Etwa neun Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind von Armut betroffen. Sie haben trotz Arbeit monatlich weniger als 1.250 Euro zur Verfügung. Zu den Working Poor gehören Männer wie Frauen.
Die steigenden Preise für Energie und Lebensmittel sowie teils hohe Mieten werden die Erwerbsarmut vermutlich verstärken, schätzen Fachleute.
- Wer gilt in Deutschland als arm?
- Wer ist von Armut betroffen?
- Warum wuchs die Erwerbsarmut in Deutschland?
- Warum sind Menschen in Deutschland trotz Arbeit arm?
- Was hilft gegen Erwerbsarmut?
Wer gilt in Deutschland als arm?
Armut wird in Deutschland nicht individuell gemessen, sondern abhängig vom Haushalt. In der Statistik wird der Begriff der Armutsgefährdung genutzt – und zwar, wenn Haushalte weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Für 2021 hat das Statistische Bundesamt die Armutsgefährdungsschwelle, also das Risiko arm zu werden, so beschrieben:
Wer ist von Armut betroffen?
2021 lebten 8,6 Prozent aller Erwerbstätigen ab 18 Jahren in einem Haushalt, der von Armut gefährdet war. Sie gelten als erwerbsarm. Dazu zählen Angestellte wie auch Selbständige.
Das Statistische Bundesamt schlüsselt so auf:
2021 waren knapp 15 Prozent aller Personen, die arbeiten und allein leben, erwerbsarm. Und damit deutlich häufiger als Haushalte mit zwei oder mehr Erwachsenen. Kommen Kinder dazu, steigt die Erwerbsarmut. Besonders betroffen sind Alleinerziehende. Ob der Lohn zum Leben reicht – das hängt stark von der Familiensituation ab. Das erklärt auch, warum Männer und Frauen fast gleich häufig von Erwerbsarmut betroffen sind. Frauen verdienen im Schnitt zwar weniger – auch weil deutlich mehr Frauen Teilzeit arbeiten – aber sobald eine zweite Person dazuverdient, ist der Haushalt insgesamt nicht von Armut gefährdet.
Warum wuchs die Erwerbsarmut in Deutschland?
Die Zahl der Erwerbsarmen in Deutschland wuchs vor allem in den Jahren 2004 bis 2014 stark an. Die Soziologin Dorothee Spannagel von der Hans-Böckler-Stiftung führt den Anstieg vor allem auf die Hartz IV-Reformen zurück, die ab 2005 in Kraft traten:
Zu den Reformen des Arbeitsmarktes, Hartz I bis IV, gehörte auch, dass für die, die keine Arbeit hatten – die Arbeitslosigkeit war zu diesem Zeitpunkt relativ hoch – deutlich mehr Stellen zumutbar wurden. Damit verbunden sei das Paradigma geschaffen worden, dass Arbeit gegen Armut helfe.
Anfang 2023 hat das Bürgergeld das Arbeitslosgengeld II abgelöst. Wenn das Einkommen für den Lebensunterhalt nicht reicht, können Haushalte Bürgergeld ergänzen – also aufstocken. Allerdings: Die Scham, Bürgergeld zu beantragen, ist oft groß, denn wer arbeitet, will unabhängig von Hilfen sein.
Warum sind Menschen in Deutschland trotz Arbeit arm?
Für gerechte Löhne soll der gesetzliche Mindestlohn sorgen. Der gilt seit 2015: Zunächst lag er bei 8,50 Euro brutto die Stunde. Er wurde mehrfach angepasst und beträgt im Frühjahr 2023 12 Euro.
Wer einen Minijob hat – als Kassierer, Küchenhilfe oder Zeitungszustellerin – ist geringfügig beschäftigt und darf im Monat höchstens 520 Euro verdienen oder an maximal 70 Tagen im Jahr arbeiten. Diese Teilzeitjobs sind – was auf der Hand liegt – überdurchschnittlich von Erwerbsarmut betroffen.
Niedrige Löhne bedeuten – in Abhängigkeit vom Haushalt – meist, dass das verdiente Geld nicht reicht. Einen Niedriglohn verdient zum Beispiel die Floristin oder der Taxifahrer, die brutto weniger als 12,50 Euro die Stunde bekommen. Das ist weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes aller Beschäftigten. In fast jedem fünften Job wurde im April 2023 Niedriglohn bezahlt. Damit hat Deutschland innerhalb der Europäischen Union im Vergleich einen relativ großen Niedriglohnsektor.
Was hilft gegen Erwerbsarmut?
- Mindestlohn
- Minijobs beschränken bzw. unattraktiver machen durch geringere Verdienstmöglichkeiten, z.B. statt 520 EUR nur noch 350 EUR
- Aus- und Weiterbildung
Trotz Arbeit auf Bürgergeld angewiesen Wie es ist, von Bürgergeld abhängig zu sein
Susanne Buchweitz aus Ober-Hilbersheim bezieht Bürgergeld, denn: Mit ihrer Ausbildungsvergütung kann die zweifache Mutter ihre Familie nicht versorgen.
Gesellschaft Kinderarmut in Deutschland – Ungleiche Chancen
2,8 Millionen Kinder wachsen in Armut auf. Durch Corona haben sich ihre Bildungswege verschlechtert. Immer noch bestimmt in Deutschland die soziale Herkunft die Zukunft der Kinder.
Literatur zur Armut
Gespräch Ciani-Sophia Hoeder: „Ich wünsche mir ein neues Klassenempfinden“
„Vom Tellerwäscher zum Tellerwäscher“. Der Titel sagt alles über strukturelle Armut und fehlende Möglichkeiten sozialen Aufstiegs in Deutschland. Oder einfach über „die Lüge von der Chancengleichheit“. Davon handelt das aktuelle Buch von Ciani-Sophia Hoeder. Sie war 14 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter zum ersten Mal zur Berliner Tafel ging und sich dafür schämte, dass die Familie arm war – weil Armut immer noch als persönliches Versagen gilt. Nach dem Studium in London arbeitete die Journalistin für die WELT. 2019 gründete sie RosaMag, ein Online-Magazin für Schwarze Frauen in Deutschland.
Gespräch Christian Baron: „Soziale Ungleichheit hat mich schon immer aufgeregt“
„Ein Mann seiner Klasse“. Heißt der Roman, den Christian Baron über seinen Vater schrieb. Vor allem über seine eigene Kindheit in Kaiserslautern. Was es bedeutet, in Armut aufzuwachsen. Deshalb diskriminiert zu werden. Und in einem reichen Land von Behörden quasi keine Hilfe zu bekommen. Wie er es schaffte, als erster seiner Familie die Armut zu verlassen, aufs Gymnasium zu gehen und Journalist zu werden. Warum das nur mit Glück gelang. Und mit Menschen, die an ihn glaubten. Als läge Döblins „Berlin Alexanderplatz“ in der Pfalz. Der SWR hat „Ein Mann seiner Klasse“ jetzt für die ARD verfilmt.
Arbeit und Beruf: aktuelle Beiträge
Arbeitswelt Machtmissbrauch an Hochschulen – Wie sich Strukturen ändern müssen
Viele Fälle von Mobbing, Belästigung, Demütigung oder Plagiaten wurden in den vergangenen Monaten öffentlich gemacht. Um das Problem zu lösen, muss sich etwas an den Strukturen an Hochschulen ändern. Von Janine Funke (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/machtmissbrauch-hochschulen | Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
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Die Mehrzahl der tödlichen Opfer von Polizeieinsätzen hat sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Die Polizei scheint für solche Situationen ungenügend vorbereitet. Von Fides Schopp (SWR 2024) | Manuskript und mehr zur Sendung: http://swr.li/toedliche-polizeieinsaetze-psyche || Studie: Polizeilicher Kontakt zu psychisch erkrankten Menschen | https://link.springer.com/article/10.1007/s11757-021-00670-z || Hörtipp: Der Fall Oisín O. – Polizei-Schüsse auf psychisch Kranke | 11KM: der tagesschau-Podcast | https://www.ardaudiothek.de/episode/11km-der-tagesschau-podcast/der-fall-ois-n-o-polizei-schuesse-auf-psychisch-kranke/tagesschau/13857063/ || Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: daswissen@swr.de | Folgt uns auf Mastodon: https://ard.social/@DasWissen
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Viele von uns arbeiten am Bildschirm und surfen nach Feierabend am Handy. Eine Gleitsichtbrille und zu seltenes Blinzeln können dabei Kopfschmerzen verursachen. Fachleute sprechen vom Computer Vision Syndrom. Wie kann man sich vor Kopfschmerzen schützen?
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