Die Weimarer Republik war die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland. In bisher unveröffentlichten Tonaufnahmen der Parlamentsdebatten wird ihr Scheitern erfahrbar.
Mikrofone im Berliner Rundfunk ab Mitte der 1920er-Jahre
Die Aufnahmen sind eine Fundgrube für Historiker: Der Berliner Rundfunk hatte bereits Mitte der 1920er-Jahre Mikrofone im Reichstag aufgestellt und ab 1930 Debatten auf Wachsplatten gebannt. Diese befinden sich seit spätestens 1959 auf Tonbändern im Deutschen Rundfunkarchiv. Viele der Aufnahmen waren bisher unveröffentlicht.
Parlamentsdebatten 1931 bis 1933: Geschichte und Bedeutung der Tonaufnahmen
Reichstagspräsident bei Auseinandersetzungen oft hilflos
Gerade die Tondokumente von 1930 bis 1933 machen deutlich, wie sich die Polarisierung zwischen linkem und rechtem Lager zuspitzt. Nationalsozialisten wie Kommunisten lehnen die Weimarer Verfassung und deswegen auch das Parlament ab. Verfassungsfeindlichkeit war erlaubt. Zentrum und SPD dagegen kämpfen für den Erhalt der Demokratie. Doch wenn die NSDAP-Abgeordneten unter Protest den Reichstag verlassen, ist der Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) hilflos. Sie rufen "Heil Hitler" und skandieren das Horst-Wessel-Lied; die KPD singt mit "Prolet erwachet" dagegen an. NSDAP-Abgeordnete schlagen einen Journalisten in der Reichstagskantine blutig; es kommt zu Festnahmen im Sitzungssaal.
Was die Nationalsozialisten vorhaben, wird früh klar. In einer Rede vom Oktober 1931 spricht der spätere Reichsinnenminister Wilhelm Frick vom "Lebensraum" für eine bei einer artgemäßen Führung des Reiches sich von selbst ergebende wachsende Volkskraft." Wir hören in den Debatten auch Walter Ulbricht, Kurt Schumacher und viele andere.
Die Rolle des Rundfunks
1923 begann der Rundfunk in Deutschland. Er wird auch in den Debatten immer wieder thematisiert. So problematisiert Innenminister Wirth im März 1931 die Rundfunkreiheit. Im Februar 1932 gibt es eine große Empörung darüber, dass die Rede von Reichskanzler Brüning im Rundfunk übertragen wurde!
Die wichtigsten Tondokumente in voller Länge
Das Archivradio präsentiert die wichtigsten Tondokumente bis zur Abschaffung der Republik am 23. März 1933: Adolf Hitler tritt im Parlament auf und lässt sich innerhalb des zweistündigen Mitschnitts den Freifahrtschein für den Aufbau des Faschismus in Deutschland geben.
Die Originalaufnahmen
12.6.1930 Paul Löbe wirbt für Parlamentsdebatten im Radio
12.6.1930 | Sollen Reichstagsdebatten im Rundfunk übertragen werden? Darüber gingen die Meinungen 1930 auseinander. Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) hat eine klare Haltung: Ja! | 100 Jahre Radio | archivradio.de
5.2.1931 Haushalt des Deutschen Reichs wird verhandelt
5.2.1931 | Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) spricht über die darniederliegende Landwirtschaft im Osten des Reichs. Er pocht darauf, die Reparaturleistungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu begleichen. Joseph Goebbels (NSDAP) wirft dem Brüning-Kabinett Versagen vor.
6.2.1931 Tumulte und Streit um "Katholikenhetze"
6.2.1931 | Der Abgeordnete Josef Joos (Zentrum) greift den Domprediger Bruno Doehring (Deutschnationale Volkspartei) an, weil er gegen Katholiken hetze und der Zentrumspartei Linkslastigkeit vorwerfe. Nach Tumulten und dem Ausschluss mehrerer Abgeordneter durch Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) fährt Joos fort. Er fordert eine politische Kultur, die keine "Zerstörungsinstinkte" beim Mob auf der Straße wecke, sondern ihre Arbeit tue.
9.2.1931 Die NSDAP droht und verlässt das Parlament
9.2.1931 | Der Nationalsozialist Franz Stöhr erklärt den Vertretern des Zentrums: "Es kommt der Tag, und er kommt sehr bald, an dem Ihnen für Ihr schamloses Verhalten die Quittung ausgestellt werden wird, die Sie verdienen!" Die NSDAP-Abgeordneten stehen auf, rufen "Heil!" und verlassen, das Horst-Wessel-Lied singend, den Saal. Die kommunistische Fraktion fängt dann auch an zu skandieren, nämlich "Prolet erwache!"
10.2.1931 Reichsaußenminister Julius Curtius beklagt erdrückende Reparationsleistungen
10.2.1931 | Curtius berichtet von der Tagung des Völkerbunds in Genf. Deutschland sei dort "national", also selbstbewusst aufgetreten, auch wenn die Reparationsleistungen erdrückend seien.
5.3.1931 Reichsinnenminister Joseph Wirth bestreitet "Bürgerkrieg" und problematisiert die Rundfunkfreiheit
5.3.1931 | Das Parlament tagt ohne NSDAP weiter. Reichsinnenminister Joseph Wirth weist das „Gerede vom Bürgerkrieg“ zurück. Er spricht auch den Rundfunk an. Solle man ihn als politisches Instrument einsetzen? Wenn ja, würde er, Wirth, die Zensur am liebsten selbst in der Hand haben.
6.3.1931 Julius Moses (SPD) warnt vor wachsendem Elend in der Bevölkerung
6.3.1931 | Der SPD-Abgeordnete und Arzt Julius Moses beschwört die Abgeordneten, das Elend der Bevölkerung ernst zu nehmen. Er warnt vor "Verschmutzung und Verlausung".
13.10.1931 Regierungserklärung von Reichskanzler Brüning
13.10.1931 | Heinrich Brüning (Zentrum) spricht über die Not in Deutschland. Deutschland wolle ein solidarisches Mitglied im Bund der Nationen sein. Die Löhne der Arbeiter seien gesenkt worden, ohne dass es zu großen Streiks gekommen war. Doch durch die Krise des englischen Pfundes drohe die ganze Welt in Not und Armut zu versinken
15.10.1931 DVP setzt sich für die Interessen der Beamten ein
Laut Eduard Dingeldey (DVP) sind den Beamten die einschneidenden Gehaltskürzungen nicht vermittelbar. Ursache der Belastung seien die Reparationszahlungen an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs.
16.10.1931 Reichskanzler Brüning geht auf Adolf Hitler zu
16.10.1931 | In seiner Rede über die Notverordnungen schlägt Heinrich Brüning milde Töne an. Er dankt allen Fraktionen für die "Vornehmheit", die sie ihm bei aller Kritik entgegengebracht hätte – auch dem "Führer", der dem Parlament gar nicht angehört.
23.2.1932 Goebbels keift gegen Hindenburg
23.2.1932 | Die Neuwahl des Reichspräsidenten steht an. Joseph Goebbels (NSDAP) beschreibt Hindenburg als Witzfigur und nutzt die Aussprache für eine "Abrechnung" mit der Regierung. Goebbels wird des Saals verwiesen. Der Rest der Debatte ist von Tumulten geprägt. Kurt Schumacher spricht von einem hohen Grad der Verachtung und "Dummheit" der Nationalsozialisten.
24.2.1932 Eugen Bolz spricht im Reichstag
24.2.1932 | Eugen Bolz (1881 - 1945) saß ab 1920 für die Zentrumspartei im Berliner Reichstag. Dort spricht er 1932 über die aktuelle Krise. Anfangs hält Bolz die Machtübernahme Adolf Hitlers für ein notwendiges Übel in einer Krisensituation. Doch 1940 schließt er sich dem zivilen Widerstand um Carl Friedrich Goerdeler an. Am 23. Januar 1945 wird Eugen Bolz in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.
24.2.1932 Rudolf Breitscheid wettert gegen "Mein Kampf"
24.2.1932 | Im Zentrum der Debatte steht die Rede des SPD-Abgeordneten Rudolf Breitscheid. Er setzt sich mit Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" auseinander und zeichnet eine düstere Zukunft für die parlamentarische Demokratie. Der SPD-Mann kritisiert auch die KPD, weil sie ihren Hauptfeind in den Sozialdemokraten sähe statt in den Nationalsozialisten.
26.2.1932 Aufregung um Rundfunk-Übertragung der Brüning-Rede
26.2.1932 | Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) ist empört, dass die Rede von Reichskanzler Heinrich Brüning am Vortag „offenbar“ auf Schallplatten aufgenommen und noch während der Reichstagssitzung im Rundfunk ausgestrahlt wurde – ohne Zustimmung des Ältestenrats! Doch Parlamentspräsident Löbe steht zu seiner Entscheidung.
11.5.1932 Diskussion über die Reparationszahlungen
11.5.1932 | Die Sitzung behandelt einen Gesetzentwurf zur Tilgung der Schulden des Reichs, also der Reparationszahlungen. Reichskanzler Brüning drängt auf rasche Verabschiedung des Gesetzes.
23.3.1933 Hitlers Machtübernahme im Parlament: Das Ermächtigungsgesetz
23.3.1933 | Adolf Hitler tritt erstmals im Parlament auf. Er kündigt an, den vermeintlichen Reichstags-Brandstifter hinrichten zu lassen. Das Ermächtigungsgesetz wird verabschiedet. | Der Reichstag vor Hitler: Parlamentsdebatten 1931 bis 1933
Parlamentsdebatten 1931 bis 1933 Parlamentsdebatten 1931 bis 1933: Geschichte und Bedeutung der Tonaufnahmen
Die Tondokumente gelangten vom Reichsrundfunkarchiv in ein Salzlager in Grasleben, wo britische Truppen sie 1945 fanden und der BBC übergaben. Dort wurden sie auf Tonbänder überspielt und um 1952 dem Deutschen Rundfunkarchiv übergeben.