"Was genau heißt gesellschaftlicher Zusammenhalt?", fragte eingangs Anna Koktsidou, die SWR Beauftragte für Vielfalt und Integration. Zusammenhalt sei nicht statisch und auch nicht unbedingt harmonisch, betonte Staatsministerin Annette Widmann-Mauz in ihrem Vortrag. Die 83 Millionen Menschen im Land "aus denen sich die Vielfalt dieses Landes zusammensetzt", sollten zusammenhalten, erklärte Widmann-Mauz. Dazu zählten nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Einwanderer und ihre Nachkommen. "Einwanderung gibt es in unserem Land schon immer, es ist der Normalfall", betonte Widmann-Mauz. Etwas Gutes entstehe dabei erst durch das einigende Band des Grundgesetzes. Den vielfältigen Integrationsmaßnahmen müsse weiterhin das Prinzip "fördern und fordern" zugrunde liegen.
Erkenntnisse über die Gesellschaft
Seit Jahren beobachtet Gewalt-und Konfliktforscher Andreas Zick die Entwicklung in der Gesellschaft. Auf dem Medienforum präsentierte er Ergebnisse seiner Langzeitstudie zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland. Auf die Frage, was die Gesellschaft für ihren Zusammenhalt braucht, nannte er fünf Elemente: eine Willkommenskultur, klare Zugehörigkeitskriterien und Rechte, zudem Toleranz und Integrationsorientierung. Letztere werde durch Vorurteile behindert. Deshalb müsse man die Maßnahmen fortführen, die nachgewiesenermaßen Vorurteile bremsen, zum Beispiel im Bildungsbereich.
Willkommenskultur
Die Willkommenskultur kehre tatsächlich zurück, sagte Zick bezugnehmend auf seine Langzeitstudie. Die Werte stiegen von 36 Prozent (2014) auf rund 37 Prozent (2018). Aber mehr als ein Drittel der Befragten wollen der Studie zufolge keine stärkere Willkommenskultur.
Rege Diskussionen
"Was hält uns zusammen und wie halten wir das fest?" war die anschließende Diskussion übertitelt. Die Podiumsgäste erzählten, was sie selbst in punkto Zugehörigkeit erlebt haben. Angesichts seiner Hautfarbe werde er häufig nach seiner Herkunft gefragt, sagte Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim. Grundsätzlich sei das Interesse legitim. Doch keiner habe ein Anrecht darauf, jederzeit seine Familiengeschichte zu erfahren. Wenn er mit seinem deutschen Geburtsort antworte und dennoch weiter gefragt werde, empfinde er dies als übergriffig.
Reaktionen auf Christchurch
Die Medien haben beim Thema Zusammenhalt eine große Verantwortung, waren sich alle Podiumsgäste einig. Allerdings stellte Gökay Sofuoglu, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschland, fest, habe es nach der gewalttätigen Silvesternacht von Köln über 30 Diskussionssendungen in ARD und ZDF gegeben, während er nach dem Attentat von Christchurch keine gesehen habe. SWR Chefredakteurin Gabi Biesinger wie auch Staatsministerin Widmann-Mauz zeigten sich vom Verhalten der neuseeländischen Premierministerin beeindruckt, die sich umgehend mit den Opfern solidarisiert habe.
Rechtsextremismus
Rund 24.000 organisierte Rechtsextreme gibt es in Deutschland, so Andreas Zick. Über 1.400 Angriffe habe es auf Asylsuchende gegeben. Es seien kaum Daten über "Hasstaten" vorhanden, bemängelte Zick. Für den Forscher ist die Gesellschaft in einem "Unruhezustand". Rund 21 Prozent der Befragten seien den letzten Studien zufolge rechtspopulistisch orientiert, rund fünf Prozent sehr deutlich rechtsextrem. 28 Prozent zeigten "Neue-Rechte-Einstellungen", erklärte Zick.
Zusammenhalten stärken - aber wie?
Für Zick müssen neue gemeinsame Perspektiven in der Gesellschaft geschaffen werden. Gemeinsame Perspektiven würden am stärksten die Konflikte reduzieren und damit den Zusammenhalt stärken.
Medienforum Migration
Das Medienforum Migration hat sich in den über 30 Jahren seines Bestehens zu einer der größten Fachtagungen zum Themenbereich Migration und Medien entwickelt. Alle zwei Jahre treffen sich beim SWR in Stuttgart Medienschaffende, Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik, von Migrantenorganisationen, den Kommunen, des Kulturbereichs oder interessiertes Publikum, um über aktuelle Entwicklungen zu sprechen.