Buchvorstellung

„Blutbuch“ von Kim de l’Horizon auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis

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AUTOR/IN
Kathrin Hondl

Die Jürgen-Ponto-Stiftung hat das Buch bereits ausgezeichnet – als einen „Blitzschlag“. Nun ist Kim de l’Horizons Roman „Blutbuch“ auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Elf Jahre hat Kim de l’Horizon an diesem autofiktionalen Debütroman geschrieben und darin zu einer „écriture fluide“ gefunden – einer „flüssigen Schreibweise“, in der sich die non-binäre Erzählerperson des Romans der eigenen Existenz annähert.

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Literatur Der Deutsche Buchpreis 2022 geht an Kim de l'Horizon für den Roman „Blutbuch“

Kim de l'Horizon erhält den Deutschen Buchpreis 2022 für den Roman „Blutbuch“.

Auf der Suche nach sich selbst

„Die Suche nach der Mutterblutbuche“, so heißt der zentrale dritte Abschnitt des Romans. Es geht darin um die Blutbuche im Garten der Großmutter. Über diese Großmutter und die Geschichte der Familie ist die Erzählfigur auf der Suche nach sich selbst. Es ist eine non-binäre Person, die also keinem Geschlecht zugehörig ist – ein queeres Ich. Wie Kim de l’Horizon. 

Es ist ein mäandernder vielsprachiger – Kim sagt auch „vielzüngiger“ – Erzählfluss, in dem das schreibende Ich sich immer wieder auch direkt an die Großmutter richtet und der mütterlichen Familiengeschichte bis ins 14. Jahrhundert nachspürt. 

„Ich glaub, damit wir werden können, was wir schon immer sind, müssen wir auch unser Erbe anschauen.“

Literatur Diese Bücher standen auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022

Die Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2022 steht fest. Aus den 20 Nominierten hat die Jury sechs Titel für die Shortlist gewählt. Am 18. Oktober wird bekannt gegeben, wer dieses Jahr die begehrte Auszeichnung erhält.

Der Muttersprache fehlen die Worte

Das „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon ist spielerisch, poetisch und an vielen Stellen auch lustig und lustvoll, inklusive ausführlichen Analsex-Passagen, in denen der fließende Textkörper sehr körperlich wird.

Und immer wieder wird das Schreiben selbst reflektiert: „Wie sehen Texte aus, wenn nicht ein menschliches Meistersubjekt im Zentrum steht und die Welt begnadet ins Förmchen goethet?“, fragt die Erzählfigur im Roman-Teil über die „Suche nach der Mutterblutbuche“. Und natürlich wird im Blutbuch nichts „ins Förmchen gegoethet“, denn für non-binäre Personen fehlten in Kims Muttersprache die Worte.

„Da gab es eben auch die Möglichkeit nicht, ein nicht-binäres Geschlecht zu haben bisher. Dieser Körper war nicht vorgesehen in dieser Sprache.“ 

Ein radikales Buch, das Identitätskonstruktionen hinterfragt

Sehr eindringlich beschreibt das „Blutbuch“ das Gefühl des Kindes, nur da zu sein, um Bedürfnisse und Erwartungen der anderen zu erfüllen. Es ist ein „Buch der Angst“, sagt Kim de l’Horizon. 

Non-binäre Menschen werden viel öfter Opfer von Gewalt als andere. Zum Beispiel wenn Schlägertypen aus dem Umland vor den queeren Clubs der Zürcher Altstadt aufkreuzen, erzählt Kim de l’Horizon.

Das „Blutbuch“ mag ein „queeres Buch“ sein, vor allem aber ist es sehr gute radikale Literatur – und eine Aufforderung an alle, die eigene Identität vielleicht auch mal zu hinterfragen.

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Kathrin Hondl