Der Reporter der Abendschau im damaligen Süddeutschen Rundfunk machte schon zu Beginn klar, was die Fernsehzuschauer in den kommenden Minuten erwartete: Die Darstellung einer Revolution!
Die neue Straßenverkehrsordnung trat an jenem Montag, den 1. März 1971 in Kraft - und sie wollte erklärt werden. Denn noch nie zuvor hatte es auf einmal so viele neue Regeln und so viele neue Verkehrszeichen gegeben, die deutsche Autofahrer - und wenige Autofahrerinnen - lernen und beachten mussten.
Vor der neuen StVO sieben mal mehr Verkehrstote
Dass dieser radikle Schritt notwendig war, darüber herrschte grundsätzlich Einigkeit, denn das Fahren auf Deutschlands Straßen, so sagt Elke Hübner vom ADAC Nordrhein, sei zu dieser Zeit lebensgefährlich gewesen.
Moderner und europäischer
Der Weg zur neuen StVO war lang. Schon Ende der 1950er Jahre gab es erste Entwürfe für eine vollständige Neufassung, denn die allermeisten Verkehrsregeln und -schilder stammten noch aus der Straßenverkehrsordnung von 1937 – und die passte überhaupt nicht mehr zur Verkehrsentwicklung im Nachkriegs-Wirtschaftswunderland.
Und alles sollte viel europäischer werden, denn in unseren Nachbarländern gab es schon lange etwa ein Tempolimit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften, das achteckige Stoppschild oder klare Regelungen zum Halte- und Parkverbot.
Medienkampagne zum Auftakt der StVO
Fast alle Paragrafen der neuen Straßenverkehrsordnung waren völliges Neuland. Daher wurden die neuen Regelungen in einer großen bundesweiten Medienkampagne unter das Volk gebracht.
Es gab Beilagen in Tageszeitungen, Briefmarken mit neuen Verkehrszeichen, eine Fernsehshow zum Mitraten und zahlreiche TV-Beiträge, wie den der Abendschau, die den Zuschauern die neuen Regelungen erklärten.
Heute nicht mehr wegzudenken: Beim Überholen blinken
Einige Neuerungen klingen aus heutiger Sicht trivial: "Der Richtungsanzeiger muss, wie international üblich, weit häufiger als bisher betätigt werden, beispielsweise beim Überholen. Deutlich fahren heißt die Parole: Jeder Wechsel der Fahrspur und der Richtung ist anzuzeigen", informierte die Abendschau.
Wer das hört kann ahnen, wie es vorher um die Verkehrssicherheit bestellt war, ohne Sicherheitsabstand, Blinkerzwang und Überholverbot an Zebrastreifen. Am 1. März 1971 fand zudem eine weitere, wirklich wichtige Neuerung ihren Weg in die Straßenverkehrsordnung, die aber, so scheint es leider, auch nach 50 Jahren immer noch nicht in den Köpfen vieler Autofahrer und Autofahrerinnen angekommen ist: Die obligatorische Rettungsgasse.
Straßenverkehrsordnung entwickelte sich in Folgejahren
Auch nach 1971 entwickelte sich die Straßenverkehrsordnung weiter: Ab 1972 gab es etwa das Tempolimit 100 auf Landstraßen, ein Jahr später dann die 0,8-Promille-Grenze und ab 1974 wurde schrittweise die Gurtpflicht eingeführt. Seitdem kamen immer mehr Paragrafen dazu – und das, da ist sich Elke Hübner vom ADAC Nordrhein sicher, wird auch so weitergehen, denn mit der Entwicklung und Einführung neuer Mobilitätskonzepte wird sich auch die Straßenverkehrsordnung anpassen müssen. Für das autonome Fahren brauche es beispielsweise ganz andere Kommunikationsformen.
Letztendlich war die neue Straßenverkehrsordnung ein voller Erfolg. Die Sicherheit auf deutschen Straßen nahm seitdem immer mehr zu, die Zahl der Verkehrstoten sank immer weiter und heute ist das Risiko, im Straßenverkehr zu sterben, 16 mal geringer als vor 50 Jahren.
Defensives Fahren zur Gewohnheit machen
Dennoch sind die Worte, mit denen der Reporter der Abendschau des damaligen Süddeutschen Rundfunks seinen Fernsehbeitrag vom 1. März 1971 beendet, heute noch so aktuell wie damals: "Der größte Teil der neuen Regelungen, die die neue Straßenverkehrsordnung aufweist, zielt darauf ab, dass defensives Fahren zum gängigen Stil auf unseren Straßen zu machen. Bleibt nur zu hoffen, dass es ihr gelingen wird, eingefleischte deutsche Verkehrsgewohnheiten zu ändern."