Russland hat derzeit auf der ISS ein technisches Problem, das nur in friedvoller, ruhiger Zusammenarbeit gelöst werden kann.
Seit bald 25 Jahren kreist die ISS um die Erde, aber nie waren die Neuigkeiten, die man über sie lesen, hören und sehen konnte, politisch so aufgeladen wie im vergangenen Frühjahr. Russland war in die Ukraine einmarschiert, die Zusammenarbeit von West und Ost bei vielen Raumfahrtprojekten wurde aufgekündigt.
Russen drohten mit Absturz der ISS
Und der Chef der russischen staatlichen Raumfahrtorganisation Roskosmos, Dimitri Rogosin, machte in wüsten Tweets die ISS zu einer Art Faustpfand: Wenn die westlichen Sanktionen im technischen Bereich nicht gelockert würden, dann werde man die ISS eben leider abstürzen lassen müssen, aber den russischen Teil der Station natürlich vorher abkoppeln. Rogosin ist mittlerweile nicht mehr russischer Raumfahrtchef. Definitiv besser so, denn im Augenblick hat Russland auf der ISS ein technisches Problem, das nur in friedvoller, ruhiger Zusammenarbeit gelöst werden kann.
Leck an der russischen Sojus-Kapsel
Eigentlich waren die beiden Kosmonauten Sergej Prokopjev und Dimitri Petelin am 14. Dezember bereits kurz davor, aus der Luftschleuse der ISS herauszuschweben und ihren Außeneinsatz im All zu beginnen – da teilte ihnen die Bodenkontrolle aus Moskau mit, dass es mit der Arbeit im freien Weltall nichts werden würde. Denn außenbords sprühte offensichtlich aus einem Leck eine Flüssigkeit von der ISS weg und unkontrolliert hinaus in den Weltraum.
Giftige Chemikalie ausgetreten
Es war Ammoniak, eine Chemikalie, die als Kühlflüssigkeit eingesetzt wird. Ammoniak ist giftig und deshalb möchte man es auf keinen Fall auf dem Raumanzug haben, wenn man vom Außeneinsatz ins Innere der ISS zurückkehrt.
Das Ammoniak-Leck wurde aber nicht an der ISS selbst vermutet, sondern an einem der dort angedockten Raumschiffe. Genauer: Das Raumschiff, mit dem die russischen Kosmonauten und ihr amerikanischer Kollege Frank Rubio die ISS im Oktober erreicht hatten.
Der Flüssigkeitsaustritt stoppte nach mehreren Stunden, der betroffene Kühlkreislauf des Raumschiffs war leer und die Bodenkontrolle in Moskau stand vor der großen Frage, ob das Raumschiff überhaupt benutzt werden kann, um die Kosmonauten wie geplant im März zur Erde zurückzubringen. Um das zu klären, musste aber zunächst herausgefunden werden: Wo sitzt das Leck genau? Wie groß ist es und wie sieht es aus?
Inspektion in internationaler Zusammenarbeit
Dafür musste die schwer zugängliche Stelle, an der das Ammoniak austrat, genauestens inspiziert werden. Das ist nun trotz der politischen Spannungen zwischen Russland und den USA in sehr friedlicher, kooperativer Weise geschehen. Der einzige Weg, um detaillierte Aufnahmen vom Leck zu erhalten, war es, den fast 18 Meter langen Roboterarm der ISS mit den an seiner Spitze montierten Kameras so ausschwenken zu lassen, dass er die Kühlleitung in den Blick nehmen konnte. So wurde es auch gemacht: Der kanadische Roboterarm wurde von einem amerikanischen Astronauten genutzt, um am russischen Raumschiff nach dem Rechten zu sehen.
Einschlag eines Mikrometeoriten ist wahrscheinlich die Ursache
Ein Mikrometeorit ist ein klitzekleines Steinchen, vielleicht einen Millimeter groß, das aus dem All mit hoher Geschwindigkeit angeschossen kam, und die aus Aluminium gefertigte Leitung des Kühlsystems glatt durchschlagen hat. Dass es Weltraumschrott war, kann die russische Raumfahrtorganisation Roskosmos ziemlich sicher ausschließen, da Weltraumschrott auf einer sehr stabilen, klar definierten Umlaufbahn um die Erde fliegt, auf der er eine gewisse, klar definierte Geschwindigkeit hat - sonst könnte er dort nicht fliegen. Diese Geschwindigkeit würde aber nicht ausreichen, um beim Einschlag ein Loch von der Größe und Form zu hinterlassen – das haben Beschusstests gezeigt, die in Laboren durchgeführt wurden.
Sichere Rückkehr mit neuer Sojus möglich
Die Sojus kann wohl nicht mehr benutzt werden, um zur Erde zurückzukehren. Weitere Untersuchungen in den vergangenen Wochen haben das gezeigt. Für die sichere Rückkehr der Raumfahrer von der ISS schicken die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos und die amerikanische NASA am 20. Februar ein neues Raumschiff. Das leck geschlagene Raumschiff wird abgekoppelt und ohne Besatzung gelandet, dabei soll die Wärmeentwicklung gemessen werden. Die Ergebnisse werden mit Simulationen verglichen, um zu überprüfen, ob es ohne die Kühlflüssigkeit wirklich zu heiß darin wird. Die Crew kehrt mit dem neuen Raumschiff aber erst einige Monate später auf die Erde zurück.
Aufenthalt auf ISS verlängert sich für die beiden Russen und den Amerikaner
Die beiden russischen Kosmonauten und ihr amerikanischer Kollege haben die Nachricht, dass sich ihr Aufenthalt auf der ISS verlängert, laut Aussagen des Vertreters der NASA und von Roskosmos klaglos und durchaus motiviert angenommen. So haben sie noch etwas mehr Zeit, sich den Experimenten in diesem fliegenden, einzigartigen Labor zu widmen. Außerdem hat die NASA versprochen, als Trost für den ungeplanten längeren Aufenthalt im All Eiscreme auf die ISS zu schicken.
Die weiteren vier ISS-Bewohner aus den USA, Russland und Japan werden im Frühjahr ausgetauscht. Der Routinewechsel der Mannschaft ist alle halbe Jahre.
Die russische Raumfahrtorganisation, deren Chef im Frühjahr noch damit drohte dem amerikanischen Astronauten Mark van der Hei den Rückflug in einer Sojus zu verwehren und mit dieser Drohung dessen Familie in den USA in Angst und Schrecken versetzte, ist wohl unter neuer Führung inzwischen wieder auf einen vernünftigeren Kurs eingeschwenkt. Die westlichen ISS-Partner – neben der NASA auch die europäische, die kanadische und die japanische Raumfahrtagentur – werden das nach einem aufreibenden ISS-Jahr mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen.
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