Klimawandel, Umweltverschmutzung und extensive Landwirtschaft zerstören unsere Ökosysteme. Nicht ohne Folgen: Die Zahl bedrohter Tier- und Pflanzenarten nimmt rapide zu – sogar von einem Massenaussterben ist die Rede. Der Weltbiodiversitätsrat fordert Staaten zu mehr Artenschutz auf. Doch der beginnt im Kleinen: Wer Garten oder Balkon insektenfreundlich gestaltet, trägt bereits zur Biodiversität bei.
Jede 8. Tier- und Pflanzenart bedroht: Steht ein Massenaussterben bevor?
Verkehrslärm statt Vogelgezwitscher, Monokulturen statt Wildblumenwiesen – immer deutlicher zeichnet sich ab: unsere Ökosysteme sind in Gefahr. Auch der Weltbiodiversitätsrat schlägt Alarm: Ungefähr acht Millionen Tier- und Pflanzenarten gibt es auf der Welt. Davon sind etwa eine Million vom Aussterben bedroht, darunter eine halbe Million Insektenarten.
Das ist eine höchst beunruhigende Entwicklung. So betont es die Biologin Katrin Böhning-Gaese. Die Leiterin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt am Main beschreibt das weltweite Ökosystem wie ein Netz. Und das wird zunehmend löchrig:
Inzwischen sind sich die Forscherteams weltweit einig: Das gegenwärtige Artensterben ist deutlich stärker als das Hintergrundaussterben, das immer wieder und ständig stattfindet. Katrin Böhning-Gaese spricht sogar von einem neuen Massenaussterben:
Umweltverschmutzung, Landwirtschaft, invasive Arten – sensible Ökosysteme in Gefahr
Wie auch beim Klimawandel ist inzwischen klar: Die Hauptschuld für das Artensterben trägt der Mensch. Der Weltbiodiversitätsrat nennt in einem Bericht von 2019 mehrere Ursachen:
- Klimawandel
- Umweltverschmutzung
- industrielle Landwirtschaft
- Abholzen von Wäldern
- Überfischung der Meere
- Ausbreitung invasiver Arten
Dabei sind wir von einer gesunden Umwelt abhängig: Saubere Luft, frisches Wasser und Erde, in der Pflanzen gedeihen können. Eine intakte Natur reduziert die Auswirkungen von Naturkatastrophen und schützt vor Pandemien.
Landwirtschaft und Artenschutz vereinen – Mehrkosten, die sich auszahlen
Höchste Zeit, gegen die Zerstörung der Biodiversität vorzugehen. Wie aber lässt sich so eine Mammutaufgabe lösen? Mit einzelnen Biotopen und Naturschutzgebieten ist es leider nicht getan, so das Max-Planck-Institut für multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen. Zwar tragen Schutzflächen zur Artenvielfalt bei, für die großen Themen der Biodiversität müssen wir aber deutlich mehr tun.
Kunstdünger, Pestizide, Monokulturen – intensive Agrarwirtschaft gefährdet Ökosysteme in besonderem Maße. Aber Landwirte zu Gegnern erklären, das helfe niemandem, sagt Josef Settele, Leiter der Abteilung Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle. Schließlich setzen sich bereits viele Landwirte für Artenschutz ein, sähen Blühmischungen und lassen Wildflächen stehen. Das ist zeit-, vor allem aber sehr kostenintensiv. Josef Settele fordert darum mehr staatliche finanzielle Unterstützung.
Außerdem brauche es ein Umdenken: Nicht die nachhaltigen Produkte sollten teuer sein, sondern die konventionell erzeugten Produkte – Nachhaltigkeit dürfe kein Luxusprodukt sein.
Internationaler Biodiversitätsrat steckt ehrgeizige Ziele
Im Dezember 2022 hat die Weltgemeinschaft im kanadischen Montreal ein neues Rahmenabkommen für die Biodiversität beschlossen. Sein großes
Ziel: 30 Prozent aller Ozeane und Landflächen sollen wirksam unter Schutz gestellt werden. Eine 2022 erschienene Studie warnt allerdings davor, dass das an Land drastische Folgen für die Ernährungssicherheit der Welt haben könnte, vor allem in Regionen des globalen Südens wie Südasien oder Subsahara-Afrika. Jedenfalls dann, wenn in den geschützten Flächen keine Landwirtschaft mehr möglich wäre.
Es geht also um viele Details. Und Naturschutzorganisationen befürchten, dass die Ziele noch zu vage sind und ihre Einhaltung nicht garantiert werden kann. Im Pariser Klimaabkommen gibt es Kontrollmechanismen, im Übereinkommen über die biologische Vielfalt nicht.
Wildblumenwiese, Vogelhäuschen, Insektenhotel: Naturschutz beginnt im Kleinen
Das klingt nach düsteren und entmutigenden Aussichten.
Doch laut Josef Settele können wir alle zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen: Wer einen Garten hat, kann eine Insekten-Blühwiese anlegen. Wer einen Balkon hat, kann ein Vogelfutterhaus aufstellen oder insektenfreundliche Pflanzen ziehen.
So tun wir nicht nur der Natur etwas Gutes – die bunte Blütenpracht und fröhliches Vogelgezwitscher bereitet auch uns Menschen eine unmittelbare Freude.
Reihe
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