Schlechtes Gewissen beim Faulenzen zwischen den Jahren? Muss nicht sein! Wer Rita Bullwinkels Schlaglicht liest, legt die Füße hoch und steigt dennoch in den Ring. Ein Roman über junge Boxerinnen und ihren unbändigen Willen.
Wir steigen in den Ring – beim fiktiven „Daughters of America Cup“ in Reno, Nevada. Zwei Tage, zahlreiche Kämpfe, acht Boxerinnen. Jede von ihnen weiß genau, warum sie im schmuddeligen „Bob’s Boxing Palace“ antritt.
Jedes Kapitel - ein Kampf
„Schlaglicht“, das Debüt der US-amerikanischen Autorin Rita Bullwinkel, erzählt dramaturgisch klar strukturiert und in packenden, kurzen Kapiteln von diesem Wochenende. Jedes Kapitel ist ein Kampf – und jeder Schlag hat Gewicht.
Denn als Leser und Leserinnen haben wir einen Vorteil, den man üblicherweise beim Sportschauen nicht hat: Wir erleben nicht nur das körperliche Spektakel im Ring, sondern auch die inneren Kämpfe der Boxerinnen. Wir blicken in ihre Köpfe – sehen Wut, Entschlossenheit, Ängste und unbändiges Selbstbewusstsein.
Boxerstereotype fehlen komplett – zum Glück
Was „Schlaglicht“ zu einer besonderen Lektüre macht, ist auch das, was fehlt. Bullwinkels Roman kommt ganz ohne Boxstereotype aus. Hier gibt es keine „Eye of the Tiger“-Rockys, keine Nummerngirls und keine „Million Dollar Babys“. Stattdessen zeichnet die Autorin komplexe, vielschichtige Sportlerinnen. Das Turnier wird zum Brennglas für die Lebensrealitäten dieser jungen Frauen.
Jede Boxerin bringt ihre Geschichte mit
Iggy Lang hat nur ein Ziel: „die Weltbeste in etwas“ zu werden. Andi denkt immer wieder an den Jungen, der unter ihrer Aufsicht im Freibad ertrank. Und Artemis Victor will endlich aus dem Schatten ihrer erfolgreichen Schwester treten. Jede bringt ihre eigene Geschichte mit in den Ring. Jedes Match wird zur wortlosen Auseinandersetzung mit sich selbst und der Welt.
Bullwinkels Sprache ist kraftvoll und präzise wie ein perfekter Schlag – stark, roh und furchteinflößend. Doch das Leben geht weiter, auch nach den Kämpfen. Eine der Frauen kann später, nach zu vielen gebrochenen Fingern, nicht einmal mehr eine Tasse halten. Andere werden Managerinnen, Buchhalterinnen, vielleicht Hochzeitsplanerinnen. Was bleibt, ist die Erinnerung an die Zeit im Ring.
„Schlaglicht“ ist ein Roman über Kampfgeist, Verletzlichkeit und das Ringen um den eigenen Platz in der Welt. Das Boxen wird zur Metapher für das Leben: ein Kampf, in dem man sich beweisen muss. Ein Buch über die Suche nach Identität – und eines, das nachhallt wie ein harter linker Haken.
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Die 1943 in Anatolien geborene Übersetzerin und Schriftstellerin Tezer Özlü gehörte in den 1980er Jahren zu den wichtigsten Vertreterinnen junger Literatur in der Türkei. Obwohl sie auch in Deutschland gelebt hat, ist sie hierzulande weitgehend unbekannt geblieben. Özlüs „Suche nach den Spuren eines Selbstmordes“ erscheint hierzulande zum ersten Mal, obwohl das Buch auf Deutsch verfasst und mit einem Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Die Autorin reist nicht nur zu den Schauplätzen ihrer literarischen Heroen wie Kafka, Svevo und Pavese, sie erkundet in einer „apodiktischen Sprache“ (Nüchtern) auch eigene Sehnsüchte, Träume und Wünsche. Das Buch entwickelt sich damit zu einer literarischen Feier der „unbedingten Rebellion“ (Dotzauer).
Auf dem Programm in Heilbronn standen außerdem: mit „Unser Ole“ der neue Roman von Katja Lange-Müller (Platz 2), die Prosaminiaturen “Unsere Fremden“ von Lydia Davis (Platz 3) sowie der aus dem Russischen von Olga Radetzkaja übertragene Roman „Der Ansprung“ von Maria Stepanova (Platz 4). Aus den vier Büchern lasen Isabelle Demey und Dominik Eisele. Durch den Abend führte Carsten Otte.
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