Als in der Mannheimer Arena die letzten Becher vom Boden aufgesammelt werden und die Scheinwerfer ausgehen, tanzt eine Gruppe Fans durch eine der großen Türen nach draußen. In leuchtend orangen Strickpullovern mit kleinen Ansteckflaggen ziehen sie singend aus der Halle und machen den Parkplatz zu ihrer kleinen, ganz eigenen Bühne. "Es hat uns super gefallen", rufen sie. "Vor allem das holländische Team." Die kleine Reisegruppe ist extra aus Arnheim angereist, um die Niederländer bei ihrem ersten Gruppenspiel zu unterstützen.
Zehn Frauen, die sonst beim Aprés Ski singen und tanzen und die diesjährige Performance kurzerhand zur Handball-Europameisterschaft verlegt haben. "Wir sind Ultras", sagen sie und grinsen. "50 plus. Schon Ultras, aber ältere Ultras." Dann stimmt eine schon wieder den Song an, den sie auf dem Weg nach draußen gesungen haben. "Loving you, uh uhhh."
Mit Kumpel und Kaltgetränk
Wie viel Liebe die niederländischen Fans für ihr Team und die Auswärtsfahrt nach Deutschland haben, ist schon Stunden vorher klar. Kurz vor dem Anwurf des ersten Spiels sind die Fans von Team Oranje vor der Mannheimer Arena in ihren leuchtend orangen Outfits kaum von der tiefstehenden Wintersonne zu unterscheiden. Da mischen sich orange bemalte Glatzen mit Glitzer, grelle Plüschmützen und Hosenanzüge mit Hasenohren. Einzig der Geräuschschutz eines Babys war offenbar nicht mehr in orange zu bekommen.
Auch Virgil und sein Kumpel Zeydan sind extra aus Rotterdam nach Mannheim gekommen. Sieben Stunden haben sie gebraucht. "Wir sehen alle Spiele von Holland", sagt Virgil und zeigt auf den Platz neben sich: "Und die von Bosnien-Herzegowina." Dem Team drückt Kumpel Zeydan die Daumen. Der ruft während des Gesprächs mit dem deutschen Radio in der alten Heimat an. Einmal in die Handy-Kamera winken, dann greifen die beiden wieder zum Kaltgetränk.
Ersatzflagge im Rucksack
Zwar sitzen sie weit weg vom lauten, niederländischen Block, in der letzten Reihe, direkt unter dem Hallendach, bemühen sich aber nach Kräften die Distanz mit Lautstärke wettzumachen. Und das so lang, bis die Sirene ertönt und die Niederländer und ihre beiden Fans aus Rotterdam den 34:29-Sieg gegen Georgien feiern können.
Während die anderen Niederländer erschöpft in ihre Sitze sinken, wechseln Virgil und Zeydan die Flagge. Im Rucksack haben sie noch eine von Bosnien und Herzegowina. Eingehüllt in den blauen Stoff mit den weißen Sternen und dem gelben Dreieck feiern sie das Team schon beim Aufwärmen. In der Halle dröhnen die Bässe und auch die Fans von Titelverteidiger Schweden strömen jetzt auf ihre Plätze. Sie rücken sich die blauen Wollmützen mit dem gelben Kreuz zurecht und greifen zur Klatschpappe.
EM-Start für deutsche Schiedsrichterinnen
Maike Merz und Tanja Kuttler scheint der Trubel nichts auszumachen. Die beiden deutschen Schiedsrichterinnen pfeifen mit dem Duell Schweden gegen Bosnien-Herzegowina in Mannheim ihr erstes Spiel bei dieser - auch für sie - Heim-EM. Die Halle kennen sie aus der Bundesliga. Routiniert, fast unaufgeregt laufen die beiden Schiedsrichterinnen ihre Bahnen zum Aufwärmen. Als sie Augenblicke später auf dem Videowürfel in der Halle erscheinen, brandet Applaus auf. Ein kurzes Lächeln huscht über Kuttlers Gesicht, dann ist der Fokus voll auf dem Spiel.
In der Arena ist es jetzt lauter. Der bosnisch-herzegowinische Block im Oberrang quittiert die Entscheidungen des Schiedsrichterinnen-Duos auch schon mal mit einem gellenden Pfeifkonzert. Davon aber lassen sich Kuttler und Merz ebenso wenig aus der Ruhe bringen, wie vom jungen Mann, der einen Augenblick zu lang auf sein Handy schaut, als er eigentlich den rutschigen Torraum wischen soll. Die Schiedsrichterinnen aus Tettnang kommunizieren klar, unmissverständlich und verlieren auch dann ihre Linie nicht, als die Diskussionen auch am Kreis lauter und hitziger werden. Titelverteidiger Schweden bezwingt Bosnien-Herzegowina schließlich mit 29:20.
Uwe Gensheimer begeistert Fans
Die niederländische Reisegruppe hat bei ihrem Start in die EM aber ein ganz anderes Highlight ausgemacht. "Unser Idol", strahlen sie und sprechen plötzlich alle durcheinander. Zu aufregend war die Begegnung mit dem Mann, den sie wahlweise ihr Idol oder "einfach nur Uwe" nennen. Uwe Gensheimer, Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen und bei der EM in neuer, noch etwas ungewohnter Rolle als Zuschauer, Botschafter von EM-Spielort Mannheim und Idol niederländischer Fangruppen.
"In der aktuellen Verfassung wäre ich der deutschen Mannschaft keine Hilfe", sagt Gensheimer, der noch immer mit einer Knieverletzung zu kämpfen hat. "Ich bin einfach als großer Fan des Handballsports hier und freue mich, dass wir so hochklassigen Sport direkt vor der Haustür haben." Und die Fans freuen sich, dass "ihr Uwe" all die Foto-Wünsche und Selfie-Bitten erfüllt. Vielleicht ist die niederländische Reisegruppe auch deshalb so gut in das EM-Abenteuer gestartet – weil sie auch lange nach der Schlusssirene bei der Handball-EM in Mannheim noch einen Grund zum Singen hatten: "Uwe ist Uwe."