In „Poor Things“ spielt Emma Stone eine Frau, der nach ihrem Tod von einem brilliant-verrückten Forscher das Gehirn ihres ungeborenen Kindes eingesetzt wird, wodurch sie wieder zum Leben erweckt wird. Für ihre Leistung erhielt sie bei den Oscars die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin. „Poor Things“ ist ein postmoderner Ideenfilm und eine weibliche Empowerment-Geschichte, inspiriert vom Kino des Surrealismus.
Einfallsreiches, phantastisches Bilderfest
Dies ist ein Ideenfilm, überladen in jeder Hinsicht, aber auch ein überbordendes visuelles Fest, voller Einfallsreichtum und voller ungesehener Bilder: Was will man von Kino mehr erwarten? Es ist eine Zeitreise in ein phantastisches 19. Jahrhundert und in dessen so idealistischer wie materialistischer Wissenschaft, zu der der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos sein Publikum verführen will.
Kontrollfreak und Filmrebell Regisseur Yorgos Lanthimos – Gewinner des Goldenen Löwen und Favorit auf den nächsten Oscar
Lange Zeit war der 1973 geborene griechische Regisseur Yorgos Lanthimos eine skurrile Randfigur der internationalen Filmszene. Jetzt ist er der große Favorit auf den nächsten Oscar. Ein Blick auf sein Werk.
„Poor Things“ erinnert an Kinderbücher des 19. Jahrhunderts
Wann genau „Poor Things“ spielen soll, ist nicht klar. Manchmal glaubt man, es seien die Zwanziger Jahre, manchmal denkt man, es wäre erst 1890. Es wird sehr bewusst keine Jahreszahl genannt. Vielmehr geht es um ein abstraktes, idealisiertes viktorianisches Zeitalter.
Die Welt dieses Films wirkt so, wie sie am ehesten in den Kinderbüchern des 19. Jahrhunderts aussah. Wohlgeordnet und überladen, voller Wunder und Fortschritt. Der Film strotzt nur so vor phantastischer Elemente und wissenschaftlicher Möglichkeiten, die es so damals noch gar nicht gab.
Genial-verrücktes Update des Doktor Frankenstein
Im Zentrum stehen ein Wissenschaftler und seine Pflegetochter: Der Mann, ein Professor, heißt Godwin. Er ist eine Art genial-verrücktes Update des Doktor Frankenstein. Es gibt auch ein paar Anspielungen auf den Film „Metropolis“, auf dessen verrückten Wissenschaftler und den Maschinen-Menschen, an dem er bastelt. Denn auch Godwin hat eine junge Frau bei sich zu Hause, die er in einem gewissen Sinn gefangen hält, auf die er sich aber auch in seiner eigenen Weise sehr liebevoll kümmert. Es ist kein sexuelles Verhältnis, eher eine Vater-Tochter-Beziehung.
Gehirn eines Kindes im Körper einer erwachsenen Frau
Godwin musste der jungen Frau Bella das Gehirn eines Kindes einpflanzen, um ihr Leben zu retten. Damit fehlt ihr die persönliche Erinnerung, ihre Erziehung und alle anderen Formen der Anpassung an soziale Normen. Dadurch kommt es zu vielen Konflikten und Irritationen – mal sind sie lustig, mal sind sie bizarr. Irgendwann aber bricht Bella aus und reist mit einem Liebhaber durch die damalige europäische Welt, zuerst nach Lissabon, dann nach Alexandria, dann nach Paris. Sex und die Entdeckung des Sex sind sehr wichtig für diese Figur.
Inspiriert vom surrealistischen Kino und Marquis de Sade
Und so gibt es neben „Frankenstein“, „Pygmalion“, „Metropolis“ und den Werken surrealistischer Filmemacher wie David Lynch noch eine weitere, offene Inspirationsquelle für diesen Film: Der Roman „Justine“ von Marquis de Sade – die Odyssee eines unschuldigen Mädchens, das zum Basiswerk der sexuellen Libertinage wurde. Bellas Geschichte ist nicht weniger monströs: Sie wird eingesperrt, dann gerät sie in die Gewalt eines zynischen Verführers, dann in ein Bordell, das für sie zum Ort der Befreiung wird. Bella gelingt es, aus allem eine Lektion zu machen und aufrichtige Freude daran zu empfinden, erwachsen zu werden, Erfahrungen zu machen und klüger zu werden.
Alles ist ein kleines bisschen pervers und übersteigert
Dies ist vor allem ein sehr bildkräftiger Film. Gleichzeitig sind die Bilder immer auch ein kleines bisschen schräg, ein kleines bisschen pervers und übersteigert. Ein Film, der eine Geschichte im Gewand des 19. Jahrhunderts erzählt, die auf manche Weise sehr modern ist und nur aus unserer Zeit, aus der Postmoderne stammen könnte. Lanthimos entfaltet ein Menschenbild, das einerseits desillusioniert und zynisch ist: Menschen sind eigentlich nur andere Tiere. Und es gibt wenig Hoffnung, wenig Trost und Glücksmomente.
Bella Baxter hat die Naivität eines großen Kindes
Andererseits ist dies eine wahnsinnig fortschrittsgläubige und idealistische Welt, wie es ja auch die Welt des 19. Jahrhunderts tatsächlich war. Und gerade die Hauptfigur, die junge Frau Bella, ist tatsächlich eine wissenschaftsgläubige, idealistische Frau, die sehr optimistisch ist. Sie hat die Naivität eines Kindes, das viel erwachsener aussieht als es ist, das aber erwachsen wird im Laufe des Films. Man könnte das alles als eine perverse Coming-of-Age Geschichte bezeichnen.
Dies ist aber auch ein sehr aktueller Film, weil Lanthimos in seiner antinaturalistischen Versuchsanordnung natürlich auch eine weibliche Empowerment-Geschichte erzählt, in der eine Frau sich aus dem Korsett des 19. Jahrhunderts in die Freiheiten befreit, die dann das 20. Jahrhundert den Frauen bot.
Trailer „Poor Things“, ab 18.1. im Kino
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