Schon zu Beginn der Corona-Pandemie hat die Wissenschaft es empfohlen und die Politik dazu aufgerufen: "Social Distancing" – Abstand halten. Auch Tiere machen das, ganz instinktiv.
Social Distancing: wichtige Strategie für Umgang mit kranken Artgenossen
Nach einem Dreivierteljahr Corona-Pandemie mitsamt Social Distancing dürfte die Studie eines internationalen Forscherteams, die im Oktober 2020 veröffentlicht wurde, einen Nerv getroffen haben: Auch kranke Vampirfledermäuse ziehen sich von Artgenossen zurück. Verhalten, das an Social Distancing erinnert, hatten Forscher*innen aber in den Vorjahren bereits bei einer Reihe anderer Tiere beobachtet. "Wir kennen Social Distancing bei Bienen, Schimpansen, Kaulquappen, Hummern, Guppies ...", sagt Klaus Wünnemann, Tiermediziner und Direktor des Heidelberger Zoos. Er hält es für realistisch, ähnliche Verhaltensweisen bei noch viel mehr Tierarten finden zu können. Denn Social Distancing sei "eine ganz wichtige Strategie", mit erkrankten Artgenossen umzugehen.
Ameisen schützen "wertvolle Individuen" vor Infektionen
Doch wer sich von wem distanziert und wie, das variiert im Tierreich. In einem Ameisenvolk zum Beispiel, wo es eine Arbeitsteilung gibt, bleiben die arbeitsteiligen Gruppen jeweils möglichst unter sich. Das untersuchten Forscher*innen der University of Bristol in England, die dazu mehreren hundert Ameisen einen winzigen Sender-Chip auf den Rücken setzten. So konnten sie verfolgen, wo sich die Ameisen aufhielten, und sie konnten Kontakte registrieren. Das Forschungsteam infizierte die sogenannten "Häcksler", also diejenigen Ameisen, die draußen Futter sammeln. Das ist in der Natur das wahrscheinlichste Szenario, wie Erreger in ein Ameisenvolk gelangen.
Noch bevor die Krankheit bei den infizierten Häckslern tatsächlich ausbrach, änderte sich das Verhalten in der Kolonie. Die Häcksler verbrachten mehr Zeit außerhalb des Nestes und hielten zu ihm auch mehr Abstand. Selbst die nicht infizierten reagierten so. Die innen arbeitenden Ameisen wiederum brachten die Brut noch tiefer ins Nest. Einen besonderen Schutz genießt wohl zudem die Königin. Die war in allen beobachteten Kolonien auch am Ende des neuntägigen Experiments noch am Leben. Durch den Krankheitserreger waren also Veränderungen aufgetreten, die speziell den Schutz von "wertvollen Individuen" verstärken, resümieren die Autor*innen der Studie.
Distanzieren als Evolutionsvorteil
Wenn Ameisen bei Krankheiten auf Abstand gehen, dann weniger aus Vernunft als vielmehr aus Instinkt, stellt der Ameisenforscher Manfred Verhaagh klar. Wir dürften in Insektenstaaten nicht eine Art Selbsterkenntnis wie bei Menschen hineininterpretieren, sondern bei Insekten sei das "ein genetisches Programm", was sich im Lauf der Evolution bewährt habe.
Fremde oder Freunde
Auch das Gruppenleben an sich ist etwas, das sich bei mehreren Tierarten evolutiv bewährt hat. Es kann Vorteile bringen, zum Beispiel beim gemeinsamen Jagen oder der Verteidigung gegen Raubfeinde. Die Verbände von Insekten sind eher anonym, die von Säugetieren individualisierter; einige Primaten knüpfen sogar Freundschaften.
Bei Bärenpavianen ist eine mögliche wissenschaftliche Interpretation dafür, dass Weibchen sich mit männlichen Artgenossen gut stellen, um Infantiziden vorzubeugen, also um den Nachwuchs zu schützen.
Angepasste Interaktionen
Wichtige soziale Beziehungen, darunter auch die Mutter-Kind-Beziehung, halten manche Tiere trotz Infektionen aufrecht. Das kann man anhand typischer sozialer Interaktionen in den Tiergruppen abschätzen. Beispielsweise füttern gesunde Bienen ihre kranken Artgenossinnen seltener von Mund zu Mund. Primaten dagegen kraulen und "lausen" sich weiterhin.
Trotzdem passen auch Affen teilweise die Fellpflege an, beschränken sich zum Beispiel auf nahe Verwandte. Zoodirektor Klaus Wünnemann erzählt außerdem von einer Studie zu Mandrills, einer Primatenart: Ein kranker Mandrill macht soziale Fellpflege bei anderen in der gleichen Frequenz wie vorher. "Aber er erfährt viel seltener die gleiche Gefälligkeit im Austausch von anderen."
Als Faustregel für das Social Distancing bei Tieren schlägt Wünnemann vor: Je intensiver die vorherige Beziehung zweier Individuen, desto weniger gehen sie auf Distanz.
Krankheit und Partnerwahl
Neben solchen Interaktionen geben Partnerwahlversuche Aufschluss über Social Distancing bei Tieren. Wieder zeigen sich hier Unterschiede zwischen verschiedenen Tierarten. Oft seien bei Vögeln kranke Individuen die unbeliebteren Partner, berichtet Wünnemann. Bestimmte Krankheiten würden sich in der Färbung von Gefieder und Schnabel bemerkbar machen. Das macht unattraktiv: "Wer dann so aussieht, hat in der Partnerwahl deutlich schlechtere Karten."
Dilemma bei der Paarung?
Forscher*innen des Deutschen Primatenzentrums, die die Partnerwahl bei Anubispavianen beobachtet hatten, berichten etwas anderes. Die infizierten Weibchen in dem Paviantrupp waren zwar an den Geschwüren im Genitalbereich zu erkennen. Dennoch wurden die gesunden nicht bevorzugt.
Die Primatologin Julia Fischer begründet das damit, dass der Druck, sich fortzupflanzen, größer sei als das Bedürfnis, eine Krankheit zu vermeiden. Anders gesagt: "Dass einem Männchen gewissermaßen egal ist, ob es sich infiziert, wenn es wenigstens noch die nächsten paar Paarungen mitnehmen kann."
Wildtiere sind stärker als Menschen darauf angewiesen, Verhaltensweisen einzugewöhnen, um Epidemien einzudämmen. Abgesehen von Ausnahmen wie der einer Tollwut-Epidemie unter Äthiopischen Wölfen 2003 würden Wildtiere schließlich vergeblich auf einen Impfstoff warten. Was Menschen den Tieren noch voraushaben: Wir müssen uns nicht kraulen, um Freundschaften zu pflegen.
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