Verbraucherzentrale klagt

Telecom statt Telekom – tausende Beschwerden

Stand
Autor/in
Barbara Hirl
Onlinefassung
Hanna Spanhel

Zahlreiche Deutsche-Telekom-Kunden sind aufgrund einer missverstandenen Briefwerbung zur 1N Telecom gewechselt – ohne dass sie es wollten. Wie können Betroffene das widerrufen?

Bei Berthold Frei begann alles mit einem attraktiven Angebot per Post: Mit dem DSL- und Telefonanschluss unbegrenzt und kostenfrei in die deutschen Mobilfunknetze telefonieren - für 34,99 Euro im Monat. Der Brief mit dem Absender 1N Telecom erinnerte ihn, wie er sagt, an die üblichen Schreiben der Deutschen Telekom, seinem Telefonanbieter. Für den 75-Jährigen war klar: Die Deutsche Telekom hatte ihm einen Tarifwechsel nahegelegt. Er unterschrieb das Angebot und schickte den Brief zurück.

Doch das Schreiben kam eben nicht von der Deutschen Telekom, sondern von der 1N Telecom GmbH. Das verstand Berthold Frei erst ein paar Wochen später. Da teilte ihm die Deutsche Telekom mit, dass ihr ein Wechselwunsch vorliege. Doch einen Anbieterwechsel wollte Berthold Frei gar nicht.

Stundenlang versuchte er, die 1N Telecom GmbH telefonisch zu erreichen und alles rückgängig zu machen. Als ihm das trotz zahlreicher Versuche nicht gelang, schrieb er einen Widerruf. Doch 1N Telecom habe auch darauf nicht reagiert, sagt Berthold Frei.

1N Telecom schreibt gezielt ältere Kunden der Telekom an

Stattdessen habe er seine neuen Internet- und Telefonzugangsdaten bekommen, aber damit keine Verbindung herstellen können. Wochenlang hätten weder Festnetz noch Internet funktioniert. Dennoch schickte ihm die 1N Telecom erst Rechnungen, dann Mahnungen - und leitete schließlich sogar ein Inkassoverfahren ein.

Eine Person geht mit dem Finger über ein Schreiben der Firma 1N Telecom - die Widerrufsbelehrung.

Berthold Frei ist nicht der Einzige, der diese Erfahrung gemacht hat. Seit dem vergangenen Jahr haben sich bundesweit mehr als 11.000 Hilfesuchende bei den Verbraucherzentralen gemeldet, sagt Oliver Butler von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegenüber Marktcheck.

Hunderttausende Senioren seien ungefragt angeschrieben worden, allesamt Kunden der Deutschen Telekom. Immer wieder halten diese die Schreiben der 1N Telecom für Angebote der Deutschen Telekom - und schließen einen Vertrag ab.

Auf Widerruf oder Rücktritt vom Vertrag folgen oft Schadensersatzforderungen

Versuchen die unfreiwilligen Kunden vom Vertrag zurückzutreten oder die Portierung, also die Mitnahme der Telefonnummer, zu verhindern, fordert 1N Telecom Schadensersatz - in vielen Fällen exakt die gleiche Summe: 419,88 Euro. "Weil sich der Kunde angeblich vertragsbrüchig gezeigt hat und den Vertrag nicht erfüllen möchte", erklärt Verbraucherexperte Butler.

Um die Kunden zur Zahlung zu bringen, greife die 1N Telecom auch zu fragwürdigen Methoden. Mit einem Amtsgericht-Siegel etwa wäre bei einem Schreiben der Eindruck erweckt worden, dass es sich um einen offiziellen Mahnbescheid handele, erzählt Oliver Butler. Die 1N Telecom hat allerdings vor Gericht bestritten, den fraglichen Umschlag verwendet zu haben.

Auf einem anderen Schreiben der 1N Telecom findet sich die Unterschrift des angeblichen Leiters des Kundenservice, die der Unterschrift des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder verblüffend ähnlich ist. In der Bayerischen Staatskanzlei, so teilt man auf Anfrage mit, sei "die Problematik" bekannt.

Die Verbraucherzentralen klagen, auch die Bundesnetzagentur greift ein

Inzwischen klagt der Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen die 1N Telecom. "Wir gehen unter anderem gegen die Schadenersatzklausel vor", sagt der Anwalt Benjamin Stillner, der die Verbraucherschützer vor Gericht vertritt. Auch gegen die Inkassotätigkeit und andere irreführende Praktiken des Unternehmens gehe man vor. "Die Verfahren laufen auch noch alle." Darüber hinaus prüfen die Verbraucherzentralen eine Sammelklage.

Auch die Bundesnetzagentur hat eingegriffen. Auf Anfrage von Marktcheck teilt die Behörde mit, dass sie im vergangenen Jahr rund 15.000 Wechsel von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu 1N Telecom vorläufig gestoppt habe. Diese Maßnahme sei rechtens, hat das Verwaltungsgericht Köln erklärt. In dem entsprechenden Beschluss heißt es, es gebe genügend Anhaltspunkte für die Annahme, "dass bei der Antragstellerin [1N Telecom] organisatorische Defizite bei der Verarbeitung von Widerrufen und Anfechtungen bestanden."

Das Gericht spricht sogar von einer "erheblichen Gefahr für Gesundheit und Leben" der Betroffenen, weil diese über längere Zeit keine Notrufe hätten absetzen können.

Ermittlungen stehen noch am Anfang - Keine Reaktion von 1N Telecom

In Düsseldorf ermitteln die Behörden ebenfalls gegen die 1N Telecom, unter anderem auch wegen Straftaten. "Gegenstand des Verfahrens sind zahlreiche Strafanzeigen aus dem Bundesgebiet", erklärt Oberstaatsanwalt Hauke Lorenzen von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. "Die Anzeigenerstatter geben an, ihnen seien Rechnungen mit etwaigen Schadensersatzforderungen durch das Unternehmen zugesandt worden. Die Angaben werden derzeit überprüft. Die Ermittlungen stehen insoweit noch am Anfang."

Die Firma selbst nimmt zu den Vorwürfen keine Stellung. Auf eMails und Anrufe von Marktcheck reagiert die 1N Telecom nicht. Auch vor Ort, an der Geschäftsadresse in Düsseldorf, gelingt kein Kontakt: Die 1N Telecom sitzt hier in den Räumen eines Mietbürodienstleisters. Dort heißt es an der Rezeption, dass von 1N Telecom niemand da sei. Dafür trifft die Marktcheck-Reporterin ein paar unzufriedene Kunden des Anbieters, die ihr Glück bei der Firma persönlich versuchen wollten. Auch sie werden abgewiesen.

Anbieterwechselauftrag von 1N Telecom widerrufen – das kann man tun

Wie können Betroffene vorgehen, die einen Vertrag bei der 1N Telecom unterschrieben haben, aber eigentlich gar nicht zu dem Anbieter wechseln wollten?

Verbraucherschützer Oliver Butler rät, innerhalb von 14 Tagen den Widerruf zu erklären - schriftlich und am besten per Einschreiben. "Wenn man über diese Gesamtumstände auch getäuscht wurde, besteht natürlich die Möglichkeit, die Anfechtung zu erklären. Auch das würde ich nachweislich per Einwurfeinschreiben machen", erklärt Butler.

Denn die negative Erfahrung der Verbraucherzentralen zeige, dass 1N Telecom in zahlreichen Fällen behaupte, keine Post erhalten zu haben, die eine Vertragsauflösung betreffe.

Das Unternehmen besteht trotz des Widerspruchs auf Forderungen

Berthold Frei indes hat eigentlich alle nötigen Schritte unternommen, um sich von dem Vertrag mit 1N Telecom zu befreien. Er hat Widerspruch eingelegt, eine Anfechtung erklärt, Forderungen der 1N Telecom und der Inkassofirma widersprochen. Dennoch besteht das Unternehmen weiter auf seinen Forderungen.

Sein Verdacht: "Diese Firma ist nur dazu da, um Geld abzuzocken. Nicht aber, um Internet- und Telefonie-Verbindungen herzustellen." Der 75-Jährige hat deshalb inzwischen wieder einen neuen Vertrag bei der Deutschen Telekom abgeschlossen - nun kann er auch wieder im Internet surfen und telefonieren.

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Marktcheck SWR

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Hanna Spanhel