Bera Wierhake freut sich über EM-Gold in Lissabon

Leichtathletik | EM Organtransplantierte

"Es war fünf vor zwölf": Bera Wierhake läuft mit Spenderleber zu EM-Titeln

Stand
Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Bera Wierhake zählt zu den weltbesten Leichtathletinnen, die eine Organtransplantation hinter sich haben. In Lissabon gewann sie zwei EM-Titel. Ihre Lebensfreude ist ansteckend und inspirierend.

Zweites Rennen, zweites Gold. Bera Wierhake, 23, lief am Freitag über die 1500 Meter- Distanz ihrer Konkurrenz bei der EM der Organtransplantierten auf und davon. Sie holte sich mit neuer Bestzeit den Titel. Danach strahlte sie mit der portugiesischen Sonne um die Wette. "Ich freue mich, dass es so gut gelaufen ist und dass sich das harte Training auszahlt", sagte sie.

Schon am Mittwoch hatte sie - bei Temperaturen von 37 Grad - auf der 5000 Meter-Trailstrecke die anderen Läuferinnen in Grund und Boden gerannt. Vor allem an den Steigungen hatte sie mehr Körner und gewann mit einer Minute Vorsprung. Es war die erste Goldmedaille für das deutsche Team bei dieser EM. Und wie hoch ist die Titelprämie? "Prämie!?" Wierhake lacht im Gespräch mit SWR Sport. "Es gibt keine Prämie. Ich bin froh, dass ich nicht draufzahlen muss und dass mich mein Verein, der VfB Stuttgart, finanziell unterstützt."

Bera Wierhakes schwieriger Start ins Leben

Es ist nicht selbstverständlich, dass Wierhake voller Enthusiasmus ihren Laufsport ausüben kann. Eine etwa 30 Zentimeter lange Narbe an ihrem Bauch erinnert an ihren schwierigen Start ins Leben. Bei der kleinen Bera aus Zweiflingen (Hohenlohe) traten direkt nach der Geburt Komplikationen auf. Die Gallenflüssigkeit floss nicht richtig ab, die Leber drohte zu vergiften. Zwei Wochen nach der Geburt war klar: Das Mädchen benötigt dringend ein neues Organ. Die monatelange Wartezeit auf die Spenderleber war für die ganze Familie eine harte Geduldsprobe. Der Gesundheitszustand des Kinds verschlechterte sich zunehmend. "Kurz vor der Transplantation war es fünf vor zwölf", sagt sie. "Da tickte die Uhr." Erst die dritte Leber wurde von ihrem Körper angenommen. Da war Bera neun Monate. An diesem Tag, am 2. Juli 2001, begann für sie ein neues, ihr zweites Leben.

Bera Wierhake feiert ihr zweites, neues Leben

Wierhake empfindet eine große Dankbarkeit, die diesen Tag überstrahlt. Vor allem dem unbekannten Organspender gegenüber.

"An diesem Tag ist jemand gestorben, damit ich weiterleben kann."

Ihre Gedanken gehen an jedem 2. Juli an die Familie des Organspenders. '"Für diese Familie ist es ein trauriger Tag." Er war lebensverändernd - für den verstorbenen Menschen und für Wierhake. Dankbarkeit empfindet Wierhake auch ihren Eltern gegenüber. Dafür, dass sie sie trotz ihrer körperlichen Einschränkung nie in Watte packten. Mama und Papa machten keine Unterschiede zwischen Bera und ihren beiden Schwestern.

Beeindruckende Titelsammlung für Bera Wierhake

Als Kind ging sie zum Ballett und zum Reiten, probierte es mit Fußball. Bis sie mit 15 ihre Leidenschaft fürs Laufen und die Mittelstrecken entdeckte. Wierhake trainiert mittlerweile 20 bis 25 Stunden pro Woche. Seit Ende 2023 startet die Sportlerin, die hauptberuflich in der Modebranche arbeitet, für die Leichtathletik-Abteilung des VfB Stuttgart.

Ihre Titelsammlung ist beeindruckend. Wierhake ist siebenfache Weltmeisterin über 400, 800, 1.500 sowie 5.000 Meter und vierfache Europameisterin. Natürlich ist das Leistungsniveau Transplantierter begrenzter. Sie würde es bei Wettkämpfen für gesunde Menschen bis zu baden-württembergischen Meisterschaften schaffen, sagt die Athletin. Noch immer muss Wierhake Medikamente nehmen, damit ihr Körper das fremde Organ nicht abstößt. Ihr Immunsystem ist zudem anfälliger für Infekte.

Gläubige Bera Wierhake: "Gott hat einen Plan für mich"

Dies hindert die Sportlerin nicht, voller Energie, Optimismus und Frohsinn durchs Leben zu gehen. Als Kraftquelle nennt sie ihren christlichen Glauben. "Ich bin überzeugt, dass Gott einen Plan für mich hat. Sonst wäre ich nicht mehr hier. Ich habe durch die Transplantation ein großes Geschenk bekommen, so dass sich diese Lebensfreude entwickeln konnte."

Aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte wünscht sie sich in der Gesellschaft eine Sensibilisierung für das Thema Organspende. Letztlich sei es eine Entscheidung, die jeder für sich treffen müsse.

"Jeder spendet seine Organe. Die einen den Regenwürmern, die anderen geben es als Geschenk an diejenigen weiter, die es nötig haben."

Wierhake bedauert, "dass wir uns in Deutschland viel zu wenig mit dem Thema Organspende auseinander setzen." Sie ist das beste Beispiel dafür, warum es so wichtig sein kann, einen Organspendeausweis mit sich zu tragen. "Sollte einem tatsächlich mal etwas passieren, so kann man mit einem solchen Ausweis nicht nur einem Menschen eine Chance auf ein neues Leben geben, sondern gleich mehreren. Ich wäre heute nicht hier, hätte mein Spender damals bei seinem Unfall keinen solchen Ausweis bei sich gehabt", sagt sie.

Wierhake - Gesprächspartnerin und Mutmacherin

Neben Training und Beruf hält Bera bereits seit längerem Vorträge zum Thema Transplantation, um aufzuklären und betroffenen Patienten und deren Familien beiseite zu stehen. In Kliniken steht sie als Gesprächspartnerin und Mutmacherin zur Verfügung. Dann redet sie viel mit Eltern, die vor Transplantationen bei ihren Kindern große Sorgen haben. Oder sie erklärt Medizinstudenten, wie sich Menschen mit einem fremden Organ fühlen.

Bei der EM in Lissabon konzentriert sie sich aber voll auf den Sport. Am Samstag will sie mit der deutschen 4 x 100 Meter-Staffel zu ihrer dritten Goldmedaille rennen.

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

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