Reportage

„Die Regierung fand, ich wolle nur Ärger machen“ – Aktuelle Literatur aus dem Sudan

Stand
Autor/in
Sonja Hartl

Seit über einem Jahr herrscht wieder Krieg im Sudan, einem Land, das seit Jahrzehnten unter Gewalt und bewaffneten Konflikten leidet. Wie wirkt sich auf die Literatur aus? Und wie beschreibt man ein Land, das man verlassen musste? Vom Sudan erzählen Fatin Abbas, Stella Gaitano und Abdelaziz Baraka Sakin in ihren aktuellen Büchern.

Seit über einem Jahr herrscht Krieg im Sudan: Zwei rivalisierende Generäle und ihre Armeen kämpfen um die Macht – in einer Region, in der es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Kriegen kam. Das schlägt sich auch in der Gegenwartsliteratur aus dem Sudan und Südsudan nieder, in der Gewalt sehr präsent ist – es aber viele hoffnungsvolle Momente des Zusammenlebens gibt.

Ich bin in der Diaspora aufgewachsen. Doch weil ich aus dem Sudan stamme, hat er in meinen Gedanken einen besonderen Platz.

Sagt die Schriftstellerin Fatin Abbas. Geboren 1981 in Sudans Hauptstadt Khartum ist sie als Neunjährige mit ihrer Mutter in die USA gegangen. Ihr Vater saß zu der Zeit im Gefängnis, ihre Familie war in dem ostafrikanischen Land unter dem damaligen Herrscher Umar al-Bashir nicht mehr sicher. Ihr erster Roman „Zeit der Geister“ spielt in einer fiktiven Grenzstadt zwischen Nord- und Südsudan vor der offiziellen Unabhängigkeit des Südsudan 2011.

Als jemand, die größtenteils im Ausland aufgewachsen ist und natürlich sehr enge Verbindungen und Familie im Sudan hat, habe ich mich selbst und meine Autorität als Schriftstellerin in Frage gestellt – wie ich zum Sudan stehe und ihn literarisch repräsentieren kann. Aber dann wurde mir klar, dass es nicht die eine authentische Version des Sudan, sondern dass es viele Darstellungsformen gibt. Und meine ist eine davon.

Im Roman „Zeit der Geister“ gibt es vier zentrale Figuren, die verschiedene Perspektiven auf und innerhalb des Sudans repräsentieren: einen weißen US-amerikanischen NGO-Mitarbeiter, eine sudanesisch-amerikanische Fotografin, eine muslimische Köchin aus einer Nomadenfamilie, die aufgrund der Dürre sesshaft werden musste, und einen gut ausgebildeten Sudanesen aus dem Süden, der als Englisch-Übersetzer in der Grenzregion arbeitet, weil er in Khartum keine Arbeit gefunden hat. Ein vielschichtiger Mikrokosmos dieser Region.

Was mich am Sudan am meisten interessiert ist, dass er da liegt, wo der arabische Nahe Osten, das arabische Nordafrika und Sub-Sahara-Afrika aufeinandertreffen. Das macht ihn zu einem Gebiet, in dem man all diese verschiedenen kulturellen und politischen Strömungen verhandeln muss.

Das spannungsreiche Neben- und Miteinander verschiedener Kulturen spiegelt sich in der Literatur wider: Im Sudan schreibt man auf Arabisch, im Südsudan wird meistens auf Englisch geschrieben. Die Autorin Stella Gaitano ist Südsudanesin, hat sich aber wie einige Autorinnen und Autoren ihrer Generation bewusst fürs Arabische entschieden – auch für ihren neuen Erzählband „Endlose Tage am Point Zero“ –, wie sie im Zoom-Interview erzählt.

Als ich anfing, auf Arabisch zu schreiben, war es für die Menschen im Norden das erste Mal, dass sie Literatur über Südsudanesen auf Arabisch lesen konnten. Sie wussten nicht viel über den Südsudan, die Gefühle der Menschen dort und verstanden nicht, was sie durchmachten.

Stella Gaitano ist in Sudans Hauptstadt Khartum aufgewachsen, zur Schule gegangen, hat dort studiert. Aber ihre Eltern kamen aus dem Süden und so musste sie mit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 Karthum verlassen. In ihrem intensiven und einsichtsvollen Kurzgeschichtenband erzählt sie von unzerstörbaren Bäumen, die Schutz und Heimatgefühle vermitteln. Von dem Weggehen-Müssen aus dem Norden in den Süden, dem oft jahrelangen Dasein in Flüchtlingscamps kurz vor der neu geschaffenen Grenze.

Ich dachte, dass ich das dokumentieren sollte. Damals hat man die humanitäre Frage nicht in den Mittelpunkt gestellt. Während der Trennung der beiden Länder konzentrierten sich die Politiker nur auf ihre politischen Streitereien.

Die Unabhängigkeit des Südsudan ist mehr als ein politischer Prozess – das machen Gaitanos oft nur wenige Seiten langen Kurzgeschichten eindrücklich klar. In einer Geschichte kauft sich eine Frau ein Gewehr, nachdem ihr die Entschädigung geraubt wurde, die sie dafür bekommen hat, dass ihr Mann als Soldat im Unabhängigkeitskrieg gestorben ist.

Die Menschen denken, dass sie sich selbst schützen müssen. Die Regierung ist weit weg, Gesetze nützen dir nichts. Es herrscht einfach Chaos. Jeder kann machen, was er will. Jeder kann eine Waffe bekommen, um sich zu schützen. Jeder kann jeden töten. Die Menschen entscheiden selbst, weil die Regierung schwach ist oder nicht funktioniert, um die Bürger zu schützen.

Und Politiker lesen nicht.

Was ein Teil des Problems ist, findet Abelaziz Baraka Sakin, einer der wichtigsten Autoren des Sudan. Er lebt seit 2012 in Europa.

Falls sie lesen, verstehen sie nicht. Und falls sie es verstehen würden, würden sie nicht daran glauben, dass Literatur etwas voraussagen kann. Sie denken, Literatur ist nur etwas für die Freizeit.

Auch in seinem Werk sind es die Politiker und Generäle, die versagen und aus Eigennutz handeln. In seinem 2012 im Sudan, dann 2021 in Deutschland erschienenen Roman „Der Messias von Darfur“ geht es um den Darfur-Konflikt, in dem von Khartum bezahlte Djandjawid-Kämpfer an der Seite der Regierungsarmee gegen lokale Rebellengruppen kämpften. Seine weibliche Hauptfigur Abdelrahman aber nimmt es mit den Milizen der Djandjawid auf: Sie will sich an ihnen rächen, weil sie ihr Dorf in Darfur vernichtet, ihre Familie ausgelöscht und sie vergewaltigt haben.

In diesem Roman erzählte ich, was in Darfur passiert ist und welche Auswirkungen dies auf die Zukunft haben wird. Ich wollte, dass meine Leute das verstehen und dass sie darauf vorbereitet sind. Die Regierung fand, dass ich bloß Ärger machen wollte. Ich würde etwas erzählen, was nicht passieren werde – aber dann, 15 Jahre später, passiert genau das, was ich beschrieben habe.

Denn gegenwärtig bekämpfen die sudanesische Regierungsarmee und die RSF-Truppen einander, die aus den Djandjawid hervorgegangen sind. Diese komplexen Beziehungen, Verwicklungen und Hintergründe entlarvt Abdelaziz Baraka Sakin in seinem Roman mit knallharter Ironie und oft sehr bitterer Komik.

Aktuell schreibe ich wieder einen Roman über den Krieg, über das, was die Menschen, Frauen und Männer, auch Kinder, jeden Tag durch die Bombardierungen, durch Soldaten, durch Milizionäre erleiden.

Das Schreiben helfe ihm dabei, die Gegenwart psychologisch zu verarbeiten. Baraka Sakin ist einer der meistgelesenen Autoren des Sudan – paradox, denn: Seine Bücher sind seit 2011 im Sudan verboten.

Sie haben mein Buch „Der Messias von Darfur“ verboten. Deshalb habe ich es jedem, der es herunterladen möchte, gratis als PDF-Datei zur Verfügung gestellt. Man braucht sie nur herunterzuladen und kann loslegen. Sie können nicht das Internet verbieten, denn das gibt es überall.

Zugänglichkeit spielt eine Rolle für die Literatur im Sudan. Auch für Stella Gaitano. Sie schreibt auch deshalb Kurzgeschichten…

…weil sie leicht zu verbreiten sind. Es ist einfach, veröffentlicht zu werden. Wenn ich sie nicht in einem Buch unterbringen konnte oder wenn eine Zeitung sie abgelehnt hat, kann ich sie einfach auf meine Seite stellen.

Dort können auch wir die Geschichten finden. Oder wir kaufen die sehr gelungenen deutschen Übersetzungen. Die Autorinnen und Autoren und ihre Romane sind im globalen Norden immer auch Stimmen aus ihren Heimatländern.

Romanautoren setzen sich wirklich intensiv mit dieser Art von Trauma auseinander, mit der traumatischen Geschichte, mit der der Sudan zu kämpfen hat.

Deshalb vermitteln diese stilistisch unterschiedlichen, aufschlussreichen und lohnenden Bücher auch Einblicke in eine Region, in der fast unbeachtet von der Weltöffentlichkeit die weltweit größte Flüchtlingskrise entstanden ist. Rund neun Millionen Menschen sind auf der Flucht, fast fünf Millionen Menschen leiden an akutem Hunger.

Deshalb bin ich sehr froh, wenn meine Bücher über mein Land informieren, über die Menschen dort und über den Krieg. Vielleicht hilft es jemanden. Denn wir brauchen aktuell wirklich die Hilfe von außen, auch von Menschen in Deutschland. Wir brauchen ihre Stimme.

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