Der Philosoph Paul Feyerabend legt mit "Historische Wurzeln moderner Probleme" ein spannendes Zeitdokument vor.
Mit seinem Slogan „anything goes“ festigte Paul Feyerabend sein Image als unbequemer Denker. Der österreichische Wissenschafts-Philosoph war ein eifriger Kritiker des etablierten Wissenschaftsbetriebs.
Am 13. Januar 2024 wäre Paul Feyerabend 100 Jahre alt geworden, jetzt bereits ist ein Band mit neuen Texten von ihm herausgekommen: „Historische Wurzeln moderner Probleme“ ist ein spannendes Zeitdokument, aber auch erstaunlich aktuell.
Bereits als Wiener Oberschüler galt Paul Feyerabend als eifrig und vorlaut und war nie um eine provokante Einlassung verlegen. Viele Jahre später und erst recht als streitbarer Autor und Akademiker wurde sein philosophisches Programm, die Kritik am strengen Methodenzwang der Wissenschaft, zum Markenzeichen seiner Forschung. In einem letzten Fernsehinterview, das er 1993 gab, spitzte er wie gewohnt zu:
Neben seinem Hauptwerk „Wider den Methodenzwang“ galten „Wissenschaft als Kunst“ und „Erkenntnis für freie Menschen“ als Feyerabends bekannteste Bücher. Mit ihren griffigen Thesen und Polemiken gegen die Allmacht wissenschaftlicher Institutionen rüttelten sie am Selbstverständnis einer eurozentrierten Weltsicht.
Das „enfant terrible" des Wissenschaftsbetriebs
Nun gibt es Neuigkeiten von Paul Feyerabend, dem enfant terrible des Wissenschaftsbetriebs. In der Paul-Feyerabend-Sammlung des Philosophischen Archivs der Universität Konstanz haben die Philosophen Michael Hagner und Michael Hampe unlängst Tonband-Mitschnitte von Vorlesungen entdeckt, die Paul Feyerabend im Frühjahr 1985 an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich gehalten hat.
In zwölf Vorlesungen bilanziert hier Feyerabend noch einmal seine Kritik am Fortschrittsglauben westlicher Rationalität. Mitherausgeber Michael Hagner:
Ein Jonglieren zwischen Kant und Quantentheorie
Quicklebendig ist der Text, sprunghaft, alles andere als ein Abbild einer trockenen Vorlesung. Paul Feyerabend jongliert zwischen seiner philosophischen Materie, die er als „Minestrone“ bezeichnet, ein Kessel buntes, zwischen Kant und Quantentheorie, der auch den Geist der 1968iger Jahre atmet, wenn Feyerabend zu Beginn einer Vorlesung ausdrücklich zur Mitwirkung aufruft:
In seinen Vorlesungen ist Feyerabend auf der Höhe seines Ruhmes, und dabei nicht unumstritten in seiner Art, sich lässig zu inszenieren. Er ist Kult, aber kein Guru, da Feyerabend sich keiner Schule verpflichtet fühlt und auch keine ins Leben gerufen hat.
Mitte der 1980iger Jahre ist die Zeit kurz vor der Tschernobyl-Katastrophe, das Ende des Kalten Krieges bahnt sich an, und das Internetzeitalter steht vor der Tür. Fragen der Klimakatastrophe, und Kritik an einem arroganten und selbstgefälligen Eurozentrismus spielen in diesem Vorlesungs-Zyklus eine zentrale Rolle. Aber auch Fragen der Ethik, wie Feyerabend am Beispiel von Tierversuchen emotional diskutiert.
Ein Kind seiner Zeit
Paul Feyerabend war sicher auch ein Kind seiner Zeit, denn gerade die Form einer ökologisch formulierten Wissenschaftskritik entsprang zu Teilen der ökologisch-alternativen Denkwelt der 1970iger Jahre, die an ihrer Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat.
Damals formten sich die ersten „Grünen Parteien“, der Umweltschutz und die Anti-Atom-Bewegung standen ganz oben auf der Agenda. Michael Hagner:
„Anything Goes“
Blickt man heute zurück auf Paul Feyerabends berühmten Slogan vom „Anything Goes“ – Alles ist möglich – darf man den kulturellen Kontext der 1968iger Jahre nicht außer Acht lassen. Die kapitalismuskritische Alternativbewegung mit ihren alternativen Lebensentwürfen und Denkkonzepten hat das rationalistische Weltbild des Westens nachhaltig in Frage gestellt.
Die Nähe zu dieser Bewegung brachte Feyerabend auch den Ruf eines Scharlatans ein, der mythische Praktiken, Alternativmedizin und Regentänze auf Augenhöhe mit streng rationalen Denksystemen bringen wollte. Dabei meint Feyerabend nicht, dass alles möglich ist, aber vieles mit bedacht werden sollte. Michael Hagner gibt daher noch einmal zu bedenken:
So erleben wir in den rekonstruierten Texten der Züricher Vorlesungen einen streitbaren, polemischen Philosophen, den wir beim Denken, Formulieren, Assoziieren beobachten können. Kein Wissenschaftsfeind spricht da, sondern ein Denker, dem fest gemauerte Theorien und Ideologien suspekt waren.
Paul Feyerabend war ein leidenschaftlicher Freigeist und Aufklärer, der nach Wissens-Alternativen suchte, auch wenn sie dem Wissensbetrieb nicht gefielen.
Es lohnt sich anhand der wiederentdeckten Vorlesungen Feyerabend als einen streitbaren und unbequemen Hochschullehrer kennenzulernen, der mit ätzendem Witz auf Probleme aufmerksam gemacht hat, die heute genauso aktuell sind wie 1985.
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