sprinten, stoppen. Sprinten, Tackling. Wieder auf die Füße. Sprinten. Richtungswechsel. Weitersprinten. Kurze Pause. Und wieder von vorne. Die Apathie vom Morgen hat Esther Tilgner anscheinend zusammen mit der Bananenschale entsorgt. "Ich fahre morgens meistens mit dem Fahrrad zum Training. Dann bin ich schon gut warm, wenn ich zum Platz komme."

Dabei spürt Esther Tilgner noch jeden einzelnen Muskel vom Vortag - Hantel-Training. Das steht zweimal pro Woche auf dem Programm - zusätzlich zum Training mit dem Verein und der Nationalmannschaft, zusätzlich zu Studium und Physio-Job, zusätzlich zu allem, was das Leben sonst noch lebenswert macht. "Meine sozialen Kontakte beschränken sich eigentlich aufs Rugby", sagt Tilgner. "Für Freundschaften außerhalb des Rugby habe ich wenig Zeit." Beim Atmen stößt sie kleine Wolken in die kalte Morgenluft. Sie treibt sich an. Dann treibt sie ihre Mitspielerinnen an.

Gute-Laune-Bär mit krasser Workrate

Diese Power zeichnet Esther Tilgner aus. Zumindest, wenn man ihrem Team glauben darf. "Krasses Arbeitstier", sagt Sophie Hacker. "Übelstes Arbeitstier", sagt Annika Nowotny. Bundestrainer Max Pietrek drückt es etwas diplomatischer aus, meint aber dasselbe: "Die Workrate ist ausgezeichnet, die setzt sie auch von den anderen Spielerinnen ab." Sportlich punktet Esther Tilgner vor allem mit ihrem Speed - zumindest für eine Stürmerin. "Stürmer sind sonst die, die mit dem Kopf durch die Wand gehen. Dafür ist sie wirklich sehr schnell und agil", sagt Hacker. "Sie hat auch etwas Überblick und kann dadurch oft die Bälle spielen, die dann zum Versuch führen."

Die Mitspielerinnen beschreiben Esther Tilgner als eine Art Gute-Laune-Bär, der alle anderen mitreißt. "Selbst wenn sie nicht gut drauf ist, dann pusht sie sich und die anderen trotzdem zu Höchstleistungen", sagt Nowotny. Diese mentale Stärke hat es Tilgner ermöglicht, dass sie überhaupt noch Rugby spielt. Denn in dieser einen blöden Aktion im ersten Rückrunden-Spiel des HRK gegen Köln hatte sich Esther Tilgner das Kreuzband gerissen. Doch die Aussicht, wieder mit ihren Mädels auf dem Platz zu stehen, hat sie durch die Reha getragen. Der Rest war eiserner Wille und brutale Dispziplin: "Sie war jeden Tag im Gym, hat geballert und gemacht. Da habe ich richtig Respekt vor ihr", sagt Nowotny.

Umzug in die Rugby-Hochburg Heidelberg

Tilgner ist Vollblut-Sportlerin: "Rugby nimmt aktuell die meiste Zeit meines Lebens ein", sagt sie. "Natürlich studiere ich auch in Vollzeit. Aber von der emotionalen Prioritäten-Setzung ist Rugby die Nummer eins - teilweise zum Leid der Uni." Schließlich ist die gebürtige Freiburgerin für ihren Sport nach Heidelberg gezogen, "weil es hier das beste Training gibt, das man in Deutschland bekommen kann."

Sie würde gerne noch mehr in ihren Sport investieren - mehr Zeit und mehr Energie. "Ich wünsche mir eine noch bessere individuelle Förderung, damit jede von uns dem Sport die Aufmerksamkeit geben kann, die sie möchte, ohne den Sport immer wieder hinter der Karriere-Planung anstellen zu müssen."

Der Traum von einer Profi-Liga

Darum schaut sie voller Bewunderung nach England, Frankreich und Neuseeland, wo die Rugby-Spielerinnen erste Profi-Ligen gegründet haben und bei Länderspielen bisweilen ganze Stadien füllen. "Es ist schön, zuzusehen, dass Frauen-Rugby immer größer wird. Auch die WM letztes Jahr war super-interessant. Die sind zwar noch super weit weg von uns. Aber für uns deutsche Spielerinnen war es extrem inspirierend zu sehen, wohin man noch kommen kann." Dann stutzt sie kurz, überlegt und schiebt nach: "Und wenn ich das selbst nicht mehr als aktive Spielerin erlebe, will ich wenigstens mein Bestes geben, das kommende Generationen dem ein Stückchen näherkommen."