Nach Attentaten heißt es oft, der Täter sei psychisch krank. Tatsächlich leiden viele unter einer wahnhaften Schizophrenie. Sind psychisch kranke Menschen besonders gefährlich?
Tödliche Schüsse in einem Heidelberger Hörsaal, Amokfahrt mit fünf Toten in Trier, ein vor den Zug gestoßener Mann im badischen Waghäusel – oft heißt es nach solchen Meldungen, der Täter sei mutmaßlich psychisch krank.
Tatsächlich sind die meisten psychisch Kranken nicht gefährlicher als andere. Doch begeht eine kleine Minderheit einen großen Teil der tödlichen Gewalttaten.
Selbst Terroristen sind nicht immer nur religiös oder politisch motiviert. Oft ist die Ideologie eine Rechtfertigung dafür, den Wunsch nach Gewalt auszuleben.
Sind psychisch Kranke gewalttätiger als psychisch Gesunde?
Ja. Sehr umfangreiche, an Zehntausenden von Leuten durchgeführte Studien zeigen, dass die Normalbevölkerung zu 98 Prozent gewaltfrei ist. 2 Prozent der Normalbevölkerung, überwiegend Männer jüngeren Alters, neigen zu Gewalttaten. Bei psychisch Kranken liegt der Anteil bei 4 Prozent. Aber: Immerhin 96 Prozent leben friedlich und sind nicht aggressiv oder gewalttätig.
Welcher Anteil der Gewalttaten wird von psychisch Kranken begangen?
Studien zeigen, dass die Taten von Gewalttätern zu 15 Prozent durch psychische Erkrankungen erklärbar sind – wenn man alle Gewalttaten zusammennimmt: leichte Körperverletzung, Randale, Sachbeschädigung bis hin zu schwersten Gewalttaten.
Wenn man Mord und Totschlag betrachtet, ist die Rate von psychisch Kranken erheblich höher. Schätzungen von Experten gehen von 50 bis 90 Prozent aus.
Welche psychischen Störungen erhöhen das Risiko für Gewalttaten?
Von den vielen Menschen mit Depressionen und krankhaften Ängsten geht kaum eine Gefahr aus. Anders ist es bei Wahnerkrankungen, etwa der Schizophrenie. Wenn ein schizophrener Mensch in seinem Wahn negative Gedanken wie Tötungsfantasien entwickelt, ist er – laut Statistik – sieben bis acht Mal gefährlicher als ein Mensch, der keine Psychose hat. Wenn er dazu noch Medikamentenmissbrauch oder Alkoholmissbrauch betreibt, um zum Beispiel seine Wahneingebungen zu dämpfen, was sehr viele Schizophrene machen, dann steigt das Risiko um das 14-fache, ein schweres Gewaltdelikt zu begehen.
Wie viele Amokläufer sind von einer Psychose betroffen?
Ein Drittel der erwachsenen Amokläufer leidet an einer Schizophrenie. Doch nicht jeder psychotische Mensch hat Gewalt- oder Tötungsfantasien.
Was führt dazu, dass psychotische Menschen Gewalttaten wie einen Amoklauf begehen?
Einer solchen Tat können Wahnvorstellungen zugrunde liegen, die sich über Jahre oder auch kürzere Zeiträume entwickelt haben. Wenn sich ein Mensch in einer harmlosen Situation (z.B. in der Fußgängerzone) angegriffen fühlt, nimmt er eine Verteidigungshaltung ein. Die Täter wenden dann Gewalt an in der Überzeugung, sich vor einer vermeintlichen Gefahr zu verteidigen.
Andererseits kann eine Tat auch ideologisch motiviert sein, z.B. durch Rassismus. Hier ist zu unterscheiden zwischen Rechtsextremen ohne psychische Störung und psychotisch Kranken, die glauben, ihre radikalen Wahnvorstellungen in die Tat umsetzen zu müssen.
Welche Störungen liegen einer erhöhten Gewaltbereitschaft noch zugrunde?
Auffälligkeiten der Persönlichkeit sind eine weitere häufige Ursache von Gewalttaten. Wenn sie schwer genug sind, spricht die Wissenschaft von einer Persönlichkeitsstörung. Hierzu zählt unter anderem der Narzissmus, der mit einer verminderten Kritikfähigkeit und einem hohen Aggressivitätspotenzial einhergeht.
Gewalttäter kennzeichnet jedoch auch eine starke Skrupellosigkeit, ein Merkmal der Persönlichkeitsstörung Psychopathie: Psychopathen fehlt die Fähigkeit zur Empathie – und gleichzeitig sind sie häufig narzisstisch veranlagt.
Wann werden Gewalttäter als schuldunfähig eingestuft?
"Bei einer akuten Schizophrenie sind die Täter in der Mehrheit vermindert schuldfähig, teilweise auch schuldunfähig", so Dr. Nahlah Saimeh, Psychiaterin aus Düsseldorf.
Bei Persönlichkeitsstörungen hingegen werden sie von Richtern überwiegend für voll schuldfähig erklärt, weil das Ausmaß der Störung nicht schwerwiegend genug ist.
Hirnschädigungen, die zu psychisch auffälligem Verhalten führen, werden häufig gar nicht erkannt. Schuldunfähigen Tätern bleibt zwar das Gefängnis erspart. Gleichzeitig droht ihnen jedoch ein unabsehbar langer Aufenthalt im Maßregelvollzug, also Psychiatrien hinter Gittern.
Strafvollzug Psychiatrie hinter Gittern – Wirken Therapien für Straftäter?
Lieber nicht zu früh entlassen. Weil Anstaltsleitungen einen Rückfall fürchten, sitzen psychisch kranke Straftäter oft länger im Maßregelvollzug als es eine Haftstrafe vorgesehen hätte.
Wie lässt sich ein Amoklauf schon im Voraus verhindern?
Spätere Amokläufer machen im Vorfeld ihrer Tat häufig düstere Andeutungen. Wer bemerkt, dass ein Bekannter Sympathien für die Gewalttaten anderer äußert oder sich den Tod bestimmter Personen wünscht, sollte die Polizei informieren.
Wer unsicher ist, kann sich an die Hotline des Beratungsnetzwerks Amokprävention wenden.
Wichtig ist auch die rechtzeitige Behandlung von Menschen, die beispielsweise eine Psychose entwickeln. Ein Warnzeichen kann sein, wenn sich das Denken auf einmal verändert oder seltsam erscheint. Eine Reihe von Früherkennungszentren an Kliniken helfen bei der Abklärung. Eine Psychose kann z.B. durch die geeigneten Medikamente erfolgreich bekämpft werden.
Informationen von:
Prof. Britta Bannenberg, Kriminologin, Gießen
Prof. Bernhard Bogers, Psychiater, Magdeburg
Prof. Henning Saß, Psychiater, Aachen
Dr. Nahlah Saimeh, Psychiaterin, Düsseldorf
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