SWR2 Wissen: Archivradio

Die Epoche der Kernenergie in Deutschland – Euphorie und Widerstand

Stand
Interview
Joachim Radkau
Moderator/in
Gábor Paál
Gábor Paál

Gábor Paál im Gespräch mit Joachim Radkau

Am 15. April 2023 werden die letzten deutschen Kernkraftwerke stillgelegt. Dabei hatte alles mit so viel Euphorie begonnen: "Wird es eines Tages den Atomkocher für die Hausfrau geben?" wird Physiknobelpreisträger Werner Heisenberg 1951 sogar gefragt.

1960 geht in Kahl das erste deutsche Kernkraftwerk in Betrieb. Die Schifffahrt träumt von atomkraftbetriebenen Frachtschiffen.

Doch werden auch Zweifel laut: Wie sicher ist Atomenergie wirklich? Spätestens mit dem Widerstand gegen das Kraftwerk Wyhl 1975 wird aus diesen Zweifeln schließlich eine große Anti-Atomkraft-Bewegung.

Originalaufnahmen im SWR2 Archivradio

August 1945 "We don't mind about 100.000 Japs": Otto Hahn irritiert über Reaktion eines Engländers auf Hiroshima

August 1945 | Der Chemiker Otto Hahn erfährt vom Atombombenabwurf in Hiroshima als Gefangener in einem britischen Internierungslager. Dort saß er zusammen mit anderen hochrangigen deutschen Naturwissenschaftlern wie Carl Friedrich von Weizsäcker. Später erinnert er sich an diesen Moment im August 1945.

Karlsruhe

19.7.1956 In Karlsruhe entsteht erster Forschungsreaktor – Stimmung in der Stadt

19.7.1956 | 1956 ist entschieden: In Karlsruhe soll der erste atomare Forschungsreaktor der Bundesrepublik entstehen. Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg hatte sich für München stark gemacht, denn er ist mit seiner Forschungsgruppe aus Göttingen dorthin gezogen. Doch Kanzler Konrad Adenauer entscheidet zugunsten von Karlsruhe. Eine Rolle spielen dabei auch sicherheitspolitische Erwägungen. München liegt Adenauer zu nahe an der aus Moskau kontrollierten Tschechoslowakei. Zur Vertragsunterzeichnung schickt der Kanzler seinen Atomminister Franz Josef Strauß nach Karlsruhe. Wir hören zunächst den Bericht vom Festakt, anschließend eine Umfrage, die die Stimmung der Karlsruher widerspiegelt.
Die Bauarbeiten in Karlsruhe beginnen zunächst am Rhein bei Maxau. Doch nach einem Jahr ist klar: Das ist wegen der Hochwassergefährdung dann doch zu unsicher. Das Kernforschungszentrum entsteht schließlich weiter vom Fluss entfernt, bei Leopoldshafen. Der Reaktor geht wegen dieser und anderer Verzögerungen erst 1961 in Betrieb und wird deshalb nicht der erste Reaktor in der Bundesrepublik – das wird der in Garching, zu dessen Inbetriebnahme wir im SWR2 Archivradio eine eigene Aufnahme haben. Das Kernforschungszentrum Karlsruhe wird später in Forschungszentrum Karlsruhe umbenannt und fusioniert 2009 mit der Universität zum heutigen Karlsruhe Institute of Technology KIT. | Kernenergie

30.4.1957 „Göttinger Manifest“: Ja zur Kernenergie, nein zu Atomwaffen – Carl Friedrich von Weizsäcker im Interview

30.4.1957 | Am 12. April 1957 veröffentlicht der Ausschuss Kernphysik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft eine Erklärung, die für Aufsehen sorgt. Die Wissenschaftler sprechen sich in diesem "Göttinger Manifest" gegen eine atomare Aufrüstung und eine Stationierung von Atomwaffen aus. Initiator war Carl Friedrich von Weizsäcker, zu den Mitunterzeichnern gehören die Nobelpreisträger Otto Hahn, Max Born und Werner Heisenberg. Sie hatten im Vorfeld erfolglos versucht, durch Gespräche die Bundesregierung von ihrem Plan abzubringen, die Bundesrepublik mit Atomwaffen auszustatten. So sehr die Physiker Atomwaffen ablehnen, so sehr plädieren sie für eine friedliche Nutzung der Kernenergie. Als die Erklärung veröffentlicht ist, reagieren Konrad Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß verärgert und werfen den Physikern politische Ignoranz vor. Die Wissenschaftler schweigen daraufhin zunächst. Nach gut zwei Wochen schließlich erklärt Carl Friedrich von Weizsäcker in einem langen Vortrag in Bonn, welche Überlegungen hinter der Erklärung stehen. Am folgenden Tag fasst er sie in einem Interview zusammen. | Kernenergie

20. bis 25.3.1958 Bundeskanzler Adenauer will Atomwaffen: Bundestag debattiert tagelang

20. bis 25.3.1958 | Bundeskanzler Konrad Adenauer strebt in den 1950er-Jahren nicht nur die friedliche Nutzung der Atomenergie an, sondern will auch die Bundeswehr im Rahmen der NATO atomar bewaffnen. Sein Hauptargument ist die mächtige Sowjetunion, der man etwas entgegensetzen müsse.
Die Opposition, vor allem die SPD, ist dagegen; sie plädiert für eine atomwaffenfreie Zone auf dem Gebiet der beiden deutschen Staaten. Eine atomare Aufrüstung dagegen würde eine Wiedervereinigung in weite Ferne rücken.
Die Debatte zieht sich über vier Tage hin. Wir hören Ausschnitte. Zunächst Bundeskanzler Konrad Adenauer, der wie auch schon in früheren Reden die Atombombe als Weiterentwicklung der bisherigen Waffensysteme darstellt. Es folgen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), dann Fritz Erler (SPD), der mit einer Anspielung auf Goebbels‘ „totalen Krieg“ die Unionsabgeordneten dazu veranlasst, empört den Saal zu verlassen.
Anschließend hören wir Reinhold Maier (FDP), gefolgt von zwei weiteren SPD-Abgeordneten, nämlich Helmut Schmidt – dem späteren Bundeskanzler – sowie Gustav Heinemann – dem späteren Bundespräsidenten.
Am Schluss die einzige weibliche Stimme in der Debatte: Luise Rehling (CDU). Sie erklärt, für die Frauen und Mütter zu sprechen.
Nach der emotionalen Debatte stimmt der Bundestag mehrheitlich der atomaren Ausrüstung der Bundeswehr im Rahmen der NATO zu. Die SPD kündigt daraufhin an, sie werde eine Volksbefragung initiieren, da Atomwaffen zu einem nationalen Notstand führen würden. Den Anfang machen Hamburg und Bremen, die tatsächlich Volksbefragungen über die atomare Bewaffnung einleiten. Doch dazu kommt es nicht: Das Bundesverfassungsgericht hält die Befragungen für verfassungswidrig und stoppt sie.
Adenauer setzt sich somit durch, allerdings bleiben die in der Bundesrepublik stationierten Atomwaffen unter der Kontrolle der Vereinigten Staaten – nicht der Bundeswehr. | Kernenergie

28.10.1958 Forschungsreaktor Geesthacht geht in Betrieb

28.10.1958 | In Geesthacht bei Hamburg geht der bis dahin größte deutsche Kernforschungsreaktor in Betrieb. Die Atomkrafteuphorie ist damals groß. Der neue Reaktor füge sich schön in die Landschaft, schwärmt der Reporter. | Kernenergie

28.10.1958 Der Traum vom atomaren Handelsschiff

28.10.1958 | Künftig würden Frachtschiffe mit Atomantrieb fahren, erklärt Erich Bagge, leitender Physiker am frisch eingeweihten Forschungsreaktor Geesthacht bei Hamburg. Der neue Reaktor solle den Weg dahin ebnen. | Kernenergie

20.9.1965 Reaktoreinbau in Atomfrachter „Otto Hahn“

20.09.1965 | Die Vorbereitung für den ersten deutschen Atomfrachter „Otto Hahn“ gehen voran. Er entsteht in den Kieler Howaldtswerken, im September 1965 wird der Reaktor eingebaut – samt Auffangbehälter für Brennelemente. | Kernenergie

11.10.1968 Deutschlands Nuklearfrachter „Otto Hahn“ sticht in See

11.10.1968 | Der kernkraftbetriebene Forschungsfrachter "Otto Hahn" sticht in Kiel in See. Mit an Bord ist Reporter Hermann Rockmann. | Kernenergie

20.10.1969 Wird Atomschiff "Otto Hahn" doch kein Frachter?

20.10.1969 | Schon ein Jahr nach der Probefahrt von Deutschlands erstem atomaren Forschungsschiff zeichnet sich ab: Handelsschiffe mit Nuklearantrieb haben wohl doch keine Zukunft. Ein Mitarbeiter des Arbeitskreises Kernenergie des Bundes und der Küstenländer erklärt, welche ungeahnten Probleme es gibt. | Kernenergie

12.1.1975 Bürger stimmen mehrheitlich für Atomkraftwerk Wyhl

12.1.1975 | Der Widerstand gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl gehört zu den Ereignissen, die dazu beigetragen haben, aus einem diffusen Widerstand gegen die Kernenergie eine Bewegung zu machen. Zunächst war das Kraftwerk im nahegelegenen Breisach geplant, 1973 wurde der Standort dann aber nach Wyhl verlegt. Dass der Kraftwerksbau jetzt forciert wird, ist auch eine Folge der Ölkrise. Gerade Baden-Württemberg, das überdurchschnittlich stark vom Öl abhängt, plant eine ganze Reihe von Kraftwerken. Doch gleichzeitig wächst der Widerstand – gerade auch in Wyhl. Die Bürgerinitiativen begründeten ihre Ablehnung gar nicht so sehr mit der Angst vor einem Atomunfall oder dem Austreten von Radioaktivität, sondern eher mit Naturschutzargumenten. Der Rhein könne sich übertrieben aufheizen, der aus den Kühltürmen austretende Wasserdampf zu weniger Sonne und mehr Nebel führen. Man wolle kein zweites Ruhrgebiet am Oberrhein. Viele sehen im Kraftwerk allerdings auch die Chance auf Arbeitsplätze. Am 12. Januar 1975 kommt es zu einem Bürgerentscheid darüber, ob das vorgesehene Grundstück an die Kraftwerksbetreiber verkauft werden sollen. Die Mehrheit stimmt zwar dafür, doch die Gegner sehen sich ebenfalls als Sieger. | Kernenergie

18. und 19.5.1986 Demonstration gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf

18./19.5.1986 | An Pfingsten 1986 demonstrieren Zehntausende gegen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Der Rundfunkjournalist Ulrich Böken war mit dem Mikrofon vor Ort. Sein Rohmaterial zeichnet ein Stimmungsbild der Demonstranten im Taxöldener Forst. | Kernenergie

9.6.2011 Angela Merkel erklärt Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima

9.6.2011 | Drei Monate nach der Katastrophe in Fukushima beschließt die Bundesregierung den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland bis 2022. In ihrer Regierungserklärung vom 9. Juni 2011 skizziert Bundeskanzlerin Merkel den Weg in ein neues Energiezeitalter. | Kernenergie

14.5.2020 Sprengung der Kühltürme am AKW Philippsburg

14.5.2020 | 40 Jahre lang hat das Kernkraftwerk Philippsburg Strom geliefert. Ende 2019 wurde es, wie beschlossen, abgeschaltet. So wird am 14. Mai 2020 der Atomausstieg sichtbar und hörbar: Die sorgar vom Schwarzwald aus sichtbaren Kühltürme werden gesprengt. | Kernenergie

Schwerpunkt: Tschernobyl 1986

Archivradio-Gespräch 26. April 1986: Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und die Folgen

Erste verschwurbelte Nachrichten, ängstliche Spargelbauern, eine hitzige Bundestagsdebatte und: Eskalation in Wackersdorf – Tonaufnahmen aus den Wochen nach der Reaktorkatastrophe 1986.

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