Als Schiedsrichter Daniel Schlager das ebenso hochklassige wie dramatische DFB-Pokalspiel zwischen Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart (3:2) abgepfiffen hatte, gab es auf Seiten der Schwaben einen echten Gefühlsmix zu sehen. Die Emotionspalette reichte von Wut, Ärger über Frust sowie Enttäuschung bis hin zu Trotz und Stolz. Das alles begleitet von den Stuttgarter Fans, die ihre Mannschaft trotz des bitteren Last-Minute-Ausscheidens feierten. Eine fast schon skurrile Szenerie.
Andrichs Foul erregt die Gemüter
Wut und Ärger gab es auf Seiten der Schwaben wegen einer Entscheidung von Referee Schlager, die nach dem Abpfiff für viel Diskussionsstoff sorgte. Leverkusens mit Gelb vorbelasteter Mittelfeldspieler Robert Andrich hatte Stuttgarts Enzo Millot in der 36. Minute gefoult. Andrich war in einem Zweikampf zu spät gekommen und hatte den Franzosen am Fuß und zudem mit dem Knie im Kreuz erwischt. Eine zweite Verwarnung wäre angemessen gewesen, doch der Unparteiische ließ weiterspielen. Statt Gelb-Rot zu zeigen, pfiff Schlager nicht mal Freistoß.
VfB-Trainer Sebastian Hoeneß: "Das nimmt natürlich Einfluss aufs Spiel"
Eine Szene, über die sich VfB-Trainer Sebastian Hoeneß echauffierte. "Das nimmt natürlich Einfluss aufs Spiel. Dass das nicht mal gepfiffen wird, kann ich nicht verstehen. Ich habe schon sehr oft gesehen, dass das gepfiffen wird. Das ist ein klares Foul und aus unserer Sicht sehr ärgerlich. Zumal der Spieler später ja den 1:1-Ausgleich schießt. Von daher bin ich nicht nur enttäuscht, sondern auch angefressen", sagte der Coach.
Andrich (49. Minute), Amine Adli (66.) und Jonathan Tah hatten für Leverkusen getroffen. VfB-Kapitän Waldemar Anton (11. Minute) und Chris Führich (57.) für Stuttgart. Für Hoeneß hätte Andrich nach der Aktion gegen Millot nicht mehr auf dem Platz stehen dürfen. Eine Sichtweise, die nach der Partie viele Protagonisten teilten. Klar ist: Der Leverkusener hätte sich über eine Ampelkarte nicht beschweren dürfen. Es war aber keine klare Fehlentscheidung, sondern eine Tatsachenentscheidung. Deshalb griff der VAR nicht ein.
Dass man Gelb hätte geben können, gab indes sogar Andrich selbst nach der Partie zu: "Es gab natürlich einen Kontakt. Ich stand falsch und räume ihn so ein bisschen ab. Vielleicht habe ich ein bisschen Glück gehabt."
Waldemar Anton: "Mir fehlen ein bisschen die Worte"
Unabhängig davon war der Frust über das Pokal-Aus bei VfB-Abwehrchef Anton sehr groß. "Mir fehlen ein bisschen die Worte. Wir hatten mehr Chancen, wir waren griffig und bissig in den Zweikämpfen, wir haben wenig zugelassen. Wenn man dann am Ende mit leeren Händen da steht, ist das natürlich unfassbar bitter", sagte Anton am ARD-Mikrofon.
Seine Mannschaft hatte sich aber wenig vorzuwerfen. Das Stuttgarter Pressing funktionierte ebenso wie das blitzschnelle Kombinations- und Vertikalspiel. In der Abwehr warfen Anton und Co. bei höchstem Einsatz alles rein. Und selbst das "In-Game-Coaching" von Hoeneß zeigte Wirkung. Etwa, als er den gelb-vorbelasteten Maximilian Mittelstädt und Josha Vagnoman die Seiten tauschen ließ, um den starken Jeremy Frimpong zu stoppen.
Auf Augenhöhe mit Bayer Leverkusen
Der VfB hat also nicht viel falsch gemacht. Er stellte Bayer Leverkusen, immerhin ein Team, das über die Saison in allen Wettbewerben noch ungeschlagen ist und eine Vielzahl an Rekorden aufgestellt hat, vor massive Probleme. Die Schwaben begegneten den Rheinländern, die in der letzten Saison noch meilenweit enteilt schienen, auf Augenhöhe.
Xabi Alonso adelt den VfB Stuttgart
Bayer-Coach Xabi Alonso adelte den VfB nach der Partie sogar: "Stuttgart war der beste Gegner, der in dieser Saison hier in der Arena gespielt hat." Dafür kann sich das Hoeneß-Team zwar nichts kaufen, aber aus dem bloßen Bewusstsein, Leverkusen innerhalb von knapp sieben Wochen gleich zweimal vor enorme Probleme gestellt zu haben, kann der Traditionsklub Kraft und Selbstbewusstsein ziehen.
Deniz Undav: "Die beiden derzeit besten Mannschaften der Bundesliga sind aufeinandergetroffen"
Das Pokalspiel zwischen den beiden Klubs wirkte vom Niveau her wie das vorweggenommene Finale. Das sah auch VfB-Angreifer Deniz Undav so. "Die beiden derzeit besten Mannschaften der Bundesliga sind hier aufeinandergetroffen. Hut ab vor Leverkusen", sagte der 27-Jährige. Das wollte sein Trainer kurze Zeit später nicht so stehen lassen. "Wenn man auf die Tabelle schaut, stimmt das nicht. Da gibt es noch eine Mannschaft, die zehn Punkte vor uns steht", sagte Hoeneß mit Anspielung auf Bayern München, gab aber auch zu: "Ich weiß, was Deniz meint. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass das zwei Mannschaften sind, die gerade richtig Spaß machen."
"Es war ein richtig harter Pokalfight"
Dem VfB fehlte nicht viel, aber eine Nuance. "Auf diesem Top-Level sind Kleinigkeiten entscheidend", sagte Abwehrspieler Anton. Und Undav ergänzte: "Es war ein richtig harter Pokalfight, jeder wusste, was auf dem Spiel steht. Wir haben gekämpft, gekämpft, gekämpft, haben aber den Kürzeren gezogen, weil Leverkusen uns einen Schritt voraus war."
Es war ersichtlich, dass der Bayer-Kader breiter als der des VfB aufgestellt ist. Während die Gastgeber Spieler wie Amine Adli oder Borja Iglesias von der Bank bringen konnten, kamen bei den Stuttgartern Leonidas Stergiou, der erst am letzten Wochenende sein Startelf-Debüt feiern durfte, oder Mo Dahoud, der erst letzten Donnerstag verpflichtet worden war. Die beiden Spieler haben nichts falsch gemacht, aber Leverkusen war einfach breiter aufgestellt. Auch wenn der VfB mittlerweile immer öfter wie ein Spitzenteam agiert, fehlt es doch an der Tiefe im Kader, die Klubs wie Bayer haben. Auch das war ein Faktor für den Last-Minute-K.o.
Zudem fehlten dem VfB Serhou Guirassy (angeschlagen nach dem Africa Cup), Silas (Africa Cup) und Jeong Woo-yeong (Asienmeisterschaft). Hiroki Ito, der beim zweiten und dritten Gegentreffer eine unglückliche Figur abgegeben hatte, war erst zu Wochenbeginn von der japanischen Nationalmannschaft zurückgekehrt. Allesamt Begleitumstände, mit denen der VfB noch nicht so gut zurechtkommt wie ein langjähriges Spitzenteam.
"So ist der Fußball. Mund abwischen- weiter geht's!"
Und doch dürfen die Schwaben mit Blick auf die Bundesliga Selbstvertrauen und Stolz aus dem Ausscheiden ziehen. "Wir sind zwar im Pokal raus, was weh tut, aber jetzt liegt der volle Fokus auf der Bundesliga. Wir wollen da so erfolgreich wie möglich weitermachen", sagte Undav. "So ist der Fußball. Mund abwischen - weiter geht's!"
Und genau so sollten es alles Stuttgarter sehen, wenn sie über die Niederlage geschlafen habe. Dass der VfB eine Entwicklung genommen hat, die nach dem Fast-Abstieg im letzten Juni keiner für möglich gehalten hat. Die Chancen, im nächsten Jahr europäisch zu spielen, sind riesengroß. Und deshalb sollten spätestens ab Mittwochmorgen die vorherrschenden Emotionen Stolz und Optimismus sein.