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100 Jahre „Das Magazin“

Stand
Autor/in
Corinne Orlowski

Vor 100 Jahren erscheint auf dem deutschen Pressemarkt etwas völlig Neuartiges: ein Magazin, nach amerikanischem Vorbild im A5-Format. Es heißt schlicht „Das Magazin“.

Es ist vielleicht die kleinste große Unbekannte auf dem deutschen Pressemarkt: Das Magazin. Am Kiosk und in Bahnhofsbuchhandlungen liegt es meist, aber man muss danach fragen, denn oft geht es zwischen all den großen Zeitschriften unter, seufzt Co-Verleger Till Kaposty-Bliss.

Das ist ja das Problem beim Magazin durch das kleine Format. Das hat ja immer schon das iPad-Format, also die DIN-A5-Größe. Das ist ein Vorteil, wenn man es in der Hand hält und wenn man damit rumreist oder auch in der Badewanne.

Hundert Jahre, und immer noch da

In diesem Jahr ist das Magazin 100 Jahre alt geworden. Deutschlands erstes „Magazine“ – gegründet 1924 von Franz Walter Koebner und Robert Siodmak, der später als Regisseur in Hollywood Karriere machte. Das Heft war seinerzeit etwas völlig Neuartiges. Leicht im Ton, aber nicht seicht. Eine Wundertüte, gefüllt mit allem, was Spaß macht und aufregend ist.

„Die einzige Zeitschrift, die sich – auch in heutigen Zeiten – durchsetzen wird. Warum? Haben Sie vielleicht Lust, wenn Sie heute etwas lesen wollen, das Risiko zu laufen, mit einem langen Roman hereinzufallen, der fünf Mark kostet? – Nein! Sie werden das Magazin durchblättern und sofort etwas finden, was Sie interessiert.“

Die erste Auflage des Magazins 1924 war umgehend vergriffen. Rasch entwickelt es sich zur erfolgreichsten Monatsillustrierten in der Weimarer Republik. Ständiger Gast auf den Covern: ein kleiner Engel.

„Also diese wirklich interessante Mischung aus leichter Erotik, Tingeltangel, sehr offenen Themen, wie zum Beispiel Rauschmittel. Das war ja in den Zwanzigern ein großes Thema.“

Auch Marlene Dietrich stand schon Modell

Ein Heft, prall gefüllt mit Berichten über Revuegirls und literarischen Geschichten. Dazwischen viele Fotos von leicht bekleideten Damen, eingefangen von Vertretern der Avantgarde-Fotografie wie Man Ray.

… manchmal auch Herren, soweit ich weiß, hat das Magazin die ersten Misswahlen in Deutschland ausgerufen …

In der Jury: unter anderem Heinrich Mann und Carl Zuckmayer.

… so was gibt’s wahrscheinlich gar nicht mehr, und was ich immer gerne erzähle, ist, dass eine damals unbekannte Dame Model beim Magazin war: Marlene Dietrich.

Unter den Nazis musste das Magazin kriegsbedingt eingestellt werden – in der DDR aber ist es dann „auferstanden aus Ruinen“. Musik andeuten Hymne? Nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 ändert die SED ihren „neuen Kurs“ und „erlässt“ die Gründung einer Zeitschrift, die die Massen unterhält und zerstreut.

„Ab Dezember 1953 erscheint ein populäres, für den breitesten Leserkreis bestimmtes, monatlich erscheinendes Magazin. Mitte November sind dem Politbüro Probeexemplare der ersten Nummer vorzulegen.“

Im Januar 1954 erscheint das erste „Magazin“ – für die DDR, eine kleine Sensation. In der bis dahin eintönigen Presselandschaft tritt ein völlig neuer Ton, eine neue Farbe, ja, und die ersten Nacktaufnahmen.

Eine Katze wird zum neuen Maskottchen

Anteil am sensationellen publizistischen Erfolg haben aber vermutlich auch die ikonischen Titelblätter von Werner Klemke, die von Beginn an eine große Heiterkeit ausstrahlen. Er gestaltete bis nach der Wende über 400 Cover.

Auf fast allen taucht ein kleiner Kater auf – mal mehr, mal weniger versteckt. Die Fellnase wird – ähnlich wie in den Zwanzigerjahren der Engel – zum Maskottchen des Blattes.

Das Magazin hat für DDR-Verhältnisse eine hohe Druck-Qualität. Für reichlich Devisen werden Kodak-Farbfilme aus dem Westen eingekauft. Das Blatt steht finanziell gut da. Kurz vor dem Mauerfall beträgt die Auflage über eine halbe Million Exemplare. Und sie hätte noch höher sein können, wenn das Papier nicht so knapp gewesen wäre.

Namhafte Schriftsteller:innen schreiben für das Blatt wie Christa Wolf, Bertolt Brecht oder Arnold Zweig, das dokumentieren heute die alten Honorar-Karteikarten, in denen Till Kaposty-Bliss blättert:

Auch Loriot habe ich gefunden. Die Namen sagen mir jetzt alle auch nichts, ach, guck mal, Anja Kling, die Schauspielerin, die war mal Model beim Magazin, Gerit Kling, die Schwester …

Viel mehr als eine Ost-Zeitschrift

Das Magazin sei der „Playboy der DDR“ gewesen, der „New Yorker des Ostens“. Diese Vergleiche hört Till Kaposty-Bliss aber heute nicht mehr so gerne. Für ihn ist das Blatt unvergleichlich. – Und eines der wenigen Ost-Produkte, das zumindest dem Namen nach überlebt hat.

Das Magazin bleibt zwar zunächst im Bewusstsein der Menschen mit der DDR verbunden, ist aber heute mitnichten eine Ost-Zeitschrift. Es gehen zwar 75 Prozent der etwa 45.000 Auflagen starken Zeitschrift nach Ostdeutschland, aber die Themen sprechen alle an. – Gemäß dem Motto: „Hinterher ist man immer schlauer“.

Das ist interessant, das sind Lebenswelten, die ich nicht kenne, das sind Biografien, die anders sind als meine, aber durchaus Inspiration bieten fürs eigene Leben. Das sind solche Themen, wo man mit einem Erkenntnisgewinn rausgeht.

Das Magazin ist sich in vielem treu geblieben. Noch immer findet man Berichte aus Kneipen oder fernen Ländern neben Reportagen, Kolumnen und Kultur-Tipps: von Sexualität ab 60 bis zum Boxen sind den Themen keine Grenzen gesetzt. Freundlich im Ton, mit Witz und Sinnlichkeit. Politik spielt praktisch keine Rolle und, ja, auch die geschmackvollen Erotik-Fotos sind geblieben.

Wir sind, glaube ich, die einzige Publikumszeitschrift, also die eben nicht Erotik ist, die sowas noch macht. Das macht ja keiner mehr. Das ist ja komplett verschwunden aus der Presse.

Überraschende Themen, viel Kultur, aber keine Politik

Meistens werden Themen verhandelt, über die man so noch nicht nachgedacht hat. Und es gibt persönliche Geschichten – zum Teil mit überraschenden Offenbarungen.

„Ich hab einen Hochschulabschluss und verdiene so viel oder wenig, wie man im Kulturbetrieb eben verdient. Mir gehts gut, echt. Ich hab was ich brauche. Trotzdem klaue ich neuerdings. Nicht im großen Stil, so bin ich nicht. Es ist einfach so, dass die Selbstbedienungskassen, die man in Supermärkten vorfindet, eine Belastung für meine Integrität darstellen.“

Zum geistreich-verspielten Inhalt passen die brillanten Titel-Gestaltungen von Kat Menschik, Deutschlands gefragtester Illustratorin. Die sind bunt, wo es nur geht und erinnern in ihrem harten Strich an Jugendstil-Plakate – Pop-Art mit romantischem Twist.

Und noch etwas ist geblieben: der Kater.

Kat hat Katzen oder Kater, und just als sie für uns angefangen zu zeichnen, war ihr Kater Boris gestorben und Boris lebt weiter im Magazin.

Ein Geheimtipp im Westen

Nicht nur für Katzenliebhaber ist das Magazin also ein echter Geheimtipp. Und wer nicht am Kiosk suchen will, der verschenke doch einfach last minute ein Abo von „Das Magazin“ – als Überraschung für Kulturinteressierte unterm Weihnachtsbaum - „Hinterher ist man immer schlauer“, versprochen.

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