Der Krieg in Nahost wirbelt auch in der Region Stuttgart einiges auf - und alles ist plötzlich anders. Wir zeigen, wie man aus Altem Neues macht und was vielleicht doch bleibt - im Wochenrückblick.
Shalom und Salam, ich bin Fabian Ziehe und Redakteur im SWR Studio Stuttgart - und was bleibt nach so einer Woche, als inständig eben: um Frieden zu bitten, auf Frieden zu hoffen. Der Wochenrückblick kommt um den neuerlichen blutigen Konflikt in Nahost nicht herum. Aber es geht auch um Neuanfänge aus eigentlich Ausgedientem und Weggeworfenem - und um einen hoffentlich tröstlichen Schluck Trollinger, auf den der Abgesang womöglich doch noch verfrüht ist.
- Internationale Konflikte: Reaktionen in der Region Stuttgart
- Zu was Altgedientes taugt - zwei Beispiele aus der Region Stuttgart
- Trollinger - alter Wein auch in neuen Schläuchen?
Internationale Konflikte: Reaktionen in der Region Stuttgart
Es sind schreckliche Bilder und Nachrichten, die seit Samstag vergangene Woche aus dem Nachen Osten kommen. Mit dem Überfall der militant-islamistischen Terror-Miliz Hamas auf Dörfer in Israel ist der Krieg in die Region zurückgekehrt - und mit ihm Angst, Sorgen, Wut. In und um Stuttgart leben viele Menschen etwa mit Wurzeln in den Nahost, mit Kontakten in die Region oder mit jüdischem und muslimischem Glauben. Sie sind ganz besonders aufgewühlt, empört und besorgt wegen der vielen Bilder und Berichte von Krieg und Zerstörung.
Während am Montag auf dem Marktplatz in Stuttgart 500 Menschen ihre Solidarität mit Israel bekundeten, versammelten sich etwa 150 Unterstützende der Palästinenserinnen und Palästinenser am Rotebühlplatz. Dort wurde es hitzig, wenn auch die Lage nicht eskalierte. Die Polizei überprüft nun die Slogans auf Plakaten und die gerufenen Parolen auf einen strafrechtlichen Inhalt. Hinsichtlich der Veranstalter hatte die Polizei gegenüber dem SWR nichts zu beanstanden, diese seien sehr kooperativ gewesen und hätten auf erhitzte Demonstrierende beruhigend eingewirkt.
Die Stuttgarter CDU-Gemeinderatsfraktion ist sich indes sicher: "Die Politik muss auf jeder Ebene mit aller Härte gegen pro-palästinensische Terrorunterstützer vorgehen." In den Fokus nimmt sie das "Palästinakomitee Stuttgart". Es war Mitveranstalter der Pro-Palästina-Kundgebung und ist Mitglied im Stuttgarter "Forum der Kulturen", dem Dachverband der Stuttgarter Migrantenvereine. Die CDU verweist nun auch auf ein Facebookposting des Komitees, in dem Verständnis für den Terrorangriff auf Israel geäußert wird. Ein No-Go für die CDU, das in einem Appell an das "Forum der Kulturen" mündet: "Wir bitten daher als CDU-Fraktion das Forum der Kulturen, dem palästinensischen Mitgliedsverein die Mitgliedschaft zu entziehen, wenn dieser sich nicht eindeutig von den Gewalttaten gegen Israel distanziert."
Und das "Forum der Kulturen"? Nun, man will zu aller erst mit dem "Palästinakomitee Stuttgart" und anderen Akteuren reden, erklärt Geschäftsführer Rolf Graser dem SWR. Rund 150 Mitglieder zähle der Dachverband - und dass sich da unterschiedlichen Meinungen und Positionen sammeln, sei klar. "Solang das Ganze rechtsstaatlich und gewaltfrei abläuft, hat jeder Verein im Rahmen der Meinungsfreiheit das Recht sich zu äußern, wie er will."
Schließlich könnte der Dachverband es schlicht nicht leisten, alle Aktivitäten der Mitgliedsvereine zu durchleuchten und zu bewerten. "Wir können das nicht kontrollieren", sagt Graser. Und: Der Dachverband käme in Teufels Küche, wenn er selbst sich jenseits prinzipieller Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und Gewaltfreiheit in einem internationalen Konflikt positioniere. "Unsere Aufgabe ist es ja in Stuttgart, uns um das friedliche Zusammenleben aller Stuttgarterinnen und Stuttgarter zu kümmern."
Und das ist eine Aufgabe. Löst man sich gedanklich vom neuerlichen Nahostkonflikt und nimmt weitere Konflikte in den Blick - jüngst etwa die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen eritreischen Lagern oder auch ukrainischen wie russischen Gruppen, dann wird klar: Je rauer international das Klima wird, je mehr die Zahl der Konflikte steigt, umso mehr spiegelt sich das auch in der Stuttgarter Stadtgesellschaft wider. Allerdings - und das ist Graser wichtig zu betonen: "Es ist normal und eigentlich auch positiv, dass Menschen, die hier leben, sich auch um die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland kümmern. Etwa indem sie sich entwicklungspolitisch oder sozial engagieren.
Über die Pro-Palästina-Demo in Stuttgart, die Forderungen der CDU und die Reaktion des Forums der Kulturen hat der SWR Aktuell am 12. Oktober 2023 berichtet.
Zu was Altgedientes taugt - zwei Beispiele aus der Region Stuttgart
Der Nahe Osten - er hat uns im SWR und sicherlich auch viele andere ziemlich umgetrieben diese Woche. Zuvorderst das Leiden und Sterben in Israel und dem Gazastreifen. Aber auch die Bilder der Zerstörung verstören und erschüttern. Irgendwie fühlte sich da die Ankündigung im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA'27) ganz tröstlich an: Hier wurde ein "Zweites Leben für Waschbecken und Co." versprochen. Verwerten statt zerdeppern! In Stuttgart-Rot sollen 45 Wohnungen dem IBA'27-Bauprojekt "Genossenschaftliches Quartier am Rotweg" weichen. Und davor können Bürger noch bis diesen Samstag ausbauen, was sie gebrauchen können - eben vom Waschbecken über den Durchlauferhitzer bis zur Kellerabtrennung.
Seit Mittwoch läuft die Aktion - und die meisten Angereisten suchen in den unbewohnten Wohnungen nach Möbeln, Küchengeräten und Badarmaturen. In den verlassenen Reihenhäusern lässt sich das alles finden, bevor sie kommende Woche abgerissen werden. Voraussetzung dafür ist lediglich, dass die Besucherinnen und Besucher das Inventar selbst abbauen und abtransportieren.
Aktion vor dem Abriss Hier gibt es in Stuttgart gratis Waschbecken und Küchen zur Selbstabholung
Bevor in Stuttgart alte Häuser abgerissen werden, gibt es dort kostenlos Waschbecken, Kühlschränke und Pflanzen zum Mitnehmen. Nur das Werkzeug muss man selbst mitbringen.
Recycling, sogar Upcycling steht da auf der Agenda - das klingt doch sympathisch! Und es war diese Woche nicht das einzige Beispiel dafür, dass aus Alt- und Ausgedientem Neues entstehen kann. Der Künstler Matthias Garff fertigt etwa aus einem alten Rührgerät, einem kaputten Schlittschuh oder einer hübschen Vase mit Sprung phantasievolle Tiere an. Im Museum im Kleihues-Bau in Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) ist ab diesem Freitag seine Ausstellung zu sehen. Titel der Schau: "Wolkenkuckucksheim". Schön, oder?
Über das IBA'27-Projekt hat das SWR Fernsehen am 13. Oktober 2023 berichtet, über die Ausstellung des Künstlers Matthias Garff am 11. Oktober 2023.
Trollinger - alter Wein auch in neuen Schläuchen?
Globale Probleme erreichen auch auf andere Weise die Region Stuttgart - in diesem Fall aber geht es nicht um Krieg, sondern um Klimawandel. Die starken Wetterschwankungen haben bei den württembergischen Genossenschaftswinzern heuer für eine geringere Ernte gesorgt. Erst Hitze und Trockenheit, dann Regen und Gewitter kurz vor der Ernte sowie Probleme mit Schädlingen: Die Weingärtnerinnen und Weingärtner schauen auf ein herausforderndes Jahr 2023 zurück, die Effekte des Klimawandels werden immer offensichtlicher.
Die 31 Weingärtnergenossenschaften in Württemberg, von denen rund die Hälfte in der Region Stuttgart ansässig sind, melden eine kurze Lese-Periode ab Mitte September immerhin bei meist brillanten Wetter. Bei der Menge an Trauben liegt man im Schnitt klar unter dem Vorjahres-Niveau. Der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband prognostizierte am Dienstag einen Ertrag von rund 88 Hektolitern je Hektar Rebfläche - 2022 waren es noch 95 Hektoliter. Immerhin: Die Qualität gerade der Weißweine soll stimmen - im Winzer- und Önologen-Sprech heißt das: Man verspreche sich "elegante Weine mit moderatem Alkoholgehalt".
Eine Traube bereitet den Weingärtnern allerdings Kopfschmerzen - und das nicht wegen übermäßigen Konsums: Das württembergische Original Trollinger, das sonst nur ein wenig im Kraichgau und in Tirol (als Vernatsch oder Schiava) angebaut wird, ist eine empfindliche Frucht. Davon berichtet auch Matthias Hammer dem SWR. Er ist Geschäftsführer der Weingärtner Marbach (Kreis Ludwigsburg), also eben auch einer der 31 Weingärtnergenossenschaften, und er berichtet von dem vielen Regen und sogar Gewittern noch kurz vor der Lese: Ihre Trollinger-Reben an den Steilhängen hinunter zum Neckar platzten auf und zogen Fliegen an - was eine mühsame Ernte und einen schlechten Ertrag bescherte.
Dennoch: Derweil andere Weingärtner in Württemberg allmählich auf Merlot oder Cabernet Sauvignon umschwenken, will Matthias Hammer nicht in den Abgesang auf den guten alten Trollinger einschwenken: Schließlich ist das ein Alleinstellungsmerkmal. Mit Merlot hingegen als einer der global am meisten angebauten Rebsorten würden die Württemberger beim Allerwelts-Wein landen. "Wir müssen in den Steillagen langfristig was mit dem Trollinger überlegen", räumt er ein. Es gäbe noch nicht die eine Lösung - aber erste Ansätze. Und: Der Schwabe sollte seinen Trollinger nicht unter den Scheffel stellen: Wein derselben Rebsorte werde als Vernatsch in Tirol für 10 bis 20 Euro die Flasche verkauft.
Die Abstimmung ist bereits beendet.
Hinweis: Das Abstimmungsergebnis zeigt ein Meinungsbild unserer Nutzer*innen und ist nicht repräsentativ.
Übrigens experimentieren auch die Marbacher mit neuen Rebsorten - auf eine Karte setzen viele Weingärtner nicht mehr. Und mögen sich am hiesigen Wein und seiner Zukunft auch die Geister scheiden: Nur wenig Wörter jedenfalls gehen so schlicht, schön und schwäbisch über die Lippen wie "Haberschlachter Heuchelberg" - egal übrigens, wie viel von diesem Trollinger-Lemberger-Mix man schon intus hat.
Ob mit Sekt, Selters oder Trollinger, den Prost auf das Wochenende haben wir uns verdient. Oder was meint Ihr?
Über die Bilanz der Württembergischen Weingärtner-Genossenschaften hat SWR4 am 12. Oktober 2023 berichtet.
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