Nach dem letzten Dart muss alles raus. Kai Gotthardt schreit seinen Jubel in die Halle von Hildesheim, er geht auf die Knie, schlägt mit den Händen auf den Boden. Es ist ein Moment der grenzenlosen Freude. "Da ist natürlich alles aus mir herausgekommen. Es war ein unglaubliches Gefühl. Endlich hat es geklappt mit dem Ally Pally, von dem man jahrelang träumt, seit man angefangen hat. Unbeschreiblich", sagt Gotthardt im Gespräch mit SWR Sport.
Sekunden zuvor hatte Kai Gotthardt das entscheidende Leg im Finale der PDC Europe Super League gewonnen. Das 8:7 im Endspiel gegen Paul Krohne sicherte dem 29-Jährigen erstmals das Ticket für die Darts-WM der PDC (Professional Darts Corporation) im Londoner Alexandra Palace, kurz: Ally Pally. Ein Triumph, der auch Wochen später noch kaum zu greifen ist. "So wirklich kann ich es noch gar nicht fassen", sagt Gotthardt. "Ich glaube, es wird erst kommen, wenn ich dann vor Ort bin und die ganzen Eindrücke mitnehme."
Von Esslingen auf die größte Bühne der Welt
Der Weg in den Ally Pally war lang für Kai Gotthardt. Er wurde in Esslingen geboren, seit Jugendtagen wohnt er im nur wenige Kilometer entfernten Aichwald. Über seinen Vater kam Gotthardt zum Dartsspielen, im Alter von neun Jahren ließ er zum ersten Mal die Pfeile fliegen. "Ich habe mich damals zuhause hingestellt und viel gespielt - jeden Tag zwischen sechs und acht Stunden. Und bin nicht mehr davon weggekommen", so Gotthardt.
Seit 2013 spielt sich Kai Gotthardt über Entwicklungs-Turniere immer weiter nach oben, schafft 2020 erstmals den Sprung ins Hauptfeld eines Events der European Tour. Ausgerechnet in Sindelfingen, ganz in der Nähe seiner Heimat. Mit dem Gewinn der Super League im November ist ihm nun der große Durchbruch gelungen, die WM-Teilnahme könnte ein Karriere-Boost sein für den 29-Jährigen.
Tochter Lena ist immer mit dabei - auf dem Shirt von Kai Gotthardt
Die größte Kraft für seine Leistungen auf der Bühne gibt ihm seine vierjährige Tochter Lena. Ihr Name ziert den Kragen seines Darts-Shirts, dazu begleiten Kai Gotthardt stets zwei Glücksbringer zu seinen Turnieren. Ein Anhänger mit der Aufschrift "bester Papa" und eine Stoff-Schildkröte. Das Kuscheltier bekommt "immer nochmal einen Kuss, bevor ich rausgehe aus dem Zimmer. Das ist auf jeden Fall ein Punkt, den ich immer wieder wiederhole", erzählt Gotthardt.
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Aktuell konzentriert sich Kai Gotthardt voll auf Darts. Unterstützung erhält er unter anderem von Ausrüster, Sponsor und Freund Saki Malatun. Er kennt Kai Gotthardt seit vielen Jahren und sagt: "Die größte Stärke von Kai ist seine Nervenstärke." Und präzisiert: "Manche würden sagen, Kai ist eine Rampensau. Dadurch hat er auch die Stabilität, die er zum Dartsspielen braucht. Ihm sind viele Dinge einfach egal. Er macht sich keinen Kopf, gerade über Zuschauer oder den Gegner. Er schaut, dass er sein Spiel macht. Und dadurch gewinnt er auch seine Nervenstärke."
Kai Gotthardt - Spitzname: "The Tunnel"
Starke Nerven wird Kai Gotthardt brauchen, wenn er bei einem Turnier mit Größen wie "Cool Hand Luke" Humphries oder "The Flying Scotsman" Gary Anderson antritt. Und wie die Topstars der Szene hat auch Kai Gotthardt seit ein paar Jahren einen Darts-Spitznamen: "The Tunnel". Den bekam er bei einem Turnier vom Chef der PDC Europe persönlich. "Herr von Moltke kam zu mir und sagte: Du hast ja noch gar keinen Spitznamen. 'The Tunnel' wäre doch ganz cool. Im Tunnel, Gotthardt-Tunnel – passt zu meinem Namen. Und seitdem habe ich diesen Namen."
Gegner in der ersten WM-Runde: Alan Soutar
Die Darts-WM beginnt am 15. Dezember, einen Tag später steigt das Premieren-Match von Kai "The Tunnel" Gotthardt auf der WM-Bühne im Ally Pally. Sein Gegner: Der Schotte Alan Soutar, der 2022 und 2023 jeweils das Achtelfinale der WM erreichte. "Ein sehr erfahrener Spieler, der bei der WM schon überzeugende Auftritte geliefert hat", ordnet Gotthardt ein. "Große Teile des Jahres hat er auch richtig gut gespielt. Aber ich glaube an mich. Und wenn ich mein Level abrufen kann, ist vielleicht etwas möglich."
Neben Martin Schindler, Gabriel Clemens, Ricardo Pietreczko, Florian Hempel und Niko Springer ist Kai Gotthardt einer von sechs deutschen Teilnehmern bei der Darts-WM. So viele gab es noch nie. "Das ist Wahnsinn. Es wird immer mehr, die deutschen Spieler werden immer besser. In Zukunft werden es bald zehn Spieler sein. Und es geht immer weiter. Der deutsche Dartssport boomt", sagt Gotthardt.
Ziel bei der Darts-WM? "Erstmal ein gutes Spiel abliefern"
Saki Malatun traut "The Tunnel" bei der Weltmeisterschaft auf jeden Fall eine Überraschung zu. "Eine WM ist immer so eine Sache. Spielerisch kann man Kai alles zutrauen. Es kommt im Darts immer drauf an: Was für einen Tag erwischt der Gegner? Dann kommt der Ally Pally, die vielen Zuschauer. Das sind viele Faktoren, die da mit hineinspielen. Wenn man rein das Spielerische nimmt, kann Kai jeden schlagen." Gotthardt selbst hat nur ein Ziel: "Erstmal ein gutes Spiel abliefern und zeigen, was ich kann – das ist die Hauptsache. Was dabei herauskommt, wird sich dann zeigen."